Auch wenn man den Gesetzentwurf als Ganzes ablehnt, sollte man vielleicht besonders kritische Punkte herausarbeiten und diese in die öffentliche Diskussion einbringen. Mir scheint das u.a. die Frage der Schmerzbehandlung zu sein. Wenn Familienministerin Schröder sagt, es habe hier Fortschritte im Vergleich zum Eckpunktepapier gegeben, ist das eine freche Lüge.
Soweit man davon ausgeht, dass muslimische und nicht-religiöse Beschneidungen in Deutschland ausschließlich von Ärzten durchgeführt werden, dürfte es hier wenigstens zur Anwendung eines injizierten Lokalanästhetikums kommen. In Krankenhäusern wird die Operation meines Wissens nach im Regelfall unter Vollnarkose durchgeführt. Das vordringliche Problem sind also die (wenigen) jüdischen Beschneidungen, die durch Mohelim vorgenommen werden.
Der Gesetzentwurf sieht nun folgendes vor:
Stellt sich die Frage: Was ist eine im Einzelfall angemessene und wirkungsvolle Betäubung und wer entscheidet darüber? Anhaltspunkte dafür liefert das BMJ schon zu Beginn des Entwurfs:
Ich lese das jetzt folgendermaßen: Der Einsatz eines Oberflächenanästhetikums ("anästhesierende Salbe") bei der Beschneidung von Säuglingen ist heute eine medizinisch akzeptierte, gängige Praxis. Jetzt kommt der dritte Schritt der Argumentation:
Jetzt die Preisfrage: Sehe ich es richtig, dass also jüdische Beschneidungen in Zukunft mindestens unter Anwendung eines Oberflächenanästhetikums (EMLA) stattfinden müssen?
Wenn dem so ist, wäre die Frage, ob das a) ausreichend ist und b) wie gefordert den "Regeln der ärztlichen Kunst" entspricht.
Zu a) würde ich mir als Laie die Frage stellen, warum etwas für Säuglinge geeignet sein soll, was für Erwachsene als unzureichend angesehen würde. Wie der Begriff Oberflächenanästhetikum nahe legt, wird EMLA eigentlich angewendet, um die Haut oberflächlich zu betäuben (zur Verringerung von Einstichschmerzen etwa) und nicht, um einen chirurgischen Eingriff wie eine Beschneidung durchzuführen. Ich hoffe, ich komme dazu, mir die Studienlage irgendwann nochmal genauer anzuschauen, aber es scheint unstrittig zu sein, dass EMLA die Schmerzen während des Eingriffs nicht beseitigt, sondern höchstens lindert.
Zu b) müsste man fragen, ob irgendjemand (außer jüdischen Beschneidern) in Deutschland Beschneidungen unter ausschließlicher Anwendung eines Oberflächenanästhetikums durchführt. Ich bezweifle das sehr. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie zur Behandlung der Phimose sehen für den Fall einer Beschneidung eine "Allgemeinanästhesie, ergänzt durch eine Leitungsanästhesie (Penisblock, alternativ Kaudalblock)" vor. Wie soll dann bitte die Anwendung von EMLA den "Regeln der ärztlichen Kunst" entsprechen?
Man könnte jetzt wieder auf die AAP verweisen, die Salben wie EMLA für eine effektive Option hält, obwohl (!) sie selbst sagt, dass injizierte Anästhetika wirksamer sind. Ich habe dort allerdings keine Begründung gefunden, warum man auch die "schmerzhaftere" Variante angemessen findet, wenn bessere Optionen zur Verfügung stehen. Interessant ist allerdings, dass bereits an dieser Stelle sehr gut zu sehen ist, wie selektiv die AAP in dem jüngst veröffentlichten "Technical Report" mit der wissenschaftlichen Literatur umgeht.
Ein Review verschiedener Studien kam 2009 zu folgendem Ergebnis hinsichtlich des Vergleichs von Peniswurzelblock (DPNB) und EMLA: "Based on 35 clinical trials involving 1,997 newborns, it can be concluded that DPNB and EMLA do not eliminate circumcision pain, but are both more effective than placebo or no treatment in diminishing it. Compared head to head, DPNB is substantially more effective than EMLA cream. Ring block and lidocaine creams other than EMLA also reduced pain but did not eliminate it." (Brady-Fryer B, Wiebe N, Lander JA. Pain relief for neonatal circumcision. Cochrane Database Systematic Review. 2009) . Diese Studie findet sich im AAP-Report gar nicht, die Vorgängerstudie von 2004, die im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis kommt, wird dort in Bezug auf den Vergleich von EMLA und DPNB nicht herangezogen. Noch krasser finde ich allerdings, was die WHO (in ihrem "Manual for early infant male circumcision under local anaesthesia") der 2009er-Studie entnimmt: "If used correctly it [EMLA] is safe and provides effective anaesthesia." Wer so arbeitet, diskrediert sich (in einer idealen Welt) selbst. So viel auch zur WHO als Gralshüterin der medizinischen Weisheit (auf die sich dann ja auch Medizin-Professoren wie Leo Latasch berufen). Die sind anscheinend nicht einmal in der Lage, die Aussage einer medizinischen Studie zu verstehen.
Wenn man dieser Studie folgt (die methodischen Fragen der Schmerzforschung bei Neugeborenen könnte man wahrscheinlich auch ausführlich diskutieren), ist eine Vollnarkose das einzige Mittel zur Schmerzausschaltung bei der Beschneidung von Neugeborenen. Die nimmt natürlich bei einem medizinisch nicht indizierten Eingriff keiner vor. Und trotzdem: Eine Klarstellung hinsichtlich der Anwendung von EMLA sollte man vom Gesetzgeber fordern. Je weniger Schmerz, desto besser.
Soweit man davon ausgeht, dass muslimische und nicht-religiöse Beschneidungen in Deutschland ausschließlich von Ärzten durchgeführt werden, dürfte es hier wenigstens zur Anwendung eines injizierten Lokalanästhetikums kommen. In Krankenhäusern wird die Operation meines Wissens nach im Regelfall unter Vollnarkose durchgeführt. Das vordringliche Problem sind also die (wenigen) jüdischen Beschneidungen, die durch Mohelim vorgenommen werden.
Der Gesetzentwurf sieht nun folgendes vor:
Da es sich bei der Beschneidung der männlichen Vorhaut um einen Schmerzen verursachenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit handelt, ist als weitere Voraussetzung für die Berechtigung der Eltern zur Einwilligung eine effektive Schmerzbehandlung zu fordern – so auch der Deutsche Bundestag (Beschluss vom 19. Juli 2012: „ohne unnötige Schmerzen“), der Deutsche Ethikrat (Pressemitteilung vom 23. August 2012: „qualifizierte Schmerzbehandlung“) und die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. (Presseinformation vom 3. August 2012: „nur unter adäquater Schmerzbehandlung“). Der Regelungsvorschlag deckt diese Anforderung mit der Formulierung „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ ab, denn diese Regeln gebieten eine im Einzelfall angemessene und wirkungsvolle Betäubung und grundsätzlich eine für den Patienten möglichst schonende Durchführung der Beschneidung (vgl. Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. vom 3. August 2012; zum Anspruch des Patienten auf eine postoperative Schmerztherapie vgl. Uhlenbruck, MedR 1993, 296 <297>).
Stellt sich die Frage: Was ist eine im Einzelfall angemessene und wirkungsvolle Betäubung und wer entscheidet darüber? Anhaltspunkte dafür liefert das BMJ schon zu Beginn des Entwurfs:
In der Medizin besteht heute Einigkeit, dass die frühere Annahme, Neugeborene hätten kein oder nur ein unterentwickeltes Schmerzempfinden überholt ist. Daher wird auch bei Säuglingen eine Betäubung bzw. Schmerzbehandlung mit dem Ziel, möglichst Schmerzfreiheit zu erreichen, als medizinisch geboten angesehen (vgl. Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. vom 3. August 2012). Zum Teil wird dabei nach einer Sedierung durch ein Zäpfchen eine Lokalanästhesie im Wege der Injektion vorgenommen, zum Teil erfolgt die Auftragung einer anästhesierenden Salbe (etwa EMLA). Bei älteren Kindern wird der Eingriff auch unter Vollnarkose durchgeführt.
Ich lese das jetzt folgendermaßen: Der Einsatz eines Oberflächenanästhetikums ("anästhesierende Salbe") bei der Beschneidung von Säuglingen ist heute eine medizinisch akzeptierte, gängige Praxis. Jetzt kommt der dritte Schritt der Argumentation:
Über die Durchführung der Beschneidung im Einzelnen bestehen bei den unterschiedlichen Denominationen des Judentums verschiedene Ansichten. Die alte, orthodoxe Tradition (unter anderem Verzicht auf eine Schmerzlinderung) wird aber seit jeher auch von jüdischen Medizinern und Rabbinern kritisch gesehen. Denn der Verzicht auf eine adäquate Schmerzlinderung während der Beschneidung könne dem Kind zum Schaden gereichen, was nicht in der Absicht des religiösen Gebotes liege, zumal sich keine religiöse Vorschrift finden lasse, wonach man bei der Durchführung der Beschneidung Schmerz erleiden müsse (Deusel, a. a. O., S. 130 ff.). Zur Schmerzlinderung werden vielfach lokal Salben aufgetragen und/oder Zäpfchen verabreicht. Vollnarkosen oder Lokalnarkosen
durch injizierte Anästhetika sind bei der im Judentum üblicherweise am achten Tag nach der Geburt durchgeführten Beschneidung dagegen nicht gebräuchlich
Jetzt die Preisfrage: Sehe ich es richtig, dass also jüdische Beschneidungen in Zukunft mindestens unter Anwendung eines Oberflächenanästhetikums (EMLA) stattfinden müssen?
Wenn dem so ist, wäre die Frage, ob das a) ausreichend ist und b) wie gefordert den "Regeln der ärztlichen Kunst" entspricht.
Zu a) würde ich mir als Laie die Frage stellen, warum etwas für Säuglinge geeignet sein soll, was für Erwachsene als unzureichend angesehen würde. Wie der Begriff Oberflächenanästhetikum nahe legt, wird EMLA eigentlich angewendet, um die Haut oberflächlich zu betäuben (zur Verringerung von Einstichschmerzen etwa) und nicht, um einen chirurgischen Eingriff wie eine Beschneidung durchzuführen. Ich hoffe, ich komme dazu, mir die Studienlage irgendwann nochmal genauer anzuschauen, aber es scheint unstrittig zu sein, dass EMLA die Schmerzen während des Eingriffs nicht beseitigt, sondern höchstens lindert.
Zu b) müsste man fragen, ob irgendjemand (außer jüdischen Beschneidern) in Deutschland Beschneidungen unter ausschließlicher Anwendung eines Oberflächenanästhetikums durchführt. Ich bezweifle das sehr. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie zur Behandlung der Phimose sehen für den Fall einer Beschneidung eine "Allgemeinanästhesie, ergänzt durch eine Leitungsanästhesie (Penisblock, alternativ Kaudalblock)" vor. Wie soll dann bitte die Anwendung von EMLA den "Regeln der ärztlichen Kunst" entsprechen?
Man könnte jetzt wieder auf die AAP verweisen, die Salben wie EMLA für eine effektive Option hält, obwohl (!) sie selbst sagt, dass injizierte Anästhetika wirksamer sind. Ich habe dort allerdings keine Begründung gefunden, warum man auch die "schmerzhaftere" Variante angemessen findet, wenn bessere Optionen zur Verfügung stehen. Interessant ist allerdings, dass bereits an dieser Stelle sehr gut zu sehen ist, wie selektiv die AAP in dem jüngst veröffentlichten "Technical Report" mit der wissenschaftlichen Literatur umgeht.
Ein Review verschiedener Studien kam 2009 zu folgendem Ergebnis hinsichtlich des Vergleichs von Peniswurzelblock (DPNB) und EMLA: "Based on 35 clinical trials involving 1,997 newborns, it can be concluded that DPNB and EMLA do not eliminate circumcision pain, but are both more effective than placebo or no treatment in diminishing it. Compared head to head, DPNB is substantially more effective than EMLA cream. Ring block and lidocaine creams other than EMLA also reduced pain but did not eliminate it." (Brady-Fryer B, Wiebe N, Lander JA. Pain relief for neonatal circumcision. Cochrane Database Systematic Review. 2009) . Diese Studie findet sich im AAP-Report gar nicht, die Vorgängerstudie von 2004, die im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis kommt, wird dort in Bezug auf den Vergleich von EMLA und DPNB nicht herangezogen. Noch krasser finde ich allerdings, was die WHO (in ihrem "Manual for early infant male circumcision under local anaesthesia") der 2009er-Studie entnimmt: "If used correctly it [EMLA] is safe and provides effective anaesthesia." Wer so arbeitet, diskrediert sich (in einer idealen Welt) selbst. So viel auch zur WHO als Gralshüterin der medizinischen Weisheit (auf die sich dann ja auch Medizin-Professoren wie Leo Latasch berufen). Die sind anscheinend nicht einmal in der Lage, die Aussage einer medizinischen Studie zu verstehen.
Wenn man dieser Studie folgt (die methodischen Fragen der Schmerzforschung bei Neugeborenen könnte man wahrscheinlich auch ausführlich diskutieren), ist eine Vollnarkose das einzige Mittel zur Schmerzausschaltung bei der Beschneidung von Neugeborenen. Die nimmt natürlich bei einem medizinisch nicht indizierten Eingriff keiner vor. Und trotzdem: Eine Klarstellung hinsichtlich der Anwendung von EMLA sollte man vom Gesetzgeber fordern. Je weniger Schmerz, desto besser.