Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) hat ein neues Portal speziell zur Patienteninformation unter der Bezeichnung „Urologische Stiftung Gesundheit“ geschaffen. In einer Pressemittelung der DGU heißt es:
Wie sieht es nun mit den „wissenschaftlich fundierte Patienteninformen“ beim Themenkomplex Vorhaut, Phimose und Beschneidung aus?
Man hat wirklich nur die alten, teils schon Jahrzehnte alten Texte vom Urologenportal auf die neue Internetpräsenz übertragen! Um es vorne zu sagen: Die Informationen zum Thema Phimose, die auf dieser Seite beruhen auf einer veralteten, mehrfach ersetzten Leitlinie, die ihrerseits auf noch älteren Studien beruhen. Die neueren Leitlinien der DGU werden einfach ignoriert! So werden genau die Art von veralteten Falschinformationen verbreitet, die zu unnötigen Behandlungen und auch Beschneidungen führen müssen.
Infotext „Phimose“ auf Basis veralteter Leitlinie:
So findet sich auf der Webseite Informationstext zur Phimose, in dem falsche Angaben zur Entwicklung der Vorhaut gemacht werden, die auf Douglas Gairdners „Fate of the Foreskin“ aus dem Jahr 1949 beruhen.(1) Ferner wird eine Indikation zur Therapie bei einer normalen, physiologischen Phimose ohne Beschwerden im Vorschulalter empfohlen:
Dieser Text hätte schon längst überarbeitet werden müssen, denn er beruht auf einer mittlerweile völlig veralteten S1-Leitlinie „Phimose und Paraphimose“ der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (2) aus dem Jahr 2013. Zwar werden keine Quellen angegeben, allerdings ist der Text identisch mit einem Text, der früher auf dem Urologenportal zu finden war und die Leitlinie nannte. Im Prinzip handelt es sich bei dem Text um eine leicht umformulierte Version der Leitlinie. Diese Leitlinie – und damit auch der Artikel – beruht ihrerseits wieder hauptsächlich auf der 70 Jahre alten Arbeit Gairdners:
Der Hintergrund: Der britische Kinderarzt Douglas Gairdner erklärte in einem 1949 veröffentlichten Fachartikel, dass etwa 90% der 3-jährigen und 95% der 5-jährigen Knaben eine zurückziehbare Vorhaut hätten. Durch dieses Werk wurde die falsche Idee in die Köpfe festgesetzt, dass die sog. „physiologische Phimose“ – d. h. die natürliche Vorhautverklebung und -verengung - welche praktisch bei allen neugeborenen Jungen vorliegt – sich bereits im Vorschulalter zurückbilden würde.
Dabei zeigen sämtliche seit 1968 veröffentlichte Studien, dass die Auflösung der physiologischen Phimose bis weit ins Pubertätsalter andauern kann, und dass im Vorschulalter erst eine kleine Minderheit der Jungen eine vollständig retrahierbare Vorhaut haben.(3-9) So haben im Alter von 4 Jahren je nach Studie nur etwa 11% (6) bis 19% (3) eine vollständig zurückziehbare Vorhaut und entsprechend besteht bei 81% bis 89% der Jungen zumindest partiell noch eine physiologische Phimose.
Gairdners Arbeit dient dabei nicht nur als Grundlage für die Darstellung der Vorhautentwicklung sondern auch als Grundlage für die Diagnose und Indikation: Weil laut Dr. Gairdner bei der Mehrheit der Knaben die Vorhaut bereits bis zum Alter von 5 Jahren zurückziehbar wird, wird eine darüber hinaus bestehende Phimose einfach zum behandlungsbedürftigen bzw. operationsbedürftigen Problem erklärt.
Im Klartext: Es wird hier eine Therapie gesunder Kinder mit einem normalen Entwicklungszustand empfohlen, der sogar in diesem Alter noch bei der großen Mehrheit der Jungen vorhanden ist. Und das alles auf Basis einer über 70 Jahren alten, mehrfach widerlegten Arbeit.
Auch das Ballonieren der Vorhaut beim Wasserlassen wird als krankhafter Zustand darstellt. Und das obwohl die Ballonierung in Verbindung mit einer physiologischen Phimose in der internationalen Fachliteratur seit Jahren als harmloses, physiologisches Phänomen beschrieben wird.(10- 16)
Die Leitlinie, auf dem der Text beruht, ist wie gesagt mittlerweile mehr als veraltet. Mittlerweile sind gleich zwei überarbeitete Neuauflagen der Phimose-Leitlinie (2017 und 2021) erschienen, an deren Erstellung die DGU im Gegensatz zur 2013er-Leitlinie sogar beteiligt war. Diese neuen Leitlinien kommen aber auf diesem Informationsportal nirgendwo vor!
Informationsflyer
Neben diesem Text wird auf einem Informationsflyer „Phimose und Hodenhochstand“ der DGU von 2015 verwiesen. Dieser war zwar zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung evidenzbasierter als vieles andere, was damals in der deutschsprachigen Literatur zu finden war - ist aber inzwischen auch schon veraltetet. Auch im Flyer findet sich eine falsche auf Gairdners Arbeit beruhende Darstellung der Vorhautentwicklung.
Zum Teil sind die Informationen auf diesen Patientenportal auch widersprüchlich: Während der Web-Text die Ballonierung als Indikation für eine Operation beschreibt, heißt es im Flyer von 2015, das „Bild einer sich beim Wasserlassen aufblasenden (ballonierenden) Vorhaut ist alleine kein zwingender Grund für eine Beschneidung“.
Artikel „Beschneidung beim Mann“ von 2006:
Zu guter letzt gibt es da auch noch den berüchtigten Artikel „Beschneidung beim Mann“ von 2006. Dieser Artikel wurde hier im Forum schon häufig thematisiert. Ich weiß ehrlich gesagt, wie ich diesen Artikel widerlegen soll. Anders als der Phimose-Artikel, der zum Teil auf veralteten wissenschaftlichen Studien beruht, sind die Behauptungen in diesem Artikel an den Haaren herbei gezogen. In diesem Artikel finden sich solche kruden Behauptungen wie:
Das ist natürlich übelster pseudowissenschaftlicher Unsinn. Es gibt keine Studien, die derartige Äußerungen belegen.
Dagegen existieren Studien, die zum Ergebnis hatten, dass beschnittene Männer im Vergleich zu nicht-beschnittenen Männern öfter an häufigen Orgasmusproblemen litten (17), bzw. eine geringere Orgasmus-Intensität und sowie größere Anstrengungen für das Erreichen eines Orgasmus aufwiesen.(18)
FAZIT:
Verantwortlich für diese Seite sind laut Pressemitteilung der DGU:
Angesichts der auf dieser Seite verbreiteten Falschinformationen, ist geradezu ein Hohn, wenn in der Pressemitteilung behauptet wird, die Seite liefere „wissenschaftlich fundierte Patienteninformationen".Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Noch mal zusammenfassend: Die auf der Seite verbreiteten Informationen zum Thema Vorhautentwicklung und Phimose beruhen auf einer veralteten, mehrfach durch neuere Leitlinien ersetzten Leitlinie, die ihrerseits auf einer vielfach widerlegten Studie aus den 1940ern beruhte, und daher zur Behandlung eines normalen, sinnvollen Entwicklungszustandes rät.
Pressemitteilung der DGU; schrieb:
Die Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) hat mit der Gründung der Urologischen Stiftung Gesundheit gGmbH (USG) und dem Launch des neuen Patientenportals www.urologische-stiftung-gesundheit.de einen wichtigen Schritt zur Förderung der urologischen Gesundheitskompetenz der Bevölkerung vollzogen. Die Website wurde eigens für urologische Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen sowie die interessierte Öffentlichkeit konzipiert und erleichtert seit Mai 2022 den gezielten Zugang zu wissenschaftlich fundierten Patienteninformationen in der Urologie. Inzwischen sind alle patientenrelevanten Informationsangebote der DGU, die zuvor auf der Internetpräsenz der Fachgesellschaft (www.urologenportal.de) integriert waren, ausschließlich auf dem neuen Patientenportal der USG abrufbar.
Wie sieht es nun mit den „wissenschaftlich fundierte Patienteninformen“ beim Themenkomplex Vorhaut, Phimose und Beschneidung aus?
Man hat wirklich nur die alten, teils schon Jahrzehnte alten Texte vom Urologenportal auf die neue Internetpräsenz übertragen! Um es vorne zu sagen: Die Informationen zum Thema Phimose, die auf dieser Seite beruhen auf einer veralteten, mehrfach ersetzten Leitlinie, die ihrerseits auf noch älteren Studien beruhen. Die neueren Leitlinien der DGU werden einfach ignoriert! So werden genau die Art von veralteten Falschinformationen verbreitet, die zu unnötigen Behandlungen und auch Beschneidungen führen müssen.
Infotext „Phimose“ auf Basis veralteter Leitlinie:
So findet sich auf der Webseite Informationstext zur Phimose, in dem falsche Angaben zur Entwicklung der Vorhaut gemacht werden, die auf Douglas Gairdners „Fate of the Foreskin“ aus dem Jahr 1949 beruhen.(1) Ferner wird eine Indikation zur Therapie bei einer normalen, physiologischen Phimose ohne Beschwerden im Vorschulalter empfohlen:
Im frühen Säuglings- und Kindesalter ist die Verklebung der Vorhaut ein Normalbefund (Häufigkeit zum Zeitpunkt der Geburt 96%). Reifungsvorgänge bedingen eine Auflösung der physiologischen Vorhautverklebung und -enge bei der übergroßen Mehrzahl der Knaben im Alter von 3 bis 5 Jahren.
Therapiebeginn: Bei unkomplizierter Vorhautverengung ist der Beginn einer Therapie im Vorschulalter, bei Beschwerdefreiheit auch später, zu empfehlen.
(...)
Operation der Vorhautverengung bei Kindern:Sollten die genannten Maßnahmen keinen Erfolg gehabt haben, besteht oft nur noch die Möglichkeit einer operativen Behandlung. (...)Weiterhin können beim älteren Kind die Unmöglichkeit bzw. Schmerzen beim Zurückziehen einer zu engen Vorhaut Gründe für eine Operation sein.
Dieser Text hätte schon längst überarbeitet werden müssen, denn er beruht auf einer mittlerweile völlig veralteten S1-Leitlinie „Phimose und Paraphimose“ der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (2) aus dem Jahr 2013. Zwar werden keine Quellen angegeben, allerdings ist der Text identisch mit einem Text, der früher auf dem Urologenportal zu finden war und die Leitlinie nannte. Im Prinzip handelt es sich bei dem Text um eine leicht umformulierte Version der Leitlinie. Diese Leitlinie – und damit auch der Artikel – beruht ihrerseits wieder hauptsächlich auf der 70 Jahre alten Arbeit Gairdners:
Der Hintergrund: Der britische Kinderarzt Douglas Gairdner erklärte in einem 1949 veröffentlichten Fachartikel, dass etwa 90% der 3-jährigen und 95% der 5-jährigen Knaben eine zurückziehbare Vorhaut hätten. Durch dieses Werk wurde die falsche Idee in die Köpfe festgesetzt, dass die sog. „physiologische Phimose“ – d. h. die natürliche Vorhautverklebung und -verengung - welche praktisch bei allen neugeborenen Jungen vorliegt – sich bereits im Vorschulalter zurückbilden würde.
Dabei zeigen sämtliche seit 1968 veröffentlichte Studien, dass die Auflösung der physiologischen Phimose bis weit ins Pubertätsalter andauern kann, und dass im Vorschulalter erst eine kleine Minderheit der Jungen eine vollständig retrahierbare Vorhaut haben.(3-9) So haben im Alter von 4 Jahren je nach Studie nur etwa 11% (6) bis 19% (3) eine vollständig zurückziehbare Vorhaut und entsprechend besteht bei 81% bis 89% der Jungen zumindest partiell noch eine physiologische Phimose.
Gairdners Arbeit dient dabei nicht nur als Grundlage für die Darstellung der Vorhautentwicklung sondern auch als Grundlage für die Diagnose und Indikation: Weil laut Dr. Gairdner bei der Mehrheit der Knaben die Vorhaut bereits bis zum Alter von 5 Jahren zurückziehbar wird, wird eine darüber hinaus bestehende Phimose einfach zum behandlungsbedürftigen bzw. operationsbedürftigen Problem erklärt.
Im Klartext: Es wird hier eine Therapie gesunder Kinder mit einem normalen Entwicklungszustand empfohlen, der sogar in diesem Alter noch bei der großen Mehrheit der Jungen vorhanden ist. Und das alles auf Basis einer über 70 Jahren alten, mehrfach widerlegten Arbeit.
Auch das Ballonieren der Vorhaut beim Wasserlassen wird als krankhafter Zustand darstellt. Und das obwohl die Ballonierung in Verbindung mit einer physiologischen Phimose in der internationalen Fachliteratur seit Jahren als harmloses, physiologisches Phänomen beschrieben wird.(10- 16)
Die Leitlinie, auf dem der Text beruht, ist wie gesagt mittlerweile mehr als veraltet. Mittlerweile sind gleich zwei überarbeitete Neuauflagen der Phimose-Leitlinie (2017 und 2021) erschienen, an deren Erstellung die DGU im Gegensatz zur 2013er-Leitlinie sogar beteiligt war. Diese neuen Leitlinien kommen aber auf diesem Informationsportal nirgendwo vor!
Informationsflyer
Neben diesem Text wird auf einem Informationsflyer „Phimose und Hodenhochstand“ der DGU von 2015 verwiesen. Dieser war zwar zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung evidenzbasierter als vieles andere, was damals in der deutschsprachigen Literatur zu finden war - ist aber inzwischen auch schon veraltetet. Auch im Flyer findet sich eine falsche auf Gairdners Arbeit beruhende Darstellung der Vorhautentwicklung.
Zum Teil sind die Informationen auf diesen Patientenportal auch widersprüchlich: Während der Web-Text die Ballonierung als Indikation für eine Operation beschreibt, heißt es im Flyer von 2015, das „Bild einer sich beim Wasserlassen aufblasenden (ballonierenden) Vorhaut ist alleine kein zwingender Grund für eine Beschneidung“.
Artikel „Beschneidung beim Mann“ von 2006:
Zu guter letzt gibt es da auch noch den berüchtigten Artikel „Beschneidung beim Mann“ von 2006. Dieser Artikel wurde hier im Forum schon häufig thematisiert. Ich weiß ehrlich gesagt, wie ich diesen Artikel widerlegen soll. Anders als der Phimose-Artikel, der zum Teil auf veralteten wissenschaftlichen Studien beruht, sind die Behauptungen in diesem Artikel an den Haaren herbei gezogen. In diesem Artikel finden sich solche kruden Behauptungen wie:
Hat die Beschneidung Auswirkungen auf das Liebesleben?
Manche Männer berichten über verstärkte Höhepunkte beim Geschlechtsverkehr (Orgasmen). Auch vermehrte Ausdauer beim Geschlechtsverkehr wird angegeben.
Das ist natürlich übelster pseudowissenschaftlicher Unsinn. Es gibt keine Studien, die derartige Äußerungen belegen.
Dagegen existieren Studien, die zum Ergebnis hatten, dass beschnittene Männer im Vergleich zu nicht-beschnittenen Männern öfter an häufigen Orgasmusproblemen litten (17), bzw. eine geringere Orgasmus-Intensität und sowie größere Anstrengungen für das Erreichen eines Orgasmus aufwiesen.(18)
FAZIT:
Verantwortlich für diese Seite sind laut Pressemitteilung der DGU:
Pressemitteleinung der DGU schrieb:
betonen die zwei Geschäftsführer der Urologischen Stiftung Gesundheit, Prof. Dr. Helmut Haas, ehemals DGU-Vorstandsmitglied, und der medizinische Geschäftsführer der DGU, Dr. Holger Borchers. Mitglieder des Medical Boards sind Prof. Dr. Susanne Krege, Dr. Eva Hellmis, Prof. Dr. Dr. Johannes Huber, Prof. Dr. Maximilian Kriegmair, Prof. Dr. Axel Merseburger und Prof. Dr. Christian Wülfing. Das Medical Board steuert die inhaltliche Weiterentwicklung des Portals und setzt aktuell relevante Schwerpunkte bei der Patientenaufklärung.
Angesichts der auf dieser Seite verbreiteten Falschinformationen, ist geradezu ein Hohn, wenn in der Pressemitteilung behauptet wird, die Seite liefere „wissenschaftlich fundierte Patienteninformationen".Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Noch mal zusammenfassend: Die auf der Seite verbreiteten Informationen zum Thema Vorhautentwicklung und Phimose beruhen auf einer veralteten, mehrfach durch neuere Leitlinien ersetzten Leitlinie, die ihrerseits auf einer vielfach widerlegten Studie aus den 1940ern beruhte, und daher zur Behandlung eines normalen, sinnvollen Entwicklungszustandes rät.
Dieser Beitrag wurde bereits 18 mal editiert, zuletzt von Sokrates ()