Links zum Rechsstaat

    • Links zum Rechsstaat

      Hallo zusammen, ich schaue gerade auf WDR III "West-Art: Wie gerecht ist unser Rechsstaat?" und
      • bin dadurch auf eine Linkliste geführt worden, die für die rechtliche Würdigung unseres Themas interessant sein könnte: Links
      • habe aufgemerkt als das Gäfgen-Urteil (Entschädigung für ihn wegen Folterandrohung) angesprochen wurde, das vom Menschengerichtshof so vorgegeben wurde, denn die Menschenrechte würden über allem stehen. Da würde ich doch folgern (ähnlich wie beim Verbot entführte Passagiermaschinen u.U. abzuschiessen), dass auch die besondere allgemeine religiöse Bräuche nicht zu Sonderfreiheiten berechtigen, die jemanden seiner körperlichen Unversehrheit - auf die er ein jedermann einleuchtendes primäres Recht hat - berauben.
      Einer der Links oben führt auf das Dossier: "Rechtsstaat", und darin findet sich im Abschnitt Der liberale Rechtsstaat folgender Satz
      Das wirtschaftlich aufstrebende Bürgertum hat die Prinzipien des liberalen Rechtsstaates im Kampf gegen den monarchischen Obrigkeitsstaat, der die Bürger als Untertanen bevormundete, durchgesetzt.
      Frage: Sollte man diesen Gedanken nicht fortführen im Sinn: Der liberalen Rechtsstaat hat die nie endende Aufgabe seine Prinzipien im Kampf gegen Religionsgemeinschaften, die den Bürger als Gläubige nicht nur fördern sondern auch bevormunden wollen, durchzusetzen und zur freien, eigenverantwortlichen Lebensgestaltung anzuhalten.
    • Dein Beitrag erinnert mich wieder an etwas und zwar an den Fall Daschner:
      Dieser Mann ist für die bloße ANDROHUNG von körperlicher Gewalt (in der Funktion seines Amtes) vor Gericht gekommen, weil er hoffte, auf diesem Weg etwas über den Verbleib des Kindes zu erfahren.
      Menschlich mag dieses Verhalten allzu verständlich sein, aber ein Rechtsstaat kann es sich unter KEINEN Umständen erlauben, die körperliche Integrität eines Menschen zu verletzen und noch nicht einmal damit zu drohen.
      Wenn das Recht auf körperliche Unversehrtheit einerseits als so hoch eingestuft wird, wie kann es dann zu einem solchen " Beschneidungsgesetz" kommen?
      Man fragt sich langsam, ob einige Politiker nicht aus Unwissen, sondern aus einer rassistischen empathielosen Haltung heraus, die Praktik befürworten: "Lassen wir sie gewähren.....mit IHREN Kindern können sie machen, was sie wollen, Klagemöglichkeiten schließen wir aus, denn wenn die das so wollen, sind sie selber schuld wenn etwas passiert. Was gehen uns deren Kinder an?!"
    • Ava, das Argument zur Analogie der Causa Daschner gefällt mir.
      Einerseits die Androhung von Gewalt an einem geständigen Entführer, um eventuell ein Leben zu retten. Diese Drohung wurde bestraft.
      Andererseits die tatsächlich durchgeführte Gewalt an einem Kind aus religiösen oder auch anderen Gründen, sie wird per Gesetz legalisiert.
      Ist DAS Recht?????
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • @Ava - Hi, der Herr Daschner war der leitenden Beamte im Fall Gäfgen - und hat meine volle Sympathie. Ich sehe sein Verhalten als Nostand an, der sich vielleicht kein zweites Mal wiederholen darf (dass mag man noch ausführlicher diskutieren, als es in der Zeit nach dem Urteil bis heute geschehen ist), aber doch Grenzen aufzeigt, wo die Gesetzgebung verbesserungswürdig und -fähig ist.
      Die Besonderheit im Fall Gäfgen war ja, dass
      1. sicher war, dass Gäfgen, der Entführer des Kindes ist (also kein "Geständnis" erpresst werden sollte,
      2. das Leben des Kindes bedroht war (nicht nur angenommene sondern wirkliche Todesgefahr), das von Gäfgen aber nicht - und fraglich war, ob die Drohung wirklich in die Tat umgesetzt worden wäre, denn wenn man im letzten Moment von einer Straftat zurücktritt, kann man auch nicht wegen ihr bestraft werden, allenfalls wegen der Vorbereitung/Verabredung zu ihr, was ein ganz anderes Strafmaß beinhaltet.
      Ich halte es jedenfalls für falsch, dass Gäfgen Entschädigung zugesprochen wurde, aus moralischen Gründen verdient er sie nicht, da er sich selbst ja außerhalb moralischer Werte gestellt hat. Vergleichbar mit meiner Position sehe ich da unseren GG-Artikel 18 (Verwirklichung von Grundrechten], Satz 1.

      Das Abschussverbot von Passagiermaschinen hätte ich auch nicht erlassen, sondern das Problem (logisch gesehen das "Dilemma") anders gelöst: Gesetzt der Fall das Flugzeug nimmt Kurs auf ein Gebäude, in dem sich engste Angehörige oder höchst geliebte Menschen eines Passagiers befinden, so würde dieser doch versuchen jene zu retten, zumal er ohnehin höchstwahrscheinlich beim Absturz das eigene Leben verliert. Er wird alles begrüßen, was in dieser Richtung läuft, mithin auch den Abschuss der Maschine, in der er selbst sitzt. Dieses Recht zum Selbstopfer, das er für sich in Anspruch nimmt, muss er natürlich auch allen anderen an Bord zugestehen, mithin wird er vernünftigerweise einstimmen, dass die Maschine abgeschossen wird, selbst wenn zufälligerweise keiner der Passagiere Verwandte vor Ort hat (was man nicht wissen kann). Aus dem gleichen Grund ziehen ja Soldaten ggf. auch in den Verteidigungskrieg, nicht etwa weil sie die "Heimat verteidigen wollen" (sei es am Hindukusch oder sonstwo), sondern weil sie ihre Familie beschützen wollen und die Umstände das nur indirekt erlauben in dem ich auch Orte verteidige, an denen sich meine Famlie nicht befindet - wohl aber vielleicht die des Kameraden.

      Wäre ich Richter gewesen, ich hätte in beiden Fällen also anders geurteilt. (Abgesehen davon: Ich glaube schon, dass ggf. die Bundeswehr eine Passagiermaschine abschießen würde, wenn sicher ist, das sie über bestimmten Bauwerken (vollbesetzte Stadien, ungesicherte Kernkraftwerke, Staudämme etc. ) zum Absturz gebracht werden soll und das der eine oder andere Militärpilot sich wahrscheinlich weigern würde den entsprechenden Befehl auszuführen, ein anderer sich aber finden lässt.

      Nochmal. In meinen Augen wird beim Abschuss einer zum Zweck eines Terroranschlags entführten Passagiermaschine nicht die Menschenwürde der Passagiere verletzt, weil das sich für andere Menschen opfern auch zur Menschlickeit, zu seiner Würde (mit der er sich sonst auch vom Tier unterscheiden will) gehört.

      Bei der Beschneidung aber liegt der Fall anders, da ich nicht folgern kann, dass das Kind - hätte es die Freiheit - sich beschneiden lassen will oder überhaupt auch nur die Religion der Eltern fortführen will, sobald es deren Aufsicht und Einflussnahme entzogen ist. Relgionsfreiheit der Eltern als Erziehungsberechtigte kann eigentlich nur heißen: die Kinder gemäß der eigenen Religion erziehen und ihnen diese Relgion beispielhaft durch eigenes Tun und Lassen nahebringen, aber eben nur als Angebot und nicht als Pflicht. Kant hat da mal die feine Unterscheidung für ein "pflichtgemäßes Handeln" und einem "Handeln aus Pflicht" herausgearbeitet.

      An einer anderen Stelle (die ich momentan leider nicht wiederfinde) habe ich zum Thema "Was ist Vernunft" das Beispiel von der Straßenbahn gebracht, die spielende fremde Kinder gefährdet, und das auf die Frage zuläuft, ob der eine Beobachter den anderen von der Brück stoßen darf, damit der mit seinem schweren Körper das Unglück verhütet. - Hier wäre meine Antwort: Nein, denn ich kann nicht unterstellen, dass der Mann auch auf meinem hohes Opferniveau ist und also sich selbst opfern würde, so wie ich es täte. [ich - als der Beobachter in dem Beispiel].

      Wieweit es ein jeder von uns - nun wir hier im Forum, mich eingeschlossen - es mit dem Opfer für andere hält, muss ja schon jeder entscheiden, wenn demnächst die Organspendeausweise eintreffen.
    • Hm, verstehe ich nicht ganz :(

      Welches " höhere Rechtsgut" könnte durch die Beschneidung "geschützt" werden? Das "Überleben der Gemeinschaft" in der Wüste (nach jüdischem Religionsverständnis)? Die "Liebe zu Gott"? Oder andersherum gefragt: welches Rechtsgut würde verletzt, wenn ich die Beschneidung unterlasse? Da sind wir ja doch wieder bei der Güterabwägung, die m.E. das Grundgesetz bereits entschieden hat, oder?

      Übrigens hat irgendein Rabbi mal - sinngemäss - gesagt: "Ja, ich finde die Beschneidung auch unmenschlich. Aber Gott hat seine eigene Moral, und der muss ich folgen". Auch ein Standpunkt :(
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • @Awa: Wow, diese Vermutung dürfte aber einer Reihe von Leuten gar nicht passen, ist aber nicht ganz von der Hand zu weisen.
      "Lassen wir sie gewähren.....mit IHREN Kindern können sie machen, was
      sie wollen, Klagemöglichkeiten schließen wir aus, denn wenn die das so
      wollen, sind sie selber schuld wenn etwas passiert. Was gehen uns deren
      Kinder an?!"
      @werner: Ich glaube wir sind uns alle hier einig, das die körperliche Unversehrheit weitaus mehr wiegt als das Recht der Eltern auf Beschlagnahme ihrer Kinder für ihre Religionsgemeinschaft. Trotzdem muss ich eines berichtigen, was ich immer wieder lese, gerade während der Wüstenwanderung des Volkes Israel wurde nicht beschnitten (40 Jahre lang). Erst Josua machte sich mit seinem Steinmesser wieder an die Arbeit: Josua 5, 2 -9.
    • Wie ich schon schrieb: VERSTEHEN aufder menschlichen Ebene kann ich Herrn Daschner, aber da kann ich auch andere Menschen verstehen: z.B. Frau Bachmeier, die den Mörder ihrer Tochter im Gerichtssaal erschoß.
      Dennoch gibt es rechtsstaatliche Prinzipien, die unter allen Umständen unangetastet bleiben müssen und zu diesen Prinzipien gehört die körperliche Unversehrtheit. Das ist der Boden auf dem wir alle stehen.( So bedauerlich ich das in gewissen Fällen finde). Beginnen wir Ausnahmen zu definieren, ist die Büchse der Pandora geöffnet, weil alles, was dann folgt, nur noch subjektiven Einschätzungen unterliegt.
      Wie schwer ist Landesverrat zu bewerten, was ist mit dringend Terrorverdächtigen, was mit potentiellen Päderasten, wer darf welche Gewalt ausüben? Polizisten? Alleine? Zu zweit? Soldaten? Privatleute in Notlagen? Darf man damit drohen? Und wenn ja, womit? Schlägen? Freiheitsentzug? Folter? Wieviel sind dann noch Geständnisse wert? Das Recht zu schweigen gibt es dann nicht mehr.....
      Und nur von dem Standpunkt der absoluten Unantastbarkeit der körperlichen Integrität kann man Beschneidungen verbieten. Man einigt sich einfach darauf, daß es nichts geben kann, das damit konkurrieren könnte: keine Landesinteressen, keine Verbrechensaufklärung und auch der vermeintliche göttliche Wille nicht.
    • Hallo Ava, ich sehe, ich habe meine Satz nicht ganz zu Ende gebracht,
      sicher war, dass Gäfgen, der Entführer des Kindes ist (also kein "Geständnis" erpresst werden sollte,
      er sollte eigentlich weiter gehen in dem Sinn, "sondern der wahre Aufenthaltsort des entführten Kindes, um dessen Leben zu retten.'" - Konkrete Umstände, konkrete Gefahr, konkrete Bezeichnung worum es geht - keine "Carte blanche". Ähnlich auch wenn es einen Unfall gibt, das Opfer nicht ansprechbar ist und auch sonst niemand gefragt werden kann, dann wird der Arzt es natürlich behandeln und ggf. auch operieren. Weiter: Ausnahmen, die definiert werden, hören auf Ausnahmen zu sein. Sie gestalten vielmehr den Anwendungsrahmen des Gesetzes. Man wird auch nicht das Gesetz selbst einschränken, sondern, das ist ja jetzt auch schon die Praxis, gegensteuernde Gesetze machen, die alle zusammen aber unter übergeordneten und sich nicht widersprechenden Normen stehen.
      Nicht zu vergessen: Ohne gilt, nicht allles was Recht ist ist auch rechtens ("Nürnberger Gesetze"). Ich glaube, es wird sich immer etwas finden lassen, was konkurriert, und dann ist es die ganz persönliche, in diesem Moment und in der jeweiligen Postion geforderte Verantwortung, eine Entscheidung zu treffen. Denken wir an das Bundesverfassungsgericht, wo es mittlerweile auch genug Urteile mit "Minderheitsvotum" gibt, bzw. Plenarentscheidungen des Gerichts, mit dem selbst frühere Urteile revidiert werden.
    • @Descant

      "Wüste" meinte ich im übertragenen Sinn. Ich meinte folgenden Satz:"Und wo ein Mannsbild nicht wird beschnitten an der Vorhaut seines Fleisches, des Seele soll ausgerottet werden aus seinem Volk, darum daß es meinen Bund unterlassen hat."
      Die "Seele" wäre dann sozusagen das höhere Rechtsgut, dessen " Ausrottung" durch die Beschneidung verhindert wird...
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Recht auf körperliche Unversehrtheit

      Descant schrieb:

      In meinen Augen wird beim Abschuss einer zum Zweck eines Terroranschlags entführten Passagiermaschine nicht die Menschenwürde der Passagiere verletzt,

      Descant schrieb:

      der Herr Daschner war der leitenden Beamte im Fall Gäfgen - und hat meine volle Sympathie
      In beiden Fällen haben wir höchstrichterliche Urteile: Folterandrohung ist rechtswidrig, von Terroristen gekaperte Flugzeuge abschießen ebenfalls. Auch in mir sträubt sich etwas, wenn Herr Gäfgen noch eine Entschädigung bekommt. Aber wir leben in einem Rechtsstaat, nicht in einem Rachestaat und da muss ich das akzeptieren. Mich überzeugen beide Urteile. Nun kann man natürlich jedes Urteil kritisieren. Aber ich denke es wird problematisch, wenn jemand wie wir das Grundrecht auf Wahrung der Menschenwürde/ auf körperliche Unversehrtheit gegen die Knabenbeschneidung reklamiert, auf der anderen Seite aber genau dieses Recht bei zwei höchstrichterliche Entscheidungen nicht gelten lassen will. Das kann sehr schnell die Glaubwürdigkeitsfrage aufwerfen. Wenn ich das mal mit den Augen der Beschneidungsbefürworter lese, dann könnte ich daraus den Vorwurf ableiten: "Die schieben das Grundrechtsargument doch nur vor. In anderen Fällen, in denen es höchstrichterlichen Entscheidungen zugrunde liegt, interessiert die das überhaupt nicht. Ein Beweis dafür, dass da ganz andere Motive dahinterstecken." Von da zum Antisemitismusvorwurf ist es dann nicht mehr weit. Ich empfehle, auch immer mit zu bedenken, wie Außenstehende unsere Argumente deuten könnten.
      Aufrichtig zu sein kann ich versprechen, unparteiisch zu sein aber nicht. (JWvG)
      Auch für die Religionsfreiheit gilt: "Freiheit ist immer nur die Freiheit des anders Denkenden." (R.Luxemburg)