ZitatHerr Dr. Barhoum, wie viele Männer lassen sich im Erwachsenenalter beschneiden?
Es gibt Zahlen von 2014. Damals fanden nach Angaben der Krankenkassen knapp 67.000 medizinisch indizierte Zirkumzisionen statt. Ein deutlicher Anstieg ergibt sich für die Altersgruppe 50plus, ein moderater Abfall ist bei Männern zwischen 20 und 35 zu verzeichnen. Das sind allerdings nur die Zahlen von den Behandlungen, die durch die Krankenkasse abgerechnet werden. Es gibt aber auch viele Beschneidungen, die da nicht auftauchen, von Privatpatienten etwa oder weil sie auf Wunsch durchgeführt wurden.
ZitatWann ist eine Beschneidung sinnvoll?
Bei einer Phimose, also einer Vorhautverengung, die trotz Salbentherapie nicht besser wird; bei wiederkehrender Eichel- und Vorhautentzündung; bei ausgeprägten Feigwarzen der Vorhaut, die sich anderweitig nicht behandeln lassen; bei Einrissen der Vorhaut, die beim Geschlechtsverkehr passiert sind; bei der chronischen Hauterkrankung Lichen sclerosus sowie bei Schmerzen und erschwertem Zurückziehen der Vorhaut im erigierten Zustand
ZitatWelche unterschiedlichen Formen der Beschneidung führen Sie durch?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen der vorhauterhaltenden OP-Technik, die eher bei Kindern angewendet wird, und der OP-resezierenden Technik, also der kompletten Entfernung. Das ist die häufigste Form – aus ästhetischen Gründen kann man dann vier verschiedene kosmetische Ziele unterscheiden. Also zum Beispiel, ob die Penisschafthaut locker anliegt oder nicht; ob die OP-Narbe im erigierten Zustand sichtbar ist oder nicht.
ZitatSie sprechen die Ästhetik an. Kommen Ihre Patienten mit genauen Vorstellungen zu Ihnen, wie das Ergebnis am Ende aussehen soll?
Im Zeitalter des Internets informieren sich die Leute oft vorher online, schauen sich Bilder an. Die Standard-Beschneidung ist eigentlich »low und tight«. Das heißt, man entfernt komplett die Penisschafthaut, und das innere Blatt bleibt unter Einhaltung eines Randsaumes vorhanden. Aber es gibt in der letzten Zeit viele, die »high und tight« bevorzugen, weil sie glauben, dass, wenn das innere Vorhautblatt lang und straff genug ist, noch eine gewisse Sensibilität des Penis erhalten bleibt. Es gibt aber keine Studien diesbezüglich, und wenn wir die Männer nach zwei, drei Jahren mal fragen, wie es ihnen nach ihrer Standard-Beschneidung geht, scheinen sie auch keine Probleme zu haben.
ZitatDas Nachlassen der Sensibilität gehört zu einem der Mythen beim Thema Beschneidung. Welche hören Sie noch in Ihrer Praxis?
Die zwei häufigsten sind: »Beschnittene Männer haben mehr Ausdauer im Bett« und »Beschnittene Männer empfinden weniger Lust beim Sex«. Beide sind falsch. Grundsätzlich führen wir auch keine Zirkumzisionen bei Männern durch, die zu uns kommen, weil sie mehr Ausdauer im Bett haben möchten oder ihren Orgasmus länger hinauszögern wollen – die OP würde nicht unbedingt etwas verändern.
ZitatEs verändert sich also das Gefühl beim Geschlechtsverkehr nicht?
Die wissenschaftliche Studienlage ist tatsächlich uneinheitlich. In vielen Studien wurden die sexuelle Zufriedenheit, das sexuelle Verlangen, die Erektion und die Zeit bis zur Ejakulation bei beschnittenen im Vergleich zu unbeschnittenen Männern untersucht. Insgesamt fallen die Ergebnisse positiv zugunsten der beschnittenen Erwachsenen aus. Aber es gibt auch Studien, die überhaupt keinen Unterschied erkennen.
ZitatKann sich durch die Beschneidung das Risiko für Entzündungen der ableitenden Harnwege und durch Geschlechtsverkehr übertragene Krankheiten verringern? Sinkt die Gefahr einer HIV-Infektion beim Sex?
Liegen zusätzlich Harntraktanomalien beim Kleinkind vor, dann kann sich definitiv durch eine Beschneidung das Risiko einer Entzündung senken. Es gibt Studien, in denen belegt ist, dass beschnittene Männer sich seltener mit HIV anstecken. Allerdings sollte das nicht Safer-Sex-Praktiken ersetzen, denn bei anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen liegen keine belastbaren Daten vor.
ZitatFunktionieren Alternativen zur Beschneidung, wie Dehnungsringe oder Stretching?
Eigentlich sind das keine medizinisch bewährten Methoden. Im Gegenteil: Bei einer falschen Handhabung kann es zu mehr Mikrorissen und somit zu mehr Vernarbungen kommen. Dadurch wird die OP im Nachgang erschwert. Die Alternative ist zunächst die Salbentherapie mit einer kortisonhaltigen, also entzündungshemmenden Salbe.
ZitatSie haben schon das Internet angesprochen und wie sich dort informiert wird – am Ende scheint die Entscheidung für oder gegen eine Beschneidung von ästhetischen Gründen und der Angst vor Sensibilitätsverlust abzuhängen.
Das Problem ist, dass die Wunschvorstellung leider oft nicht mit der Realität, also mit der Anatomie korrespondiert. Letztlich muss man die Beschneidung so durchführen, dass der Mann danach keine Probleme mit der Erektion hat. Was bringt es, wenn der Patient unbedingt »high und tight« haben möchte, aber am Ende unglücklich ist, weil er dann funktionelle Probleme hat? Deshalb sagen wir den Männern immer, dass das Ergebnis von der Penis-Anatomie abhängt.
Ist Beschneidung ein Thema, über das Ihrer Erfahrung immer noch nicht gern gesprochen wird?
Es ist leider immer noch ein Tabuthema. Es gibt Männer, die seit Jahren mit einer absoluten primären oder sekundären Phimose leben, ohne einen Arzt aufzusuchen. Nicht selten kommen sie am Ende in Begleitung mit Ihren Lebenspartnerinnen. Weil es für sie irgendwann ja auch unerträglich wird.