Kann ein Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuch das Strafgesetz brechen

    • Kann ein Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuch das Strafgesetz brechen

      Infolge des Beschneidungsgesetzes im Bürgerlichen Gesetzbuch und unter anderem der Begründung der Verfahrenseinstellung in der Cause Teichman, möchte ich eine allgemeine Frage richten.

      Kann ein Paragraph m Bürgerlichen Gesetzbuch einen Paragraphen im StGB "brechen" also übertrumpfen? Gibt es andere Beispiele wo eine Regelung festgeschriebem im Bürgerlichen Gesetzbuch einen Strafparagraphen ausschaltet oder wird mit dem Beschneidungsgesetz einfach unter der neuen Annahme verfahren.

      Wäre den juristisch Bewanderten unter euch sehr dankbar für antworten.
    • Wenn man das Grundgesetz außen vor lässt:
      Durch den §1631d BGB hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die ... unter den Randbedingungen ... seiner Meinung nach eben keine strafbare Körperverletzung nach §223 StGB darstellt.
      Der §223 StGB ist dadurch ja nicht insgesamt "ausgeschaltet". Er ist dadurch nur bei einer ganz bestimmten Körperverletzung nicht einschlägig.
      Durch den §1631d BGB ist es nicht mehr Sache der Gerichte zu entscheiden, ob ... unter den Bedingungen ... eine strafbare Körperverletzung ist. Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber den Gerichten abgenommen.

      Aber wahrscheinlich ist das ganz falsch, ich bin weder Jurist noch bewandert. ;)
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    • Sokrates schrieb:


      Kann ein Paragraph m Bürgerlichen Gesetzbuch einen Paragraphen im StGB "brechen" also übertrumpfen?

      Im Prinzip ja, wobei ein Jurist wohl kaum diese Worte benutzen würde. Bei der Beschneidung bleibt der rein strafrechtliche Tatbestand ja grundsätzlich zunächst bestehen. Er bleibt aber wegen der Bestimmungen im BGB straffrei. Ebenso bei ärztlicher Behandlung. Hier greifen die im BGB niedergelegten Bestimmungen über die Einwilligung.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • werner schrieb:

      Sokrates schrieb:


      Kann ein Paragraph m Bürgerlichen Gesetzbuch einen Paragraphen im StGB "brechen" also übertrumpfen?

      Im Prinzip ja, wobei ein Jurist wohl kaum diese Worte benutzen würde. Bei der Beschneidung bleibt der rein strafrechtliche Tatbestand ja grundsätzlich zunächst bestehen. Er bleibt aber wegen der Bestimmungen im BGB straffrei. Ebenso bei ärztlicher Behandlung. Hier greifen die im BGB niedergelegten Bestimmungen über die Einwilligung.

      Gibt es da Präzedenzfälle? Ist also althergebrachte Praxis, durch gewisse Privilegien und Vorrechte, festgeschrieben im BGB, einzelne Straftatbestände außer Kraft zu setzen.
    • Die Erfüllung eines Straftatbestandes setzt 3 Elemente voraus, die in folgender Reihenfolge zu prüfen sind: 1. Tatbestand 2. Rechtswidrigkeit 3. Schuld.

      Der Tatbestand ist der objektive Lebenssachverhalt. Hier liegt bei Beschneidung eindeutig eine Körperverletzung vor, das wird kein Jurist bestreiten, auch keiner der Beschneidungsbefürworter. Gleiches gilt ja auch für medizinische Eingriffe. Die Crux liegt bei Schritt 2, der Rechtswidrigkeit. Die Rechtswidrigkeit kann ausgeschlossen werden durch Rechtfertigungsgründe. Ein Rechtfertigungsgrund ist insbesondere die Einwilligung des Verletzten ( ein anderer ist zB Notwehr; nebenbei: Die Wirksamkeit einer Einwilligung als Rechtfertigungsgrund ist nur bei vom Gesetz als ganz besonders schwerwiegenden Verletzungen ausgeschlossen, zB bei Tötung ). Die Einwilligung kann idR nur durch den Betroffenen selbst erfolgen, oder eben durch seine gesetzlichen Vertreter ( Eltern, Betreuer ). § 1631 d BGB normiert also einen Rechtfertigungsgrund , der die Rechtswidrigkeit - und somit die Strafbarkeit insgesamt - ausschließt. Er steht somit formaljuristisch nicht im Widerspruch zum Strafgesetz.
    • Der entscheidende Punkt bei der Sache sind die verfassungsrechtlichen Fragen. Und hier ist es so das kein Grundrecht gegen ein anderes gestellt werden darf (Betroffene Artikel 2, 4, 6 GG). Hinzu kommt Art. 1 GG als alles umfassendes Grundrecht. Im übrigen wird durch den § 1631d sehr wohl der § 223 StGB ausgehebelt, was wiederum einen Verfassungsverstoß darstellt. Straftat (Stichwort: Anzeige) geht vor Bürgerlichen Recht. Es kommt eben darauf an ob es vor dem Familiengericht oder dem Strafgericht landet. DAs BGB ist kein Freibrief um Straftaten zu umgehen.
    • Der entscheidende Punkt bei der Sache sind die verfassungsrechtlichen Fragen.

      Die wirken sich aber erst aus, wenn der §1631d vor das BVerfG kommt.
      Und das BVerfG könnte dann eine ganz ähnliche Linie fahren wie beim §218a:
      1. Den §1631d für verfassungswidrig erklären. Weil er Unrecht zu Recht umetikettiert. Und weil er geschlechtsdiskriminierend wirkt.
      2. Dem Gesetzgeber einen Fingerzeig geben, wie das Dilemma zu "lösen" ist:
      Langes Geschwurbel, wie wichtig doch die Grundrechte "körperliche Unversehrtheit" und die Würde des Menschen seien - und das das alles selbstverständlich auch für Kinder gelte.
      Aber dann:
      Dass es aber dem Gesetzgeber frei stünde und nicht verfassungswidrig sei, wenn der Gesetzgeber der Meinung sei, dass die körperliche Unversehrtheit der Kinder bei Eingriffen vom Kaliber der Zirkumzision eben durch andere Maßnahmen als das Strafrecht besser geschützt werden könnte - und das gesetzlich verankere.
      (Nach dem Motto: die machen es ja doch, aber dann beim Pfuscher - das Hinterzimmer-Argument, bzw. das Stricknadel-Argument beim 218a - bzw. das Glasscherben-Argument bei der FGM)
      D.h. die MGM und FGM Typ Ia würden für rechtswidrig, aber straflos erklärt, wenn bestimmte "kinderschützende" Rahmenbedingungen eingehalten werden.
      D.h. es würde sich nichts ändern, denn für Otto- bzw. Emma-Normalverbraucher ist "straflos" exakt das selbe wie "total legal".
      Edit: Für Jungen würde sich nichts ändern - für Mädchen würde sich die Situation verschlechtern. (Aber das wäre dann eben nach dem Motto: macht ja hier eh keiner)

      PS: Für eine derartige Regelung hatten sich im letzten Jahr einige Abgeordnete ausgesprochen, denen vor allem die geplante Legitimierung des Eingriffs ein Dorn im Auge war. Das ist aber an vehementen Protesten (wenn ich mich Recht erinnere von jüdischer Seite) gescheitert. Aber wie gesagt, es wäre keinen Deut besser gewesen.
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    • § 1631 d BGB normiert einen Rechtfertigungsgrund . Das ist an sich nicht systemwidrig, sondern etwas völlig normales. Dass eine wirksame Einwilligung die Strafbarkeit ausschließt, ist , von wenigen Ausnahmen abgesehen, allgemein anerkannt. Beispiel: Wer ein fremdes Auto zerstört, erfüllt rein objektiv den Tatbestand der Sachbeschädigung. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Eigentümer einwilligt. Die Einwilligung des Eigentümers lässt aber die Rechtswidrigkeit entfallen. Die Einwilligung stellt also einen Rechtfertigungsgrund dar, der die Rechtswidrigkeit der Tat ( und damit die Strafbarkeit ) entfallen lässt.

      Nun ist es so, dass bei Minderjährigen oder Personen unter Betreuung, die keine rechtswirksame Einwilligung abgeben können, der gesetzliche Vertreter für ihn spricht und einwilligen kann . Dieser kann im Rechtsverkehr umfassend für ihn handeln und rechtswirksame Erklärungen abgeben, die genauso wirken, als hätte der Betroffene diese selbst gegeben. Nun ist aber auch zu beachten, dass das Vertretungsrecht des gesetzlichen Vertreters nicht grenzenlos ist, sondern er ist grundsätzlich den Interessen des Vertretenen verpflichtet. Verletzt er diese, macht er sich haftbar, ggfs sogar strafbar. Bei Minderjährigen werden die Interessen des Vertretenen durch den Begriff des " Kindeswohls" gesetzlich definiert. Dieser Begriff ist aber ein unbestimmter und daher auslegungsbedürftig. Grundsätzlich haben die Eltern ein relativ weites Ermessen bei der Auslegung des Begriffes des " Kindeswohls" und Eingriffe durch gesetzliche Eingriffe sind nur zulässig bei grobem Missbrauch oder Vernachlässigung des Erziehungsrechtes. Hier gibt es im Gesetz punktuell einige ausdrückliche Normierungen ( zB Verbot von Sterilisation, körperlicher Züchtigung), aber im Übrigen ist das Auslegungssache. Der juristische Streitpunkt ist letztendlich, ob die Einwilligung in eine Beschneidung einen solchen Missbrauch darstellt. Und erst hier kommt auch das Verfassungsrecht ins Spiel , nämlich das grundgesetzlich geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit, welches natürlich auch im Rahmen der Ausübung des elterlichen Vertretungs- und Erziehungsrechtes zu beachten ist. Aber Vorsicht ! Dem Grundgesetz ist nicht zu entnehmen, dass gesetzliche Vertreter/ Eltern unter keinen Umständen einem körperlichen Eingriff zustimmen dürfen. Das dürfen ( ggfs ist es sogar geboten ) sie selbstverständlich, wenn es dem Interesse des Kindes ( dem Kindeswohl ) dient, zB bei einer medizinischen Indikation.

      Die streitige Frage ist eben, ob eine Beschneidung auch ohne medizinische Begründung dem Kindeswohl dienen kann. Hier werden ja von der Befürworterseite verschiedene Gründe angeführt ( Hygiene, gesundheitliche Vorteile, Aufnahme in eine religiöse Gemeinschaft, kulturelle Identität ). Hier sind wir Beschneidungsgegner mit vielen guten Gründen und Argumenten der Auffassung, dass all diese angeführten Gründe nicht ausreichen, um eine körperliche Verletzung zu rechtfertigen. Generell sollte es uns darum gehen, körperliche Eingriffe nur dann als einwilligungsfähig zu sehen, wenn sie der Körperpflege oder der medizinischen Indikation dienen. Eine solche generelle Norm existiert allerdings bisher nicht. Zudem können wir uns mit guten Gründen auf Wertungswidersprüche im geltenden Recht berufen, das zB unserer Auffassung nach weit geringfügigere oder gleichwertige Eingriffe als missbräuchlich eingestuft werden ( zB leichtere Varianten der FGM, Ohrfeige etc ).

      Ich hoffe es ist nun klar geworden, wo die eigentliche rechtliche Problematik liegt.
    • werner schrieb:

      Danke, Picard_72.

      Ich hoffe, daraus wird klar, dass es sich beim " Übertrumpfen" nicht um Präzedenzfälle handelt, sondern um ein ganz normales juristisches Vorgehen.

      Ok, aber meine Frage war ja, gibt es andere Paragraphen im Bürgerlichen Gesetzbuch, die Tätigkeiten, die eindeutig in den Bereich eines Strafastbestand fallen würden, aus diesem wieder herausheben - die also ähnliche Rechtsfertigungsgründe liefern?
    • Im Sorgerecht nicht, aber es gibt zB verschiedene Umstände, wo es erlaubt ist, fremde Grundstücke zu betreten ( ein skurriles wie beliebtes Beispiel ist § 962 BGB : Der Eigentümer eines Bienenschwarms darf zur Verfolgung eines ausgezogenen Bienenschwarms fremde Grundstücke betreten - wäre strafrechtlich Hausfriedensbruch ) . Oder das Vermieterpfandrecht - der Vermieter kann im Falle von Mietschulden eigenmächtig Inventar des Mieters pfänden, sofern sie nicht den Pfändungsschutzvorschriften unterliegen- wäre strafrechtlich Diebstahl oder Unterschlagung . Das sind nur einige wenige Beispiele.
    • picard_72 schrieb:

      Im Sorgerecht nicht, aber es gibt zB verschiedene Umstände, wo es erlaubt ist, fremde Grundstücke zu betreten ( ein skurriles wie beliebtes Beispiel ist § 962 BGB : Der Eigentümer eines Bienenschwarms darf zur Verfolgung eines ausgezogenen Bienenschwarms fremde Grundstücke betreten - wäre strafrechtlich Hausfriedensbruch ) . Oder das Vermieterpfandrecht - der Vermieter kann im Falle von Mietschulden eigenmächtig Inventar des Mieters pfänden, sofern sie nicht den Pfändungsschutzvorschriften unterliegen- wäre strafrechtlich Diebstahl oder Unterschlagung . Das sind nur einige wenige Beispiele.

      Ok, aber im Familienrecht gibt es dies nicht. Bei Körperverletzungen doch eigentlich auch nicht.
    • Na ja, nicht nur das BGB. Rechtfertigungsnormen für Sachverhalte, die " an und für sich" unter das Strafrecht fallen, können sich in allen möglichen Gesetzen finden. Denk zB an die Polizeigesetze. Auch die erlauben ja uU dem Polizisten körperliche Gewalt anzuwenden, zB um einen flüchtigen Verdächtigen zu fassen. Oder die Strafprozessordnung, die jedermann ein Festnahmerecht gegenüber auf frischer Tat ertappten Tatverdächtigen bis zum Eintreffen der Polizei erlaubt. Klar, und wenn man dann zB die Befugnisse der Polizei erweitert ( oder einschränkt ), so ändert dies uU auch die bisherige strafrechtliche Bewertung von polizeilichem Handeln, ohne dass das StGB geändert werden muss. Das Strafrecht steht eben nicht für sich, und über den anderen Gesetzen , sondern dient sozusagen der Rechtsordnung als Ganzes.
    • Das besondere ist hier die Qualität der Körperverletzung - die Amputation eines nicht nachwachsenden Körperteils. Ein Polizist z.B. darf einen u.U. mit dem Gummiknüppel bearbeiten, sogar auf einen schießen - aber einen Körperteil abschneiden darf er nicht.
      Ein solcher lebenslanger Verlust (die Vorhaut und das Frenulum müssen als Eigentum des Kindes angesehen werden - das Eigentum des Kindes dürfen die Eltern nicht vermindern) bedarf einer zwingenden, rational nachvollziehbaren Rechtfertigung.
      Die Amputation eines Körperteils ohne das Einverständnis des Betroffenen ist eigentlich nur in extremen medizinischen Notlagen denkbar, z.B. wenn eine Amputation bei einem Bewusstlosen lebensnotwendig und unaufschiebbar ist. Bei einem Kind muss andernfalls eine akute erhebliche Gesundheitsgefahr bestehen.
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