Medienecho auf Demo in Berlin

    • Medienecho auf Demo in Berlin

      Nein, ich will hier nicht den Blödsinn verzapfen, dass "das Judentum" die Welt beherrscht.

      Aber das Medionecho auf die Demo in Berlin war schon merkwürdig, sogar die ARD Tagesthemen haben gestern darüber berichtet. Auf dem Nachrichtenportal von t-online ist zu lesen:

      "Hunderte Demonstranten fordern Rechtssicherheit bei der Beschneidung"

      Leicht erkennbar wird hier die Zahl der Demonstranten sprachlich überhöht. Dabei sind 300 bei einer Demo in einer Millionenstadt so gut wie nichts, ein Rohrkrepierer. Die Argumente der Beschneidungsgegener werden natürlich mit keinem Wort erwähnt. Was geht hier vor?
      Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
      George Orwell
    • Stellt euch vor, man würde bei der Eucharistie Minderjährigen verbieten Wein zu trinken und ihnen stattdessen Traubensaft geben. Für 99% der Deutschen wäre das absolut in Ordnung. Dennoch würden sich die Medien mit Titeln wie "hasserfüllter Atheismus" und "religiosverachtender Säkularismus" überschlagen und in allen Talkshows wären Bischöffe und Politiker, die den Untergang des Okzidents beschwören würden.
      Medien brauchen Bilder. Das ist alles.
    • Irgendwie ist es mir auch immer wieder ein Rätsel, warum das "Establishment" dieses Landes sich der jüdischen Gemeinschaft (oder auch Israel) gegenüber zu unbedingter Solidarität verpflichtet fühlt. Natürlich könnte man das mit Blick auf den Holocaust moralisch begründen. Das Problem ist nur, dass Merkel, Westerwelle und Co. mit Moral normalerweise nicht allzu viel am Hut haben. Warum also ausgerechnet an diesem Punkt?

      Was ich mich aber auch frage, ob die jüdische Gemeinschaft in Deutschland (bzw. diejenigen, die für sie zu sprechen in Anspruch nehmen) darüber nachdenkt, welche Wirkung ihr derzeitiges Auftreten eigentlich auf den Rest der Bevölkerung hat. Ich kann es nachvollziehen, dass Juden sich gegen das Kölner Urteil aussprechen. Aber der Ton, in dem das geschieht, ist unerträglich. Einerseits diese Überdramatisierung des Kölner Urteils (mittlerweile haben sich ja Einige wohl darauf festgelegt, dass das alles nur Ausdruck von Antisemitismus ist) und andererseits dann die Verniedlichung der rituellen Beschneidung (mit der unglaublichen Empörung darüber, wie sich andere Menschen überhaupt darüber aufregen können, dass man an Säuglingen ohne effektive Betäubung einen medizinisch nicht notwendigen, irreversiblen chirurgischen Eingriff vornimmt). Dazu jede Menge Halbwahrheiten, Unsachlichkeiten und hin und wieder ein bisschen scheinbares Entgegenkommen.

      Unglaublich auch die Parolen der Demo: "Haut ab. Kippa auf." Klarer geht's doch eigentlich nicht mehr: Entweder man ist für die Beschneidung Minderjähriger (wie wär's mit Solidaritätsbeschneidungen?) oder man ist Antisemit. Das Motto "Auf Messers Schneide: Religionsfreiheit" könnte man bestenfalls als Chuzpe verbuchen, schlechtestenfalls als Zynismus.

      Der Höhepunkt ist dann die Aussage, dass einen gesetzliche Regelungen im Zweifelsfall sowieso nicht interessieren. Was soll man dazu sagen, wenn Ehrenberg am Sonntag den Journalisten von Haaretz zu einer für Montag angesetzten Beschneidung in die Synagoge einlädt? Für so viel Dreistigkeit hätte der Mann eigentlich die nächste Strafanzeige verdient. Dann könnte die Berliner Staatsanwaltschaft ja gleich mal testen, wieviel ihre neue Regelung wert ist. Und für die öffentliche Aussage "Lieber eine Strafanzeige vom Staatsanwalt als eine von Gott!" hätte ein Muslim in diesem Land wahrscheinlich sofort den Verfassungsschutz am Hals, ein Rabbiner kann es sich aber offenbar erlauben.

      Es ist unerfreulich, dass man sich als Gegner der Beschneidung minderjähriger Kinder überhaupt mit diesen Dingen auseinandersetzen muss. Aber wenn die Beschneidungsfreunde mittlerweile konsequent den Antisemitismus-Joker ausspielen, bleibt einem wohl nichts anderes übrig als sich auch dazu zu positionieren.
    • panther schrieb:

      bleibt einem wohl nichts anderes übrig als sich auch dazu zu positionieren.
      genau das ist die Falle, die dann zuschnappt.
      Man muss sich nicht dagegen positionieren, sondern man kämpft für körperl. Unversehrtheit, für Gleichstellung der Geschlechter, für die spätere, freie Religionsausübung des Kindes...
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Ganz ehrlich?!

      Gääähn!
      Den Artikel hätte man schon vor zwei Wochen schreiben können und es wäre nicht aufgefallen. Warum das so ein Medienhype ist? Weil das Thema viele Menschen beschäftigt (Ich kenne nicht einen Menschen, der FÜR Beschneidung ist), weil es gute Bilder verspricht, weil es so schön gegensätzlich ist (dafür- dagegen, Religion- Aufklärung....)- und weil es einen gewissen Grusel hat.
      Wenn man es schafft, das Ganze aus größerer Entfernung zu betrachten, muß man eigentlich lachen:
      Da stehen ein paar Leute mitten in der Hauptstadt mit sehr lustigen Hütchen auf dem Kopf und bestehen mit frechen Sprüchen darauf, daß sie kleinen Kindern die Vorhaut amputieren dürfen.
      Ein wenig skurril, oder?
    • Ich sehe es ehrlich gesagt nicht so entspannt. Ich meine auch, dass man sich sehr wohl dagegen positionieren sollte.
      Bisher habe ich mit Ausnahme von Herrn Wolffsohn noch keine jüdische Stimme gehört, die Beschneidungen ablehnt. Stattdessen Angriffe, Schmähungen, Beleidigungen und der ewige Vorwurf des Antisemitismus.
      Das alles unwidersprochen stehen zu lassen fällt mir schwer, sehr schwer. Ich will das nicht hinnehmen, ich will mir nicht unterstellen lassen, ich, wir, die Gegner der rituellen Zwangsbeschneiungen seien antisemitisch.
      Mir reichts langsam, ewig die gleiche Leier zu hören und permanent zu erklären, dass wir nicht das Judentum abschaffen wollen sondern unsägliche Schmerzen und psychisches und physisches Leid verhindern.
      Und sich diesen Stimmen entgegen zu stellen heißt ja nicht, mit gleicher Munition zu schießen. Aber sich zu wehren muss erlaubt sein.
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun: die Aufmerksamkeit der Medien für die Demo und die Sprüche von denen sehe ich gelassen, ja. Andererseits sind die Unterstellungen den Beschneidungsgegnern gegenüber unverschämt. Ich habe nie etwas anderes behauptet.

      Ich fand z.B. die Stellungnahme von Weguer (als "Smart") auf haOlam total klasse. Absolut lesenswert, falls das jemand noch nicht gemacht hat.

      Wir brauchen nicht unsererseits aggressiv oder beleidigend zu werden, das ist kontraproduktiv und wir haben sowas nicht nötig. Ich gebe zu, auch ab und an mal die Nerven verloren zu haben (nicht hier, aber auf Facebook), aber ich habe mich immer drüber geärgert.

      Wer sich rüpelhaft verhält, verliert Sympathien und Glaubwürdigkeit. Es gibt kaum etwas, was uns besser in die Hände spielt. Je doller die es treiben, desto besser - für unsere Sache. Andererseits habe ich auch schon lange Bedenken wegen der Tatsache, dass die sich derart unanständig verhalten und so grenzenlos unverschämt und beleidigend sind, dass sie sich wohl zwangsläufig einen schlechten Ruf einhandeln. Und das, nachdem das Judentum hier jahrelang einen sehr anständigen Ruf hatte.
    • RE: Ganz ehrlich?!

      Ava schrieb:


      Da stehen ein paar Leute mitten in der Hauptstadt mit sehr lustigen Hütchen auf dem Kopf und bestehen mit frechen Sprüchen darauf, daß sie kleinen Kindern die Vorhaut amputieren dürfen.
      Ein wenig skurril, oder?


      Noch skurriler ist aber die Tatsache, dass genau diese "paar Leute" eine so große mediale Präsenz und offenbar einen enormen politischen Einfluss haben, wenn es darum geht, ihre Interessen durchzusetzen.
    • panther schrieb:

      und offenbar einen enormen politischen Einfluss haben, wenn es darum geht, ihre Interessen durchzusetzen.

      Genau das ist der Punkt, auf den ich hinauswollte. Ein paar Zeilen in irgendeinem Tagblatt schreiben zu lassen ist eine Sache, einen Bericht in die ARD Tagesthemen zu bekommen eine andere. Dazu muss man es schaffen, dass die mit einem Kamerateam antanzen und auch die Interviews waren mit SIcherheit vorbereitet. Es gibt Ereignisse, über die das öffentlich/rechtliche Fernsehen nicht hinwegsehen kann, sowas wie die Mini-Demo in Berlin muss ihnen aber extrem schmackhaft gemacht worden sein.
      Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
      George Orwell
    • Wer weiss, vielleicht haben sie ja wirklich mit ein paar Menschen mehr gerechnet. Wie ich gelesen habe, waren unter den dreihundert Demonstranten auch Kritiker der Beschneidung, welche sich dann auch zu Wort gemeldet haben. Soweit ich weiss ist die Demo auch auf Youtube zu finden.
      Ich diskutiere nicht ob falsch oder wahr, ich propagiere nicht, ich lege dar (Arno Holz)