Saubere Verhältnisse

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    • Saubere Verhältnisse

      DER SPIEGEL 33/1999 -
      Saubere Verhältnisse


      Mit fast religiösem Eifer beharken dabei einander:
      * die Ärzte, von denen ein Teil darauf beharrt, allen Knaben müsse aus medizinischen Gründen sofort nach der Geburt die Vorhaut per Beschneidung ("Zirkumzision") entfernt werden - was der andere Teil nicht ohne Grund für wissenschaftlich kostümierten Unfug hält;
      * die Schwulen, die sich vornehmlich im Internet über die ästhetischen und sexuellen Valeurs der chirurgisch freigelegten Eichel im Vergleich zum naturbelassenen Penis fetzen: "Eure unbeschnittenen Schwänze zu wichsen", wies ein besonders engagierter Diskutant die Gegenfraktion zurecht, "ist einfach widerlich";
      * die sich gegenseitig radikalisierenden Selbsthilfegruppen männerbewegter Beschnittener, die über die "sexuelle Verstümmelung" an ihren Gliedern wehklagen und jetzt ihr "Menschenrecht auf eine Vorhaut" einfordern - kein Problem für die moderne Technik, die auch für diese Facette des menschlichen Leids einige, wenn auch recht bizarre Lösungen bereit hält.
      Nun hat die einflussreiche Organisation der Kinderärzte ihre bislang fest zementierte Meinung radikal geändert und erklärt, dass eine chirurgisch freigelegte Eichel für das Wohlergehen des Menschen nicht wesentlich sei - für die Beschneidungsaktivisten brach eine Welt zusammen.
      Prompt sahen sie hygienische Übelstände ohnegleichen unter den Vorhäuten zukünftiger Generationen heraufziehen und warnten vor "verkrusteten Eicheln", "verpilzten Präputialsäcken" und "schwersten Phimosen" - wohl nicht ohne Hintergedanken, denn schließlich nimmt der amerikanische Doktor dem Knaben nicht nur die Vorhaut ab, sondern seinen Eltern auch bis zu 400 Dollar.
      Nicht minder dick tragen bei dieser akademischen Version des Kreuzzuges freilich auch die Beschneidungsgegner auf. Besonders Phantasiegesteuerte wie Dr. Paul Fleiss, der Wortführer des Widerstands, verklären das Smegma schier zur Wunderpaste und die Vorhaut zum Mysterikon: Beide spielten, so behaupten er und seine Mitstreiter, eine immens wichtige Rolle bei der Immunabwehr, weshalb der Mann sein präputiales Biotop keinesfalls durch Waschen zerstören dürfe.
      Zur gleichen Aussage kommen die wenigen Beschneidungsstudien, die sich auf den gesunden Menschenverstand stützen statt auf fixe Ideen und kurios interpolierte Krankheitsdaten aus den Tiefen Indiens und Afrikas. Diese Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass es dem Penis ziemlich gleichgültig ist, ob er beschnitten wurde oder nicht: Er bleibt, ob nun bedeckt oder blank, bei 99 Prozent der heterosexuellen Männer zeitlebens frei von ernsthaften Beschwerden.
      "Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen" (Hermann Hesse)
      "Die schönste Frucht der Gerechtigkeit ist Seelenfrieden" (Epikur)