PDP - Psychodynamische Psychotherapie
Franz, Matthias
Bei der Beschneidung hört das Nachdenken auf
Kulturhistorische und psychoanalytische Aspekte, Risiken und Auswirkungen der Jungenbeschneidung
November 2019, 18. Jahrgang, Heft 4, pp 231-248
Franz, Matthias
Bei der Beschneidung hört das Nachdenken auf
Kulturhistorische und psychoanalytische Aspekte, Risiken und Auswirkungen der Jungenbeschneidung
November 2019, 18. Jahrgang, Heft 4, pp 231-248
elibrary.klett-cotta.de/article/99.120110/pdp-18-4-231
Zusammenfassung
Die Thematisierung der Jungenbeschneidung löst starke Ängste und reflexhafte Wahrnehmungswiderstände aus. Hierdurch ist die faktenbasierte kritische Auseinandersetzung mit diesem traumatischen Ritual erschwert. Dabei stellt die rituelle Verletzung kindlicher Genitalien in jedem Fall einen irreversiblen Verlust der genitalen Integrität und sexuellen Selbstbestimmung dar. Die Beschneidung führt zum Verlust des sexuell sensibelsten Anteils des Gliedes mit weiteren negativen Folgen für die sexuelle Empfindsamkeit. Es existiert aus ärztlicher Sicht kein Grund dafür, einem gesunden Jungen seine gesunde Vorhaut abzuschneiden. Ausgehend von klinischen Fallbeispielen werden mögliche entwicklungspsychologische Auswirkungen der medizinisch nicht indizierten Jungenbeschneidung sowie deren somatische und psychische Komplikationen und Risiken dargestellt. Aus kulturhistorischer und psychoanalytischer Sicht wird die Beschneidung als eine archaische Form ritueller Gewalt beschrieben, die patriarchalische Loyalität transgenerational unter Nutzung der Kastrationsangst und des Abwehrmechanismus der Identifikation mit dem Aggressor erzeugt. Sie formatiert, repliziert und kontrolliert männliche Identität und gruppale Funktionalität unter patriarchalischen Bedingungen.
Vorhaut hat Vorteile. Sonst gäbe es sie nicht.