Liebe Christenheit,
als (Ex-)Protestantin, die eines Tages ausgetreten ist, weil sie nicht mehr an Gott glaubte, habe ich in der Jugend einen erstklassigen Konfirmanden-Unterricht genossen und nach dem Abitur Religionswissenschaft studiert. Jesus von Nazareth (so wie ihn das Neue Testament beschreibt) ist mir auf meinem Lebensweg stets ein Vorbild geblieben, an dem ich mich orientiert habe, von dessen Geschichte ich mein Denken und Handeln und mein Gewissen leiten ließ.
Dass die sog. christlichen Grundsätze jene Grundwerte sind, auf denen unsere abendländische Kultur fußt, auf die unsere Demokratie baut und die gerade auch in politischer Hinsicht als Orientierungspunkt gelten, habe ich darum stets sehr begrüßt.
Selbstverständlich hat das Christentum die Nächstenliebe nicht erfunden, aber es hat sie zum wichtigsten und maßgeblichsten Gebot überhaupt ernannt und darauf allein kann man mit Fug und Recht stolz sein. Wer sich also „Christ“ nennt, darf sich auf die Fahnen schreiben, das Prinzip der Nächstenliebe, so wie Jesus es lehrt, als das erste Prinzip seiner menschlichen Existenz all seinem Handeln zu Grunde zu legen.
Als ich als gläubige Jugendliche den Pfarrer in meiner Heimatstadt fragte, was denn mit all den Menschen sei, die nicht an Christus glauben, und gar mit jenen, die nichts von ihm wissen, ob die denn verloren seien, las mein Pfarrer, der ein kluger Mann war, mit uns Math. 25, das Gleichnis vom Endgericht. Da stand sinngemäß: Wer seinen Dienst der Nächstenliebe an Gott versehen habe, der sei am Ende nicht verloren und dürfe seine Herrlichkeit schauen. Und die Nächstenliebe an Gott ist der Dienst am Schwächsten unter uns: an den Obdachlosen auf der Straße, an der alten Frau, die ihre Einkäufe nicht alleine nach Hause tragen kann, an einem Freund, der sich bei uns ausweint, an jedem, der im Stich gelassen wurde, an jedem einzelnen, der unterdrückt wird und sich nicht zur Wehr setzen kann. Dem zu helfen, sofern man in der Position ist, helfen zu können, der schwach und wehrlos ist – das sei das Gebot welches über allem stehe, ganz gleich woran man glaubt oder nicht. Mit dieser Antwort des Pfarrers konnte ich leben, konnte ich mich konfirmieren lassen, zu diesem Glauben aus voller Überzeugung „ja“ sagen und einige Jahre später sogar aus der Kirche austreten, ohne diese jemals zu kritisieren, wie viele Nicht-Christen es tun. Auch wenn ich meinen Glauben an Gott verloren hatte, so blieb mir doch die Überzeugung, dass das Gebot der Nächstenliebe weiterhin bestünde und dass ich es fernab jeder Institution immer leben konnte.
Will sagen: ich habe verstanden, was der Wert des Christentums ist. Und nun würde ich mir wünschen, dass alle, die sich so stolz „Christen“ nennen, ihren großen Reden auch Taten folgen lassen.
In dieser Woche wird ein Gesetz beschlossen, das es der Willkür von Eltern überlässt, ob sie ihrem Sohn die Penis-Vorhaut amputieren lassen. Batsch! Da haben wir das wehrlose Kind und da haben wir den machtvollen Staat. Da haben wir eine sog. christliche Partei an der Regierung, gar eine christliche Bundeskanzlerin. Und was nun?
Angst. Eine Angst, die ich verstehe: Angst vor der Öffentlichen Meinung. Angst, religionsfeindlich dazustehen. Angst, im Ausland als antisemitisch zu gelten. Man räumt seitens des Gesetzgebers sogar ein, dass es wohl hier und da den Kindern nicht so gut tut, beschnitten zu werden. Man weiß darum. Doch man will nicht in Ungnade fallen. Also, bei den Kindern, die inzwischen erwachsen sind und jetzt versuchen, einen umzustimmen, die versuchen, weitere Opfer zu schützen, bei denen in Ungnade zu fallen ist nicht so schlimm. Die haben keine Macht, die Macht zu gefährden. Aber die Öffentlich Meinung – ja, die ist zu fürchten.
Als Bundeskanzlerin sollte man aus Gründen der Abwägung mehrerer Übel vor der Öffentlichen Meinung in die Knie gehen. Getrost sollte man das Leid einer „Minderheit“ in Kauf nehmen, um sich weiterhin unantastbar und politisch korrekt darzustellen. Weiterhin wird man dann regierungsfähig sein. Als politisch verständigem Menschen leuchtet mir das ein und soweit ist daran auch nichts zu kritisieren. Lieber ein paar Opfer mehr da draußen, als am eigenen Stuhl zu sägen. Nur so kann eine Regierung stabil bleiben.
Auch als Papst oder als Evangelische Kirche Deutschlands kann man so wunderbar sein Prestige gegenüber der breiten Masse fördern. „Wir sind keine Antisemiten. Wir sind nicht religionsfeindlich. Wir sind politisch korrekt.“ Ja, so kann man seine Institution „Kirche“ verwalten, Kann Säle füllen und Gottesdienste feiern.
Und wäre für mich die Geschichte um Jesus von Nazareth nicht einfach eine Fabel, die mir als Orientierung im Leben dient, sondern so wie für euch, die ihr euch Christen nennt, die nicht in Frage zu stellende Wahrheit, dann könnte ich mich gelassen zurücklehnen und in der Bibel lesen:
„Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eine oder einen von diesen Geringsten nicht getan habt, habt ihr auch für mich nicht getan.“ (Math. 25, 45, Bibel in gerechter Sprache)
Eure Angst vor „dem Stärkeren“ werde ich euch nicht nehmen können. Doch ich fordere euch hiermit auf, es fernerhin zu unterlassen, euch als „Christen“ zu bezeichnen.
Gislinde Nauy
als (Ex-)Protestantin, die eines Tages ausgetreten ist, weil sie nicht mehr an Gott glaubte, habe ich in der Jugend einen erstklassigen Konfirmanden-Unterricht genossen und nach dem Abitur Religionswissenschaft studiert. Jesus von Nazareth (so wie ihn das Neue Testament beschreibt) ist mir auf meinem Lebensweg stets ein Vorbild geblieben, an dem ich mich orientiert habe, von dessen Geschichte ich mein Denken und Handeln und mein Gewissen leiten ließ.
Dass die sog. christlichen Grundsätze jene Grundwerte sind, auf denen unsere abendländische Kultur fußt, auf die unsere Demokratie baut und die gerade auch in politischer Hinsicht als Orientierungspunkt gelten, habe ich darum stets sehr begrüßt.
Selbstverständlich hat das Christentum die Nächstenliebe nicht erfunden, aber es hat sie zum wichtigsten und maßgeblichsten Gebot überhaupt ernannt und darauf allein kann man mit Fug und Recht stolz sein. Wer sich also „Christ“ nennt, darf sich auf die Fahnen schreiben, das Prinzip der Nächstenliebe, so wie Jesus es lehrt, als das erste Prinzip seiner menschlichen Existenz all seinem Handeln zu Grunde zu legen.
Als ich als gläubige Jugendliche den Pfarrer in meiner Heimatstadt fragte, was denn mit all den Menschen sei, die nicht an Christus glauben, und gar mit jenen, die nichts von ihm wissen, ob die denn verloren seien, las mein Pfarrer, der ein kluger Mann war, mit uns Math. 25, das Gleichnis vom Endgericht. Da stand sinngemäß: Wer seinen Dienst der Nächstenliebe an Gott versehen habe, der sei am Ende nicht verloren und dürfe seine Herrlichkeit schauen. Und die Nächstenliebe an Gott ist der Dienst am Schwächsten unter uns: an den Obdachlosen auf der Straße, an der alten Frau, die ihre Einkäufe nicht alleine nach Hause tragen kann, an einem Freund, der sich bei uns ausweint, an jedem, der im Stich gelassen wurde, an jedem einzelnen, der unterdrückt wird und sich nicht zur Wehr setzen kann. Dem zu helfen, sofern man in der Position ist, helfen zu können, der schwach und wehrlos ist – das sei das Gebot welches über allem stehe, ganz gleich woran man glaubt oder nicht. Mit dieser Antwort des Pfarrers konnte ich leben, konnte ich mich konfirmieren lassen, zu diesem Glauben aus voller Überzeugung „ja“ sagen und einige Jahre später sogar aus der Kirche austreten, ohne diese jemals zu kritisieren, wie viele Nicht-Christen es tun. Auch wenn ich meinen Glauben an Gott verloren hatte, so blieb mir doch die Überzeugung, dass das Gebot der Nächstenliebe weiterhin bestünde und dass ich es fernab jeder Institution immer leben konnte.
Will sagen: ich habe verstanden, was der Wert des Christentums ist. Und nun würde ich mir wünschen, dass alle, die sich so stolz „Christen“ nennen, ihren großen Reden auch Taten folgen lassen.
In dieser Woche wird ein Gesetz beschlossen, das es der Willkür von Eltern überlässt, ob sie ihrem Sohn die Penis-Vorhaut amputieren lassen. Batsch! Da haben wir das wehrlose Kind und da haben wir den machtvollen Staat. Da haben wir eine sog. christliche Partei an der Regierung, gar eine christliche Bundeskanzlerin. Und was nun?
Angst. Eine Angst, die ich verstehe: Angst vor der Öffentlichen Meinung. Angst, religionsfeindlich dazustehen. Angst, im Ausland als antisemitisch zu gelten. Man räumt seitens des Gesetzgebers sogar ein, dass es wohl hier und da den Kindern nicht so gut tut, beschnitten zu werden. Man weiß darum. Doch man will nicht in Ungnade fallen. Also, bei den Kindern, die inzwischen erwachsen sind und jetzt versuchen, einen umzustimmen, die versuchen, weitere Opfer zu schützen, bei denen in Ungnade zu fallen ist nicht so schlimm. Die haben keine Macht, die Macht zu gefährden. Aber die Öffentlich Meinung – ja, die ist zu fürchten.
Als Bundeskanzlerin sollte man aus Gründen der Abwägung mehrerer Übel vor der Öffentlichen Meinung in die Knie gehen. Getrost sollte man das Leid einer „Minderheit“ in Kauf nehmen, um sich weiterhin unantastbar und politisch korrekt darzustellen. Weiterhin wird man dann regierungsfähig sein. Als politisch verständigem Menschen leuchtet mir das ein und soweit ist daran auch nichts zu kritisieren. Lieber ein paar Opfer mehr da draußen, als am eigenen Stuhl zu sägen. Nur so kann eine Regierung stabil bleiben.
Auch als Papst oder als Evangelische Kirche Deutschlands kann man so wunderbar sein Prestige gegenüber der breiten Masse fördern. „Wir sind keine Antisemiten. Wir sind nicht religionsfeindlich. Wir sind politisch korrekt.“ Ja, so kann man seine Institution „Kirche“ verwalten, Kann Säle füllen und Gottesdienste feiern.
Und wäre für mich die Geschichte um Jesus von Nazareth nicht einfach eine Fabel, die mir als Orientierung im Leben dient, sondern so wie für euch, die ihr euch Christen nennt, die nicht in Frage zu stellende Wahrheit, dann könnte ich mich gelassen zurücklehnen und in der Bibel lesen:
„Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eine oder einen von diesen Geringsten nicht getan habt, habt ihr auch für mich nicht getan.“ (Math. 25, 45, Bibel in gerechter Sprache)
Eure Angst vor „dem Stärkeren“ werde ich euch nicht nehmen können. Doch ich fordere euch hiermit auf, es fernerhin zu unterlassen, euch als „Christen“ zu bezeichnen.
Gislinde Nauy
- Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
- Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
- Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)