ZEIT online: "Mit einem Augenzwinkern erläutert Omnid Nouripour die Begriffe der Phrasenkultur."
Omid Nouripour, Abgeordneter der Grünen Bundestagsfraktion und am 12.12.12 natürlich klar auf Seiten der parlamentarischen Mehrheits"gesellschaft" für die Entrechtung von Jungen gegen Vorhautamputationen, hat jetzt auch ein witziges Büchlein zum Thema Integration geschrieben.
Irgendwie hätte man ja Wetten abschließen können, dass diese Gelegenheit wohl leider genutzt werden würde, um Propaganda für MGM zu betreiben und so gesellschaftliche Gräben wieder eher weiter vertieft werden, als dass man auf der Basis von seriösen Fakten aufeinander zugeht.
Aber gehen wir es im einzelnen durch. Vielleicht ergeben sich ja auch positive Überraschungen!
Nach Mitternacht in Berlin. Ich komme von einem Abstimmungsmarathon im Plenum des Deutschen Bundestages nach Hause, werfe mich mit der Fernbedienung bewaffnet auf die Couch, um ein wenig herunterzukommen vor dem Schlafengehen. Beim Zappen bleibe ich bei einem Lokalsender hängen, der auf der Straße wahllos Passanten nach ihrer Meinung zur Beschneidungsdebatte befragt. Ein übergewichtiger Schnurrbartträger mit Jeansweste zuckt mit den Schultern und sagt in unnachahmlicher Berliner Schnauze: ach, wen interessiert das bisschen Pelle.
Schön, dass es nach unaufgeregte Beiträge gibt, beim Thema Beschneidung ist das eher die Ausnahme.
Äh - sollte in dem Buch nicht die Phrasenkultur beäugt werden? Und dann das: "Das bißchen Pelle" als "schönes" Beispiel für "unaufgeregte Beiträge"! Genau: "Das bißchen Pelle" ist wirklich kein Bißchen eine Phrase, sondern ein sehr sachlicher Ausspruch, und dabei äußerst kultursensibel, besonders der einen Hälfte der Menschheit gegenüber. Auf der Basis von Menschenverachtung und Herabwürdigung männlicher Sexualität wünscht sich Herr Nouripour mehr Beiträge? Ist das sein Ernst?
Doch worum geht es bei der Diskussion eigentlich, nachdem das Landgericht in Köln die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen für unangemessen erklärt hat?
Für "unangemessen"? Entschuldigung, gibt es beim dtv-Verlag eigentlich gar kein Lektorat, also irgendeine Art von Qualitätskontrolle, damit nicht offensichtlicher Unsinn in einem Buch landet? Das Kölner Landgericht hat eine medizinisch nicht notwendige "Beschneidung" eines Jungen für rechtswidrig erklärt. Wie kommt Herr Nouripour auf "unangemessen"?
Zunächst einmal ist es eine Diskussion über die Beschneidung von Jungen, die Beschneidung von Mädchen ist unbestritten eine Barbarei. Wer sich dieser in ihrer gesamten Varianz (inkl. des Zunähens) und ihren Konsequenzen für das spätere Sexualleben der Mädchen beschäftigt hat, kann gar nicht erst dazu kommen, diese mit der Beschneidung von Jungen zu vergleichen.
Genau, wer weiß, dass ca. 15% aller weiblichen Genitalverstümmelungen in ihrer gravierendsten Form inkl. Zunähens der Vagina erfolgen, will gar nicht mehr wissen, was die restlichen 85% aller betroffenen Mädchen und Frauen in welcher Form und Invasivität erleiden. Darüber DARF man sich dann einfach gar nicht mehr informieren! Und: BLOSS NICHT DENKEN! Es bestünde ja die Gefahr, sich für das Leid betroffener Mädchen und Frauen in z.B. Malaysia und Indonesien zu interessieren, deren Genitalien nicht zugenäht werden, meist weniger Gewebeverlust erdulden müssen (das ist NICHT verharmlosend gemeint! Wir lehnen im Gegensatz zu Herrn Nouripour JEDE Verstümmelung ab) und deren Verstümmelungen mit genau den gleichen Argumenten verteidigt werden, mit denen Herr Nouripour in seinen öffentlichen Erklärungen Vorhautamputationen an Jungen rechtfertigt. Man stelle sich nur vor, das käme ans Licht der Öffentlichkeit! Deshalb weiter die strenge Devise: NICHT NACHDENKEN! Immer schön auf Linie der Mehrheitsparlamentsgesellschaft bleiben!
Zweitens hat das Landgericht keineswegs die Beschneidung an sich kritisiert. Die Diskussion dreht sich nicht um das Ob einer Beschneidung, sondern um den Zeitpunkt. Und zwar über den einer Beschneidung aus religiösen Gründen.
JAAA!!! VOLLTREFFER!!! Herzlichen Glückwunsch! Genau, es geht um den ZEITPUNKT der "Beschneidung"!!!
Mensch, seit Jahren reden wir uns den Mund fusselig deswegen, und wenigstens einer hat es jetzt kapiert: Omid Nouripour! Er ist der erste aller §1631d BGB Befürworter, dem dieser Geistesblitz widerfährt.
Denn:
Jeder kann man 18 machen, was er will, sich beschneiden lassen, sich tätowieren, oder sogar einen Selbstmordversuch machen, ohne dass er nachher vor Gericht steht. Das muss eine freie Gesellschaft aushalten, und das tut sie auch. Kommen wir uns jetzt endlich näher?
Dass in den USA die große Mehrheit der Männer beschnitten ist, weil die Beschneidung dort so etwas wie eine Standard-Hygiene-Maßnahme ist, stört die Verbotsbefürworter keineswegs in ihrer Argumentation.
Das ist aber leider schon wieder Quatsch. Warum sollte es ein Kölner Landgericht kümmern, ob sich Teile der amerikanischen Ärzteschaft sich an einer sexualfeindlichen Tradition aus dem vorletzten Jahrhundert orientieren? Sollte es sie auch kümmern, dass afrikanische Sitten z.T. verstümmelte weibliche Genitalien als hygienischer, reiner und sittsamer betrachten? Warum verschweigt Herr Nouripour, dass dieser inhumane und sexistische Wahnsinn in den USA konstant abnimmt und schon bald keine Mehrheit mehr darstellen wird? Seit wann interessiert Herrn Nouripour so sehr, was "die Mehrheit" denkt und tut?
Damit sind wir beim Dritten. Es geht bei der Debatte im Kern um das jüdische Leben in Deutschland.
Kann man ja mal einfach so behaupten, ist auch überhaupt keine Phrase, nööö. gar nicht. Begründen muss man das schon gar nicht.
Genau, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, TERRE DES FEMMES, (I)NTACT, TABU, der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, intaktiv, MOGiS, ja, eigentlich ALLEN Menschen weltweit, die sich für gleiche Rechte für alle Kinder einsetzen, geht es im Kern Tag und Nacht darum, wie sie religiöses Leben in Deutschland bekämpfen können. SO IST ES EINFACH!
Auch wenn manche muslimischen Verbände ihren Unmut äußerten, weil die Gemütslage dort nach Debatten wie die um das Buch von Thilo Sarrazin eine gekränkte ist - es gibt im muslimischen Glauben keine Vorschriften über den Zeitpunkt der Beschneidung, bei den orthodoxen Juden aber ist der achte Tag nach der Geburt für die Beschneidung festgeschrieben. Deshalb sollte man sich sehr genau überlegen, was ein Verbot von Beschneidungen von männlichen Säuglingen für das jüdische Leben ausgerechnet in Deutschland bedeutet.
Für Muslime gibt genau genommen ÜBERHAUPT KEINE "ZWINGENDE" VORSCHRIFT für eine Beschneidung. Es steht nicht einmal im Koran. Wohl aber Empfehlungen, die immer für Jungen, und in manchen Auslegungen auch für Mädchen gelten. Es handelt sich allerdings um tief verwurzelte Traditionen in muslimisch geprägter Kultur. Alles viel zu differenziert für Omid Nouripour. Hier zählt offensichtlich doch nur die stramme ideologische Linie. Das Volk braucht einfache Antworten.
Viertens sollte man sehr genau darauf achten, wie qualifiziert man diskutiert. Wer also mit Begriffen wie Körperverletzung um sich wirft, sollte bedenken: Eine Körperverletzung ist nicht in jedem Fall strafbar, denn eine Blinddarmoperation ist nach strenger Auslegung des Gesetzes auch eine Körperverletzung.
Oh ja, man sollte wirklich darauf achten, dass man sich qualifiziert äußert. Z.B. sollte man intellektuell in der Lage sein, zwischen der Entfernung eines entzündeten Blinddarms, der eine Lebensgefahr darstellt, und dem Abschneiden einer völlig gesunden Vorhaut, 50% der gesamten am Penis befindlichen Haut inkl. des sensibelsten Teils, unterscheiden zu können.
Und das andere... da kann ich mich wieder nur wundern, was dtv so alles durchgehen lässt: Natürlich ist eine Blinddarmentfernung eine Körperverletzung, aber sie ist durch eine zwingende gültige Patienteneinwilligung nicht rechtswidrig. Ist der Patient ein Kind, müssen die gesetzlichen Vertreter stellvertretend einwilligen. Und genau darum geht es wortwörtlich auch in §161d BGB: dass Eltern in eine Vorhautamputation ihrer Söhne rechtswirksam stellvertretend einwilligen können. Herr Nouripour hat wohl nicht einmal den Gesetzestext gelesen, den er stets so verteidigt. Seufz.
Die Diskussion dreht sich im Kern gar nicht um die Beschneidung selbst, sondern um Religion im Allgemeinen und vermeintliche kulturelle Unterschiede.
Das hatten wir doch eben schon. Wieder ohne Begründung. Erlebt man oft, aber durch Wiederholung werden unbegründete Thesen nicht automatisch stichhaltig. Nur Propaganda erfolgt so, nach dem Motto: irgendwas wird schon hängenbleiben.
Und hier wirds fast immer hitzig. Antisemitisch und rassistisch nennen die einen die Beschneidungskritiker, und die, die Beschneidung praktizieren, müssen sich als Kinderschänder diffamieren lassen. Ich selbst habe zig wütende Briefe und E-Mails bekommen, die mit Begriffen wie "Verstümmelung" und "Amputation" anfangen und bei »Dr. Mengele-Praktiken aufhören.
Ui, sehr sachlich. Medizinisch korrekte Begriffe und die für viele Betroffene zutreffende Definition "Verstümmelung" wird in einen Topf mit Nazijargon geschmissen. Wenn dass einige Schreiber taten: eine Sauerei. Aber muss Herr Nouripour sich deshalb auf das gleiche Niveau begeben? Also, dieses Buch scheint ein richtiges "Anti-Phrasen-Buch zu sein".
Dabei wurde mir schriftlich meine eigene Traumatisierung (wie die von Milliarden anderer Männer in den letzten 2500 Jahren!) aufgrund meiner Beschneidung attestiert, von Leuten, die mich noch nie gesehen haben! Und fast alle diese Zuschriften hören mit dem Hinweis auf, dass wir im 21.]ahrhundert lebten. Leute, ich weiß, ich habe wirklich einen großen Kalender im Büro hängen!
Herrn Nouripour zu unterstellen, er sei traumatisiert, ist allerdings eine Anmaßung. Trauma ist ein psychiatrisch definierter Begriff. Nix für Hobbydiagnosen via E-Mail. Feststehen tut nur, dass er Dinge erlebt hat, die traumaauslösend sein können. Ob seine Verleugnungshaltung gegenüber Fakten das Thema Vorhautamputation betreffend dafür ein Symptom sind, kann seriös nur er selbst bzw. ein Facharzt oder Psychotherapeut sagen, nicht andere. Aber die offensichtlichen Probleme in der Faktenwahrnehmung und die laufend unbegründeten krassen Vorwürfe fallen auf.
Die Diskussion ist aber trotz und jenseits der irre lauten Töne eine sehr berechtigte. Ein Großteil der jüdischen Gemeinden in Großbritannien praktiziert den Ritus einer symbolischen Beschneidung, bei der die üblichen Beschneidungsfestivitäten begangen werden - aber eben ohne die Beschneidung selbst. Diese wird dann vom Kind in mündigem Alter selbst entschieden. Diese Praxis ist zweifelsfrei die beste und einfachste Vereinbarung zwischen den Prinzipien der körperlichen Unversehrtheit auf der einen und der Religionsfreiheit auf der anderen Seite. Wobei die körperliche Unversehrtheit in diesem Fall als Prinzip tatsächlich wichtiger ist als das bisschen Pelle.
Wenn ich jetzt mal über die sexistische und menschenverachtende Begrifflichkeit "das bißchen Pelle" hinweg sehe (spricht Herr Nouripour eigentlich auch so über Hautteile weiblicher Genitalien? Käme das gut an in seiner "antisexistischen" grünen Partei?): Hier steht ja wirklich Vernünftiges. Endlich wird die eigene Entscheidung des Menschen über seinen Körper in die Diskussion gebracht und sogar dafür Partei ergriffen. Sogar für Jungen! Dafür hätte Herr Nouripour ja etwas tun können, z.B. mit seinem Abstimmungsverhalten am 12.12.12.
Die britische Variante aber haben die Gemeinden nach langer Debatte selbst und freiwillig eingeführt. Hätte der Staat die symbolische Beschneidung eingeführt, hätte er die tatsächliche Beschneidung in die Hinterhöfe getrieben, wo sie nicht unbedingt hygienischer und medizinisch sauberer praktiziert wird als in Krankenhäusern.
Mh... was ist eigentlich symptomatisch für eine "Hinterhofbeschneidung"?
Ich fasse zusammen:
- kein medizinisches Personal
- kein steriles Umfeld
- keine effektive unabhängige Kontrolle und Sicherstellung der in §1631d BGB vorgeschrieben Mindeststandards
- keine Dokumentation
- keine Betäubung
Also genau das, wofür Herr Nouripour am 12.12.12 seine Zustimmung gegeben hat. Der Zusatzabschnitt, der auch Nichtärzten die Vorhautamputation erlaubt, sind die Jungen nur klein genug, stellt die Ausrede dar, auf der Staatsanwaltschaften keine Ermittlungen einleiten, sogar bei lebensgefährlichen Zusatzpraktiken. Dies hat der Fall Teichtall offengelegt, gegen den alle deutschen Kinderarztverbände Sturm liefen, was keinen der dafür verantwortlichen Politiker auch nur die Bohne kratzte, offensichtlich auch nicht Herrn Nouripour.
Bravo, Herr Nouripour! Wegschauen ist auch eine Kunst, eigentlich besonders eine deutsche.
In der vierten Staffel der großartigen TV-Serie "Desperate Housewives" (Nein, ich habe kein Freizeit-Problem!) gibt es eine Folge, in der Bree Van de Kamp gegen den Willen ihres Mannes Orson Hedge den Neugeborenen von einem Rabbiner beschneiden lässt, der zufällig in der Nachbarschaft. ist. Zuvor hatte Orson in jeder denkbaren Klinik und Arztpraxis in der Umgebung angerufen, um zu verhindern, dass das Kind gegen seinen Willen beschnitten wird. Nach einem Verbot würde es dem Staat so gehen wie dem armen Orson.
Versteht das jemand? Ist Orson jetzt "arm", weil sein Sohn von einem Rabbiner beschnitten wurde? Hat Herr Nouripour jetzt gegen den Arztvorbehalt gestimmt oder dafür?
- Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
- Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
- Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
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