Von der Forums-Community wenig beachtet, wurde 2018 der Jurist Henning Radtke vom Bundesrat zum Richter im Bundesverfassungsgericht (1. Senat) gewählt.
Hennig Radtke trat während der "Beschneidungsdebatte" 2012 als juristischer Verteidiger der zwangsweisen Beschneidung von Jungen auf.
Ich bin hier auf einen älteren Blogeintrag von Antje Shrupp von 2012 gestoßen, in der sie von einer Podiumsdiskussion mit Radtke berichtet:
Merkt jemand was? Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kommt in dieser Abwägung gar nicht vor.
Radtke stellt den Rechtskonflikt rund um die Beschneidung minderjähriger Jungen einseitig als Abwägung zwischen dem Kindeswohl und dem Recht auf elterliche Erziehung dar.
Radtke hat 2012 auch eine längere Stellungnahme zum "Beschneidungsgesetz" verfasst, in der die körperliche Unversehrtheit zumindest vorkommt.
Um den Inhalt kurz zusammenfassen: Ratke "gelingt" hier eine – ausgesprochen perfide – Argumentation, die Jungen und letztendlich allen Kindern das Grundrecht auf körperliche Unversehrheit abspricht.
Wie "gelingt" ihm das? Der Schlüssel liegt im elterlichen Erziehungsrecht.
Ratke erwähnt in seiner Stellungnahme das Grundrecht auf körperliche Unversehrheit und erkennt sogar an, dass alle "ärztlichen Heileingriffe" zunächst einmal den "objektiven Tatbestand des 223 StGB" (Körperverletzung) erfüllen – auch die Beschneidung. Aber solche Körperverletzungen seien legal, wenn sie mit der Einwilligung der betroffenen Person erfolgen. Im Falle von nichteinwilligungsfähigen Kinder liege dieses Einwillgungsrecht als Teil des Erziehungsrechts bei den Eltern. Diese Berechtigung der Eltern, selbst in Körperverletzungen ihrer Kinder einzuwilligen, werde wiederum nur durch das Kindeswohl eingeschränkt.
Radtkes Argumentation bedeutet in letzter Konsequenz, dass grundsätzlich alle von den Eltern bewilligten Körperverletzungen von Kindern legal sind, sofern diese mit dem – vergleichsweise beliebig definierbaren – Kindeswohl in Einklang stehen.
Kinder sind nicht mehr durch das Grundrecht auf körperlichen Unversehrheit geschützt, sondern nur noch durch das deutlich schwammigere Recht auf Schutz durch Gefährdung ihres Kindeswohl.
Ratkes Argumentation mag für uns sehr schwer zu verstehen sein. Sie ist auch unverständlich. Seine ganze Argumentation ist gekennzeichnet durch eine zynische Gleichgültigkeit gegenüber den Grundrechten von Kindern, die juristisch zu Willkürobjekten ihrer Eltern degradiert werden. Ratke selbst in einem mitleidslosen Juristendeutsch von der "der Berechtigung der Eltern, über die körperliche Unversehrheit ihrer Kinder zu disponieren".
Sie beruht auf einer Rechtsauffassung, dass Kinder bis zum Erreichen der Volljährigkeit sozusagen juristische Sklaven ihrer Eltern sind. Dies war auch tatsächlich lange Zeit das vorherrschende Dogma in den Rechtssystemen der westlichen Welt. Es war auch der Grund, warum selbst grausamste Gewaltanwendungen gegen Kinder, die bei Erwachsenen schon längst als strafbare Körperverletzungen galten, lange Zeit als völlig legal angesehen wurden. Mittlerweile gilt diese Rechtsauffassung in den meisten Rechtsystemen allerdings als antiquiert, und gilt in Deutschland eigentlich seit langem unvereinbar mit dem Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach geurteilt, dass die Grundrechte des Grundgesetzes im vollen Umfang auch für Kinder gelten.
Und jetzt ist ausgerechnet dieser Mann, der unter Berufung auf das Erziehungsrecht der Eltern den Kindern Grundrechte abspricht, über die Einhaltung eben jener Grundrechten wachen?
Wie bereits erwähnt hat Ratkes Argumentation, die weit über die Frage der Beschneidung männlicher Kinder oder die körperliche Unversehrheit hinaus. Wie viele andere Gewalttaten, Zwangsmassnahmen, Körperverletzungen an Kindern lassen sich nach dieser Argumentation noch rechtfertigen? Wieviele andere Grundrechte möchte Radtke Kindern mit dem Erziehungsrecht noch absprechen und den Eltern zur "
Wie kann es passieren, dass Leute mit einem derartigen antiquierten Vorstellung über die Rechte der Kinder wie Ratke Bundesverfassungsrichter werden kann?
Wie ist es möglich, dass ein Mann, der letztendlich Gewalt gegen Kindern, zumindest in gewissen Umfang rechtfertigt und allen Ernstes Eltern eine "Berechtigung, über die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder zu disponieren" zubilligt, Richter an Deutschlands obersten Gericht werden kann?
Hennig Radtke trat während der "Beschneidungsdebatte" 2012 als juristischer Verteidiger der zwangsweisen Beschneidung von Jungen auf.
Ich bin hier auf einen älteren Blogeintrag von Antje Shrupp von 2012 gestoßen, in der sie von einer Podiumsdiskussion mit Radtke berichtet:
Interessant fand ich vor allem den Hinweis von Richter Henning Radtke, dass es bei den Grundrechten, die hier gegeneinander abgewogen werden, nicht etwa um Kindeswohl versus Religionsfreiheit der Eltern geht (wie eigentlich ständig überall geschrieben steht, auch heute wieder in der taz – ) sondern um das Erziehungsrecht. Also um § 6 des Grundgesetzes, wo das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder festgeschrieben ist.Thema ist also nicht, ob Religionen irgendwelche Sonderrechte bekommen sollen, sondern es geht um die Frage (die eben auch in anderen, nicht-religiösen Kontexten aufkommen kann), in welchen Fällen der Staat in das elterliche Erziehungsrecht quasi hineinregieren darf. Laut Radtke ist diese Grenze ebenfalls klar im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt und liegt da, wo die Menschenwürde des Kindes missachtet wird und das Kindeswohl in Gefahr ist. Nach der bisherigen deutschen Rechtssprechung wird diese Grenze zum Beispiel überschritten bei Schlägen und körperlicher Züchtigung – weil Schläge immer die Würde des Kindes beschädigen, das ist ihr Zweck – oder etwa bei Sterilisationen. Dass eine Beschneidung auch problematische Begleitumstände haben können, sei nicht ausreichend, um hier von einer genenerellen Kindeswohlgefährdung auszugehen, jedenfalls nicht, wenn man die Maßstäbe an dieser Stelle nicht im Vergleich zur bisherigen Rechtssprechung völlig verschieben wolle, meinte Radtke.
Merkt jemand was? Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kommt in dieser Abwägung gar nicht vor.
Radtke stellt den Rechtskonflikt rund um die Beschneidung minderjähriger Jungen einseitig als Abwägung zwischen dem Kindeswohl und dem Recht auf elterliche Erziehung dar.
Radtke hat 2012 auch eine längere Stellungnahme zum "Beschneidungsgesetz" verfasst, in der die körperliche Unversehrtheit zumindest vorkommt.
Um den Inhalt kurz zusammenfassen: Ratke "gelingt" hier eine – ausgesprochen perfide – Argumentation, die Jungen und letztendlich allen Kindern das Grundrecht auf körperliche Unversehrheit abspricht.
Wie "gelingt" ihm das? Der Schlüssel liegt im elterlichen Erziehungsrecht.
Ratke erwähnt in seiner Stellungnahme das Grundrecht auf körperliche Unversehrheit und erkennt sogar an, dass alle "ärztlichen Heileingriffe" zunächst einmal den "objektiven Tatbestand des 223 StGB" (Körperverletzung) erfüllen – auch die Beschneidung. Aber solche Körperverletzungen seien legal, wenn sie mit der Einwilligung der betroffenen Person erfolgen. Im Falle von nichteinwilligungsfähigen Kinder liege dieses Einwillgungsrecht als Teil des Erziehungsrechts bei den Eltern. Diese Berechtigung der Eltern, selbst in Körperverletzungen ihrer Kinder einzuwilligen, werde wiederum nur durch das Kindeswohl eingeschränkt.
Radtkes Argumentation bedeutet in letzter Konsequenz, dass grundsätzlich alle von den Eltern bewilligten Körperverletzungen von Kindern legal sind, sofern diese mit dem – vergleichsweise beliebig definierbaren – Kindeswohl in Einklang stehen.
Kinder sind nicht mehr durch das Grundrecht auf körperlichen Unversehrheit geschützt, sondern nur noch durch das deutlich schwammigere Recht auf Schutz durch Gefährdung ihres Kindeswohl.
Ratkes Argumentation mag für uns sehr schwer zu verstehen sein. Sie ist auch unverständlich. Seine ganze Argumentation ist gekennzeichnet durch eine zynische Gleichgültigkeit gegenüber den Grundrechten von Kindern, die juristisch zu Willkürobjekten ihrer Eltern degradiert werden. Ratke selbst in einem mitleidslosen Juristendeutsch von der "der Berechtigung der Eltern, über die körperliche Unversehrheit ihrer Kinder zu disponieren".
Sie beruht auf einer Rechtsauffassung, dass Kinder bis zum Erreichen der Volljährigkeit sozusagen juristische Sklaven ihrer Eltern sind. Dies war auch tatsächlich lange Zeit das vorherrschende Dogma in den Rechtssystemen der westlichen Welt. Es war auch der Grund, warum selbst grausamste Gewaltanwendungen gegen Kinder, die bei Erwachsenen schon längst als strafbare Körperverletzungen galten, lange Zeit als völlig legal angesehen wurden. Mittlerweile gilt diese Rechtsauffassung in den meisten Rechtsystemen allerdings als antiquiert, und gilt in Deutschland eigentlich seit langem unvereinbar mit dem Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach geurteilt, dass die Grundrechte des Grundgesetzes im vollen Umfang auch für Kinder gelten.
Und jetzt ist ausgerechnet dieser Mann, der unter Berufung auf das Erziehungsrecht der Eltern den Kindern Grundrechte abspricht, über die Einhaltung eben jener Grundrechten wachen?
Wie bereits erwähnt hat Ratkes Argumentation, die weit über die Frage der Beschneidung männlicher Kinder oder die körperliche Unversehrheit hinaus. Wie viele andere Gewalttaten, Zwangsmassnahmen, Körperverletzungen an Kindern lassen sich nach dieser Argumentation noch rechtfertigen? Wieviele andere Grundrechte möchte Radtke Kindern mit dem Erziehungsrecht noch absprechen und den Eltern zur "
Wie kann es passieren, dass Leute mit einem derartigen antiquierten Vorstellung über die Rechte der Kinder wie Ratke Bundesverfassungsrichter werden kann?
Wie ist es möglich, dass ein Mann, der letztendlich Gewalt gegen Kindern, zumindest in gewissen Umfang rechtfertigt und allen Ernstes Eltern eine "Berechtigung, über die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder zu disponieren" zubilligt, Richter an Deutschlands obersten Gericht werden kann?
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