Wie den Eltern verzeihen?

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    • Wie den Eltern verzeihen?

      Hallo Leute,
      wie hat sich denn bei euch, sofern ihr im Kindesalter beschnitten wurdet, der Eingriff auf das Verhältnis zu den Eltern ausgewirkt? Ich habe meine Eltern neulich mal wieder mit dem Thema konfrontiert und es scheint mir, als wären sie nicht in der Lage, die Auswirkungen dieses Eingriffs auf mein Leben zu realisieren. Sie flüchten immer noch in Ausreden und Rechtfertigungsversuche. Der Eingriff erfolgte bei mir im Alter von sechs Jahren, weil der Kinderarzt es so empfohlen hätte. Sie hätten es nur durchführen lassen, weil sie das beste für mich wollten. Das ist genau der Knackpunkt, ich kann das einfach nicht glauben. In diesem Alter hat die Mehrheit aller Jungen eine nicht zurückziehbare Vorhaut, aber in meiner Altersstufe war ich immer der einzige verstümmelte Junge zu Schulzeiten. Andere Eltern hatten also mehr Grips und Einfühlungsvermögen. Zudem ist mein Vater intakt, er müsste bestens wissen, was es bedeutet, wenn jemand „beschnitten“ wird. Aktuell ist das Klima zwischen uns frostig. Ich fürchte leider, dass meine Eltern damals schon genau wussten, was die Folgen für das Sexualleben bei einer „Beschneidung“ sind und sie sie gerade deshalb wollten. Meine Eltern sind sehr prüde und konservativ und hatten schon in meiner Kindheit die „Befürchtung“, dass ich mal schwul werden könnte, da ich einige, na ja, nicht geschlechtskonforme Verhaltensweisen zeigte. Ich fürchte, die Beschneidung sollte eine Art Bestrafung sein und wurde durchgeführt, um mich sexuell zu zügeln und in die „richtigen“ Bahnen zu lenken. Mich macht dieses Thema unheimlich fertig und ich frage mich aktuell, ob es das Beste wäre, den Kontakt zu meinen Eltern komplett abzubrechen. Geht es anderen Opfern hier genauso? Kann wenigstens jemand verstehen, was aktuell in mir vorgeht? *Kotz*
      "The only thing necessary for the triumph of evil is for good men to do nothing"

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von fsx100 ()

    • fsx100 schrieb:

      Mich macht dieses Thema unheimlich fertig und ich frage mich aktuell, ob es das Beste wäre, den Kontakt zu meinen Eltern komplett abzubrechen. Geht es anderen Opfern hier genauso? Kann wenigstens jemand verstehen, was aktuell in mir vorgeht?
      Ich glaube, dass hier leider sehr viele Leute nur zu gut verstehen, wie es dir damit geht. Gegen einen zeitweisen Kontaktabbruch (z.B. über mehrere Monate hinweg) spricht denke ich nichts dagegen. Du kannst dir ja vornehmen, den Kontakt mal bis auf unbestimmte Zeit abzubrechen und dann selber entscheiden, wann dir wieder danach ist, den Kontakt erneut aufzunehmen.
      Ich halte es auch für sinnvoll, dass du deine Emotionen nicht in dich hineinfrisst. Manchmal kann es für beide Seiten hilfreich sein, wenn man seine Emotionen auch mal aneinander auslässt (natürlich ohne dabei handgreiflich zu werden). Sich anschreien, sollte allerdings erlaubt sein.
      Mir ist es z.B. wenn mir schlecht war, nach dem Kotzen immer besser gegangen. Bei den Emotionen verhält es sich denke ich ähnlich.

      Ich würde mir auch vornehmen, mit dem Thema möglichst offen umzugehen. Ich gehe davon aus, dass es viele Menschen gibt, mit denen du 1000x besser über das Thema diskutieren kannst, als mit deinen Eltern.
      Was nun wirklich der beste Weg ist damit umzugehen, weiß glaube ich niemand. Im Endeffekt bist du deiner Genitalverstümmelung (mehr oder weniger) schutzlos ausgeliefert. Manche Männer scheinen mit dem Thema recht gut umgehen zu können. Andere scheinen ein regelrechtes Stockholmsyndrom gegenüber ihrer Genitalverstümmelung zu entwickeln (siehe eurocirc.org/beschneidungsforum/index.php). Wiederum andere Männer treibt das Thema sogar in den Suizid. Ich glaube, dass es bei dem Thema kein richtig oder falsch gibt. Für mich ist es vor allem wichtig, dass ich mich nicht bagatellisieren lasse. Rückgrat zeigen ist hier für mich die Devise. Möglichst offen damit umgehen. Gegen die Scham ankämpfen. Es darf uns nicht peinlich sein, dass wir unter unserer Genitalverstümmelung leiden. Es gibt auch Menschen, die dafür Verständnis zeigen.

      LG
      (Pino) Nicht die Wahrheit tut weh. Sondern die Lügen davor.
      ~Die eigene Freiheit sollte da aufhören, wo die Rechte des Anderen beginnen.~
    • fsx100 schrieb:

      Ich habe meine Eltern neulich mal wieder mit dem Thema konfrontiert und es scheint mir, als wären sie nicht in der Lage, die Auswirkungen dieses Eingriffs auf mein Leben zu realisieren
      Die können es nicht realisieren...nur du kannst dein Leben wahrnehmen/realisieren wie es für dich ist..."realisieren" können die nicht nur das, was du ihnen sagst und mitteilst, wie es für dich ist?

      fsx100 schrieb:

      Sie hätten es nur durchführen lassen, weil sie das beste für mich wollten. Das ist genau der Knackpunkt, ich kann das einfach nicht glauben.
      Was kannst du da nicht glauben, warum nicht? Wie lange ist der Eingriff bei dir her? Woher hätten die andere Informationen holen sollen, warum hätten sie dem Rat deines Arztes nicht glauben sollen?
      Nur zum Beispiel, als ich 2002 Internet hatte, anfing zu recherchieren, da fand ich NICHTS über mögliche neg. Folgen durch Beschneidung, Forum gab es eines, EUROCIRC...das dies Beschneidungsfetischisten sind, wusste ich nicht, dachte alle sind glücklich mit ihrer Beschneidung...also muss ich das Problem sein und nicht meine Beschneidung...

      fsx100 schrieb:

      Zudem ist mein Vater intakt, er müsste bestens wissen, was es bedeutet, wenn jemand „beschnitten“ wird
      Woher sollte das irgendein intakter wissen? Den meisten Intakten ist sicher gar nicht klar, woher die meisten und schönsten Empfindungen am Penis herkommen...oft erst wenn die Vorhaut weg ist...

      fsx100 schrieb:

      Ich fürchte leider, dass meine Eltern damals schon genau wussten, was die Folgen für das Sexualleben bei einer „Beschneidung“ sind und sie sie gerade deshalb wollten.
      Wie oben...woher hätten sie das wissen sollen?

      fsx100 schrieb:

      Meine Eltern sind sehr prüde und konservativ und hatten schon in meiner Kindheit die „Befürchtung“, dass ich mal schwul werden könnte, da ich einige, na ja, nicht geschlechtskonforme Verhaltensweisen zeigte. Ich fürchte, die Beschneidung sollte eine Art Bestrafung sein und wurde durchgeführt, um mich sexuell zu zügeln und in die „richtigen“ Bahnen zu lenken.
      Kann es sein, dass du dich da ein wenig "versteigst" in Gedanken, Unterstellungen deinen Eltern gegenüber?

      Die Denkweise "Opfer/Täter/Schuld"...führt glaub nie zu einer Lösung, mit der kann glaub keiner "Frieden" finden oder eine Basis um sich weiterzuentwickeln aus diesem Teufelskreis in dem du glaub momentan steckst, und der dich immer weiter runterzieht?

      Sollte es nicht immer die Suche nach Ursache/Auswirkung/Verantwortung gehen?

      Ja, deine Eltern hatten damals die Verantwortung...aber nicht noch mehr der sie beratende Arzt, dem sie glaubten (warum auch nicht ?)

      Das Gegenteil von Gut ist nicht schlecht oder Böse...sondern gut gemeint? Bin mir sicher, alle damals Beteiligten meinten es nur gut...sie wussten es nur nicht besser...

      Sie werden es auch nie besser wissen...wenn Betroffene es ihnen, mit dem was ihnen angetan wurde, nicht sagen...
      Menschen wurden erschaffen, um geliebt zu werden. Dinge wurden erschaffen, um benutzt zu werden. Der Grund, warum sich die Welt im Chaos befindet ist, weil Dinge geliebt und Menschen benutzt werden. -Dalai Lama
    • Philip schrieb:

      fsx100 schrieb:

      Mich macht dieses Thema unheimlich fertig und ich frage mich aktuell, ob es das Beste wäre, den Kontakt zu meinen Eltern komplett abzubrechen. Geht es anderen Opfern hier genauso? Kann wenigstens jemand verstehen, was aktuell in mir vorgeht?
      Ich würde mir auch vornehmen, mit dem Thema möglichst offen umzugehen. Ich gehe davon aus, dass es viele Menschen gibt, mit denen du 1000x besser über das Thema diskutieren kannst, als mit deinen Eltern.
      Was nun wirklich der beste Weg ist damit umzugehen, weiß glaube ich niemand. Im Endeffekt bist du deiner Genitalverstümmelung (mehr oder weniger) schutzlos ausgeliefert.
      Ja, das ist völlig richtig. Dieses Thema ist leider generell sehr schambehaftet. Im echten Leben bin ich viel zu reserviert, um offen über dieses Thema und meine persönlichen Probleme damit zu sprechen. Es hilft mir immer, wenigstens etwas zur Aufklärung zum Thema "Beschneidung" bzw. Genitalverstümmelung beizutragen. Was der beste Weg im Umgang mit der Wut/Trauer ist, hängt vom betroffenen Individuum ab. Ich wäre ja durchaus bereit, das Thema auch mal mit einem Psychotherapeuten zu besprechen. Nur habe ich hier die Befürchtung, nicht ernst genommen zu werden. Wir sind hier nur eine sehr kleine Minderheit. Die meisten Opfer von MGM werden niemals vollständig realisieren, was ihnen genommen wurde. MGM wird deshalb nach wie vor bagatellisiert.


      Urolüge schrieb:

      Was kannst du da nicht glauben, warum nicht? Wie lange ist der Eingriff bei dir her? Woher hätten die andere Informationen holen sollen, warum hätten sie dem Rat deines Arztes nicht glauben sollen?
      Nur zum Beispiel, als ich 2002 Internet hatte, anfing zu recherchieren, da fand ich NICHTS über mögliche neg. Folgen durch Beschneidung, Forum gab es eines, EUROCIRC...das dies Beschneidungsfetischisten sind, wusste ich nicht, dachte alle sind glücklich mit ihrer Beschneidung...also muss ich das Problem sein und nicht meine Beschneidung..
      Der Eingriff erfolgte bei mir im Herbst 87, kurz vor der Einschulung. Damals gab es unter Kinderärzten wohl die weit verbreitete Annahme, dass die Vorhaut bei der Einschulung zurückziehbar sein muss. Was das ganze mit der Beschulungsfähigkeit zu tun haben soll, bzw. warum es ausgerechnet in diesem Alter möglich sein musste, konnte mir bisher niemand erklären. Auf das Thema MGM wurde ich übrigens schon im Jahre 2000 aufmerksam. Die meisten Informationen zu diesem Thema waren damals leider nur in englischer Sprache erhältlich. Ich wusste bereits nach meinen ersten sexuellen Erfahrungen, dass irgendwas bei mir nicht stimmt. Nach etwas Recherche im Netz, habe ich dann erfahren, weshalb und warum dies so ist. Ich habe damals auch schon in deutschen Foren davon geschrieben bzw. vor Beschneidungen gewarnt und habe nur Hohn und Spott geerntet.


      Urolüge schrieb:

      Woher sollte das irgendein intakter wissen? Den meisten Intakten ist sicher gar nicht klar, woher die meisten und schönsten Empfindungen am Penis herkommen...oft erst wenn die Vorhaut weg ist...
      Ja, da könntest du Recht haben. Vor allem verstehen viele nicht, was bei einer Beschneidung alles entfernt wird. Mir hat mal einer ernsthaft gesagt, er hätte in der Vorhaut kein Gefühl. Ich habe ihn dann tatkräftig eines besseren belehrt :)


      Urolüge schrieb:

      Ja, deine Eltern hatten damals die Verantwortung...aber nicht noch mehr der sie beratende Arzt, dem sie glaubten (warum auch nicht ?)
      Ja, das stimmt schon. Schließlich hat der Arzt mich verstümmelt und nicht meine Eltern. Aber was soll ich denn machen? Den Arzt suchen und dann, falls er noch lebt, einem alten Greis eine kleben?
      Egal, es wie man es dreht und wendet. Die Verstümmelung wird immer ein Teil von mir sein. Eventuell ist die regenerative Medizin irgendwann mal so weit, aber ob ich das noch erlebe und ob es die gewünschten Ergebnisse bringt, steht noch in den Sternen.
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    • fsx100 schrieb:

      Aber was soll ich denn machen? Den Arzt suchen und dann, falls er noch lebt, einem alten Greis eine kleben?
      Gewalt ist nie eine Lösung...auch wenn ich dich und deine Wut sehr gut verstehen kann. aber würde es sich für dich gut anfühlen, wenn du dem eine geklebt hättest? Schwierig nach so langer Zeit noch unterlagen zu suchen und herauszufinden, wer das zu verantworten hat...aber vielleicht noch möglich? Wenn du den Arzt denn hättest, er vor dir stehen würde...was würdest du machen, ihm sagen...damit es dir hinterher besser ginge? Was bräuchte es? Ungeschehen kann nichts gemacht werden...aber was würde das wie abschließen können...damit es für dich und dein Leben weitergehen kann, es nicht immer wieder Schatten und löcher aufwirft?

      fsx100 schrieb:

      Eventuell ist die regenerative Medizin irgendwann mal so weit,
      Da hoffe und baue ich nicht drauf...es würde mir nichts von dem wiedergeben können was mir genommen wurde...
      Auf was ich hoffe...noch erleben zu dürfen, dass es zu einem umdenken kommt, Kinder nicht mehr zum Objekt von Interessen/Vorstellungen/Haltungen/Einstellungen Erwachsener gemacht werden...damit würde ich Frieden finden können. Darum kämpfe ich und verwende meine Erfahrungen...um die Anerkennung möglicher neg. Folgen durch Beschneidung!!!
      Menschen wurden erschaffen, um geliebt zu werden. Dinge wurden erschaffen, um benutzt zu werden. Der Grund, warum sich die Welt im Chaos befindet ist, weil Dinge geliebt und Menschen benutzt werden. -Dalai Lama
    • Philip schrieb:

      Ich halte es auch für sinnvoll, dass du deine Emotionen nicht in dich hineinfrisst. Manchmal kann es für beide Seiten hilfreich sein, wenn man seine Emotionen auch mal aneinander auslässt (natürlich ohne dabei handgreiflich zu werden). Sich anschreien, sollte allerdings erlaubt sein.
      Seine Gefühle reinfressen bringt nichts, macht einen krank!!! Kommt halt drauf an, wie man sie "aneinander auslässt"? Handgreiflich und Gewalt...bringt das einen weiter? Anschreien...kommt halt drauf an, was man herausschreit? Vorwürfe, die Suche nach Schuld beim anderen...halt ich für falsch...

      Wenn jemand aber rausschreit, wie es ihm mit etwas geht, seine Gefühle, woran er und warum leidet, dann ist das gut und okay. Versuch ich und andere Betroffene auch...hören will das nur keiner, keine Politiker, Journalisten, Ärzte...Gesellschaft...
      Menschen wurden erschaffen, um geliebt zu werden. Dinge wurden erschaffen, um benutzt zu werden. Der Grund, warum sich die Welt im Chaos befindet ist, weil Dinge geliebt und Menschen benutzt werden. -Dalai Lama