Zeit für den nächsten Schritt

    • Zeit für den nächsten Schritt

      Ich verfolge die Debatte um die Beschneidung intensiv seit Anfang Oktober, im Forum hier seit wenigen Tagen. Mein Eindruck ist, die wesentlichen Argumente Pro und Contra sind geschöpft, und die Debatte allmählich erschöpft. Jetzt muss eigentlich der nächste Schritt erfolgen, aber wie könnte der aussehen?
      Vorschlag:
      1. Argumente ordnen nach Pro und Contra
      2. Geordnete Argument weiter ordnen nach
      - geschichtliche Bregründung
      - ethische Begründung
      - religiöse Begründung
      -juristische Begründunn
      -medizinische Begründung
      (beste Reihenfolge müsste noch überlegt werden)
      3. Entsprechende Veröffentlichung, am Besten im Netz.
      4. Herausarbeiten von Entscheidungsmomenten im Sinn eines Wertekonsens herstellen
      5. Ableitung möglicher Konsequenzen aus diesen oder jenen Entscheidungen
      6. Ausführliche Debatte der derart übersichtlich gemachten Argumente im Bundestag, und zwar in zwei wirklichen Lesungen - nicht bloß eine und die zweite lediglich zum Abstimmen - sondern mit Zeit nochmals zu
      Überlegen
      7. Abstimmung: ohne Fraktionszwang - und geheim: nicht wieder diese Merkel-Praxis mit öffentlicher und namentlicher Abstimmung, wo denn so mancher doch nur dem Leithammel/oder der Leitkuh hinterher rennt.
    • Nur kurz zu Punkt 7:
      Geheime Abstimmungen gibts im Bundestag ausschließlich bei Wahlen, z.B. zum Bundeskanzler oder Bundespräsidenten. Abstimmungen zu Gesetzen MÜSSEN immer öffentlich sein. Schon allein, damit jeder Wähler weiß, wofür "sein" Abgeordneter steht.
      Du hast natürlich recht, dass eine namentliche Abstimmung auch einen gewissen Druck auf die Abgeordneten beinhaltet. Aber das werden wir nicht umgehen können, so sind die Regeln in unserer Demokratie.

      Zum Rest: Ja, wir sollten uns überlegen, wie es weitergehen kann. Wobei ja auf vielen Ebenen parallel zu unserem Forum Aktivitäten laufen. Ich denke dabei nur an Mogis e.V., andere Foren, Facebook, Leserbriefe, Kommentare ....

      Aber Du hast natürlich recht, Stillstand ist Rückschritt, wir müssen am Ball bleiben!
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • @Descant

      Ich verfolge die Debatte, seitdem das Kölner Urteil veröffentlicht wurde, und kann nicht behaupten, dass ich damit "durch" bin. Ist aber vielleicht mein Problem, dass manchmal ich so lange brauche...:(

      Auf alle Fälle sollte dieses Forum als eine der möglichen "Anlaufstellen" für Betroffene und für "Gedankenzweifler" erhalten und auch lebendig bleiben. Dies ist eine der wenigen "Orte" im Netz, wo nicht einfach nur "Dampf abgelassen" wird, sondern auch kontrovers, differenziert, umfassend und selbstkritisch diskutiert wird.

      Betroffenen Mut zu machen, sich zu "outen", und sie zu unterstützen, dass sie gehört werden, bleibt m.E. noch für lange Zeit wichtig. Da bleibt noch viel Arbeit.

      Mag sein, dass die Diskussion abebbt, wenn das Gesetz durch ist. Dass damit " der soziale Friede" einkehrt, glaubt ja wohl niemand mehr. Daran müssen beide Seiten noch lange arbeiten.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Auf alle Fälle sollte dieses Forum als eine der möglichen "Anlaufstellen" für Betroffene und für "Gedankenzweifler" erhalten und auch lebendig bleiben. Dies ist eine der wenigen "Orte" im Netz, wo nicht einfach nur "Dampf abgelassen" wird, sondern auch kontrovers, differenziert, umfassend und selbstkritisch diskutiert wird.


      Da stimme ich voll zu. Mehr können die wenigsten von uns leisten; einzelne Aktionen können jedoch gerne vorgeschlagen werden. Wir haben dafür ja die Sparte "Aktionen". Für eine gute Aktion werden sich sicherlich immer Mitstreiter finden lassen.

      Die aktiv-politische Seite wird zudem auch von MOGiS wahrgenommen, wobei man sich keineswegs fremd gegenübersteht.
    • Descant schrieb:

      1. Argumente ordnen nach Pro und Contra
      2. Geordnete Argument weiter ordnen nach
      - geschichtliche Bregründung
      - ethische Begründung
      - religiöse Begründung
      -juristische Begründunn
      -medizinische Begründung

      Die geschichtliche Begründung dürfte m.E. irrelevant sein. Außerdem fehlt noch das wichtigste Argument: Die politische Begründung. Wer sich ein wenig mit dem Thema beschäftigt, dem wird wohl klar sein, dass ethische, medizinische und juristische Gründe klar gegen die Beschneidung sprechen.

      Diese Diskussion ist für den Bundestag aber irrelevant meine ich, das ganze endet in einer politischen Frage: Sind wir, die Abgeordneten, dem Druck des Zentralrats der Muslime und der Juden gewachsen? Die Antwort wird wohl Nein lauten befürchte ich - denn wenn wir die Beschneidung als erster verbieten, dann wird aus diesem Thema eine gigantische Welle, aus Israel könnte ein gewaltiger Druck kommen. Am Ende könnte Deutschland politisch in der Welt isoliert darstehen, mit entsprechend strategischen und wirtschaftlichen Konsequenzen.
    • na klasse Totschlagargument - Angela Merkel und Edmund Stoiber meinte ja auch, Deutschland würde sich isolieren, als auf der Kippe stand, man könne sich vielleicht nicht an den Eroberungsfeldzügen der Bush-Mafia beteiligen. Und bei der Atomkraft...

      Die Diskussion wird in vielen Ländern geführt und WIR werden mehr, nicht die anderen. Es ist reine Hypothese, zu behaupten, ein Verbot ginge nach "hinten los". Es kann genauso gut eine Initialzündung für eine weiltweite Entwicklung gegen Genitalverstümmelung sein.
    • Hatte nicht irgend jemand mal das Verfassen eines Buchs erwähnt? Wäre vielleicht eine Möglichkeit, die Situation der Betroffenen, die in den klassischen Medien ja fast völlig ignoriert worden ist, noch stärker ins öffentliche Bewustsein zu rücken. Und ein Gegengewicht, denn die Zwangsbeschneidungsbefürworter sind ja leider in der Richtung auch schon fleißig ...
      Außerdem muss man sich noch mal vergegenwärtigen, dass höchstwahrscheinlich die meisten Vorhautamputationen in absoluten Zahlen bei Kindern in Deutschland nicht aus religiösen Gründen, sondern aus bestenfalls ärztlicher Schlamperei vorgenommen werden. Es gibt keine exakten Daten, aber Urologen berichten, dass letztendlich mindestens 10% der hiesigen Jungs ihre Vorhaut verlieren. In den skandinavischen Ländern sind es nur unter 2%, und da wohl nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Skandinavier genetisch bedingt eine geringere Neigung zu einer echten Phimose haben, sind hier in Deutschland verunsicherte Eltern und schlecht informierte Urologen und Kinderärzte die noch am ehesten zu beeinflussenden Zielgruppen, um die Vorhautamputationsquote deutlich zu senken und mehr Jungen ein intaktes Aufwachsen zu ermöglichen.
    • Auf alle Fälle sollte dieses Forum als eine der möglichen
      "Anlaufstellen" für Betroffene und für "Gedankenzweifler" erhalten und
      auch lebendig bleiben. Dies ist eine der wenigen "Orte" im Netz, wo
      nicht einfach nur "Dampf abgelassen" wird, sondern auch kontrovers,
      differenziert, umfassend und selbstkritisch diskutiert wird.

      Dem stimme ich voll zu. Aber diese Diskussion würde ich gern (Punkt 5 meiner Vorschlagsliste) differenziert führen. Wenn ich also die sagen wir mal 20 Argumente gegen eine Beschneidung (oder nur gegen den Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form, das müsste man auch noch auseinander halten) und die 10 (?) hauptsächlichsten für diskutiere, auch kontrovers - bringt dies einen wirklichen Erkenntnisgewinn und hilft bei der Entscheidung. Praktisch also: wenn die Pro- und Contra-Argumente so geordnet sind, entsprechend viele Diskussionsordner aufmachen.
      Zum x-ten Mal hier aber wieder zu lesen, dass irgendjemand anders etwas gesagt hat, das andere vor ihm auch schon gesagt haben, hilft nicht weiter. Wenn ein Argument ein Argument sein will, muss es unabhängig von der Autorität desjenigen sein, der es vorbringt, d.h. es sollte in der Regel wissenschaftlich = intersubjektiv überprüfbar sein. Ob die gefrage Wissenschaft dann Natur- oder Geisteswissenschaft ist, halte ich für irrelevant.
      Etwas anderes ist es, wenn jemand nicht wissenschaftlich argumentiert, also gar nicht allgemein gültig begründen will, sondern als Individuum seine Einstellung kundtut. Da geht es dann (vielleicht) mehr in die Statistik bzw. Meinungsumfrage und Wahrscheinlichkeitsrechnung, BSP: jemand sagt, wenn mir als Moslem/Jude dieser Brauch verboten wird, empfinde ich das als Vorbote einer kommenden Bedrohung (bis hin zur Shoa). Fühle mich hier bedroht und werde das Land verlassen.

      ...denn wenn wir die Beschneidung als erster verbieten, dann wird aus
      diesem Thema eine gigantische Welle, aus Israel könnte ein gewaltiger
      Druck kommen. Am Ende könnte Deutschland politisch in der Welt isoliert
      darstehen, mit entsprechend strategischen und wirtschaftlichen
      Konsequenzen.
      Ich stimme ausdrücklich Pizzaro 73 zu, der dies als "Totschlagargument" qualifiziert. Wenn etwas als noch durchzusetzendes Richtiges erkannt wird, kann man es nicht unterlassen oder ignorieren, nur weil sonst der Wind ins Gesicht bläst. Gott sei Dank erkennen dies mittlerweile - wenn auch bei anderen Problemen (z.B. "Finanztransaktionssteuer") - einige Politiker. Gegenwind gerade aus Amerika kann es geben, immerhin wohnen dort ca. 40 Prozent der Juden, und die Moslems, die zahlenmäßig viel stärkere Gruppe, werden bestimmt auch nicht die Füße still halten. ABER: Dies ist unser Staat, unser Grundgesetz, unser Rechtssystem, unsere Gesellschaft und nicht nur unsere Vergangenheit sondern auch unsere Zukunft, über die wir - noch - selbst entscheiden, wie sie zu gestalten ist. Es mag sein, dass der EuGh (Europäische Geschichtshoft) vielleicht noch mit dem einen oder anderen Urteil dazwischen grätschen wird, aber das muss halt in Kauf genommen werden.
      Die geschichtliche Begründung dürfte m.E. irrelevant sein. Außerdem
      fehlt noch das wichtigste Argument: Die politische Begründung. Wer sich
      ein wenig mit dem Thema beschäftigt, dem wird wohl klar sein, dass
      ethische, medizinische und juristische Gründe klar gegen die
      Beschneidung sprechen.
      Klar tun sie das, aber es gibt eben auch welche dafür, und die müssen genauso gesehen, berücksichtigt, gewichtet und gewertet werden.
    • Die Giordano Bruno Stiftung hatte doch mal eine Zusammenfassung über die pro- und contra-Argumente herausgegeben (siehe unter FAQ). Gibt es hierzu wirklich Ergänzungsbedarf? Ich stelle das als offene Frage in den Raum.

      Hiervon abgesehen finde ich es gar nicht schlecht, einzelne Stellungnahmen der Befürworter hier aufzugreifen und ggf. in der Hall of Shame einzustellen. So bleibt das Zeug nicht unkommentiert, auch von uns nicht. Zudem zeigen sich dabei gesellschaftliche Strömungen und Entwicklungen. Gerade hierfür ist ein solches Forum gut.

      Die Sache mit dem Buch halte ich nach wie vor für interessant.
    • Vielleicht bin ich zu doof dazu, aber ich finde im gesamten Internet keine "Zentralstelle", die die "Leidensgeschichten Betroffener" bündelt (wenn auch "nur" in Form einer Linksammlung). Die Leidensgeschichten sind über das gesamte Netz verteilt, was den Eindruck erweckt, als handele es sich lediglich um " Einzelfälle": zwar schlimm genug und häufig, aber angesichts der grossen Zahl auf der Welt lebender beschnittener Männer immer noch " Ausnahmen". Demgegenüber finde ich allein schon die grosse Zahl der Berichte auf der von Maria Werner in diesem Forum gelinkten Seite "SueEasy" sehr eindrucksvoll, und wenn ich mir vorstelle, man könnte auf eine Seite hinweisen, auf der hunderte, wenn nicht tausende solcher Berichte versammelt sind, könnte wenigstens einigen Befürwortern das Argument ausgehen, es handele sich um "Einzelfälle" oder " Ausnahmen". Irgendwann schlägt ja bekanntlich die Quantität in Qualität um...

      Was ich auch vermisse, ist ein wissenschaftlich fundierter und für Betroffene öffentlich zugänglicher Fragebogen, der die Angaben in den Berichten " sortiert" und damit die Grundlage für eine wissenschaftliche Auswertung bilden könnte. Die unabweisbare Problematik solcher Fragebögen will ich hier gar nicht diskutieren. Ich würde mich einfach "freuen", wenn ich irgendwo die Schlagzeile lesen würde: "Nach einer Umfrage unter 5000 beschnittenen Männern stellte sich heraus, dass..." (da es sich um Leidensgeschichten handelt, wäre meine "Freude" mindestens ambivalent).

      Es kommt mur zwar etwas schwer über die Tasten, aber das " Outing" sogenannter "Promis" würde natürlich auch ein " Zeichen" setzen...

      Im Moment bleibt mir nur die Hoffnung, dass Leute wie Holm Putzke und andere mit so vielen Leidensgeschichten überschwemmt werden, dass sie sie in die öffentliche Diskussion einbringen.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Die FAQ-Zusammenstellung der Giordano-Bruno-Stiftung zum Thema Beschneidung ist m.E. nur eine Vorlage. Ich halte es nicht für förderlich Sach- und Werturteile so zu verquicken, wie es dort geschieht und - von Seiten der Stiftung aus - natürlich auch legitim ist. Diese Darstellung kommt mir aber so vor, als würden zwei bis auf die ZÄhne bewaffnete Parlamentäre miteinander reden - und nicht zwei unbewaffnete. Ich möchte vielmehr eine saubere Trennung zwischen Thesen, Sachargumenten und Werturteilen. Das ist hier nicht der Fall, wie das folgende Zitat aus den FAQ zeigt:
      7. Kann die männliche Zwangsbeschneidung mit der weiblichen Genitalbeschneidung verglichen
      werden?
      Selbstverständlich – und es ist vielleicht der größte Skandal der gegenwärtigen Debatte, dass dieser Vergleich so weitgehend tabuisiert ist!
    • susanna schrieb:

      Hatte nicht irgend jemand mal das Verfassen eines Buchs erwähnt?
      Ja Susanna, hab ich. Ich bin noch dabei zu eruieren, ob sich so ein Projekt auflegen lässt. Würdest Du Zeit und Lust haben mitzumachen?
      Aufrichtig zu sein kann ich versprechen, unparteiisch zu sein aber nicht. (JWvG)
      Auch für die Religionsfreiheit gilt: "Freiheit ist immer nur die Freiheit des anders Denkenden." (R.Luxemburg)
    • Descant schrieb:

      ...denn wenn wir die Beschneidung als erster verbieten, dann wird aus
      diesem Thema eine gigantische Welle, aus Israel könnte ein gewaltiger
      Druck kommen. Am Ende könnte Deutschland politisch in der Welt isoliert
      darstehen, mit entsprechend strategischen und wirtschaftlichen
      Konsequenzen.
      Ich stimme ausdrücklich Pizzaro 73 zu, der dies als "Totschlagargument" qualifiziert. Wenn etwas als noch durchzusetzendes Richtiges erkannt wird, kann man es nicht unterlassen oder ignorieren, nur weil sonst der Wind ins Gesicht bläst. Gott sei Dank erkennen dies mittlerweile - wenn auch bei anderen Problemen (z.B. "Finanztransaktionssteuer") - einige Politiker.

      Da gebe ich Dir recht - nur ich glaube für kein Land auf dieser Welt wäre ein Verbot auch nur annähernd so schwierig durchzusetzen wie Deutschland - und zwar aufgrund unserer Geschichte und des delikaten Verhältnisses zu Juden und Israel. Es wäre sicher einfacher ein anders (z.B. skandinavisches) Land den ersten Schritt machen würde und die Beschneidung verbieten würde. Dann könnte Deutschland ohne großen Gesichtsverlust nachziehen.

      Wenn die Deutschen aber tatsächlich als erster den Schritt wagen, werden sich die Fronten massiv verhärten. Es geht dann nicht nur darum ob wir dann isoliert wären, auch die Diskussion zur Beschneidung würde eskalieren und es wäre noch schwieriger miteinander zu reden als es ohnehin schon ist. Ich will den gegenwärtigen Gesetzentwurf natürlich auch nicht rechtfertigen, sondern ich fürchte nur, dass Politik nicht so einfach funktioniert. Wenn Vernunft und Gerechtigkeit in der Politik die wichtigste Rolle spielen würden, dann würde vieles Leid in der Geschichte erspart erblieben.

      Die geschichtliche Begründung dürfte m.E. irrelevant sein. Außerdem
      fehlt noch das wichtigste Argument: Die politische Begründung. Wer sich
      ein wenig mit dem Thema beschäftigt, dem wird wohl klar sein, dass
      ethische, medizinische und juristische Gründe klar gegen die
      Beschneidung sprechen.
      Klar
      tun sie das, aber es gibt eben auch welche dafür, und die müssen
      genauso gesehen, berücksichtigt, gewichtet und gewertet werden.
      Also ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass ich wenn ich genug Zeit hätte - jedes einzelne medizinische Argument für die Beschneidung wiederlegen kann, inkl. Hnweisen zu Fachliteratur (die Seite des Pflegewiki wäre ein guter Start dafür: www.pflegewiki.de/wiki/Beschneidung ). Dass die Beschneidung z.B. die Verbreitung von HIV und anderen Geschlechtskrankheiten erschwert ist ein Mythos. Vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall, möglichweise produziert die Vorhaut Stoffe, die Erreger abtötet.

      Wenn es kein gesundheitliches Argument für die Beschneidung gibt, dann bleiben nur traditionelle und kosmetische Gründe. Diese reichen aber nicht aus um die Beschneidung ethisch zu befürworten (angesichts der vielen Kontra-Argumente). Und dann ist m.E. auch keine juristsche Rechtfertigung mehr möglich. Problem solved. 8)

      Warst Du schon mal bei dem Faktencheck der 'Debattenprofis' (Beschneidung: Nicht strafbar. Aber medizinethisch legitim? | Debattenprofis )? Die haben auch so eine systematische Analyse der Argumente gemacht (aus der Sicht eines Arztes, nicht eines Abgeordneten), vielleicht ist das das was Du meinst.
    • Alternativer Gesetzentwurf zur Beschneidung

      Ich zitier mich mal selbst 8) , mit einem Gesetzentwurf, den ich u.a. in einem offenen Brief an diverse Entscheidungsträger und Meinungsmacher vorgestellt habe:
      Beschneidung einer männlichen Person
      (1) Die medizinisch nicht erforderliche Beschneidung einer männlichen Person ist erlaubt, wenn diese Person die Beschneidung aus religiösen Gründen selbst wünscht und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist. Die Person muss zuvor über die möglichen Konsequenzen ihrer Entscheidung umfassend informiert worden sein.
      (2) Niemand darf zu einer Beschneidung gedrängt werden.
      (3) Niemand darf wegen einer an ihm vollzogenen Beschneidung bevorzugtoder benachteiligt werden.
      (4) Bei Personen, die unter der Personensorge stehen, ist die Beschneidung aus anderen als medizinischen Gründen verboten und strafbar.
      (5) Die Beschneidung muss nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden. Personen, die keine Ärzte sind, haben die erforderlichen Fähigkeiten durch ein staatlich anerkannte Prüfung nachzuweisen. Das Nähere bestimmt eine Prüfungsordnung, die im Benehmen mit jenen Religionsgesellschaften, nach deren Glauben eine Beschneidung Pflicht ist, zu erlassen ist.
      (6) Die Kosten für die Beschneidung selbst sowie etwaige Folgekosten hat die sie verlangende Person zu tragen. Im übrigen gilt das Sozialrecht.
      Bei der Strafbarkeit würde ich sogar schon im Gesetz angeben (falls das möglich ist), ob als schwere oder einfache Körperverletzung.
    • Bitte Distanz halten zu falschen Freunden

      Ich finde die Idee mit dem Buch sehr reizvoll. Ein Sammelband, in dem Beschnittene ihre Erfahrungen schildern. Dies könnte ein wichtiger Beitrag sein, um einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Bewusstseinswandel herbeizuführen.

      Und gerade diesen gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandel gibt es mE noch nicht. Machen wir uns nichts vor:
      Vor dem Kölner Urteil hat sich der Durchschnittsbürger noch nie groß mit dem Thema Beschneidung beschäftigt. Vor dem Urteil war doch eher die Meinung vorherrschend, dass es ein kleiner, unbedeutender eingriff sei, der im Zweifel eher Vorteile als Nachteile bringe. Klar, war jetzt die Aufregung groß, es wurde ja auch von Medien und Lobbyverbänden gepusht, in die eine oder andere Richtung.
      Aber oft ging es auch gar nicht um die Sache, sondern man konnte bei vielen Debattenbeiträgen auch erkennen, dass für die Kommentatoren ganz andere Interessen im Vordergrund standen. Einigen ging es ganz generell um Religionsbashing, und ja, auch Antisemiten und Islamhasser konnten sich mal so richtig unter dem Deckmäntelchen des Kinderschutzes austoben. Und das bot den Religionslobbyisten den perfekten Anlass, vom eigentlichen Thema abzulenken, und die Debatte in Richtung Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie zu lenken. Und schon hatten " wir" die poltischen Mainstream für unsere Sache verloren. Wichtig wäre daher auch, sich in der Debatte eindeutig und unmissverständlich von jeder Form von Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie zu distanzieren und derartigen Tendenzen, sollten sie erkennbar sein, rigoros entgegenzutreten. Denn die Gefahr, dass aus dieser Richtung Beifall von der falschen Seite kommt, besteht, da es sich nunmal um eine
      Praxis handelt, die hierzulande nur unter Juden und Muslimen routinemäßig üblich ist. Ich warne eindringlich davor, vor dieser Gefahr die Augen zu verschließen; antisemitische, fremdenfeindliche, rassistische und islamophobe Ressentiments und Einstellungen sind in unserer Gesellschaft von rechts bis links weit verbreitet. Und das schadet unserer Sache ganz gewaltig, wenn wir da nicht ganz klar eine Grenze ziehen, und auch bei unserer Argumentation aufpassen. Stehen wir erstmal aus gesamtgesellschaftlicher Sicht in der Schmuddelecke, dann kommen wir da so schnell nicht wieder raus. Ich sage das jetzt nicht (nur) aus taktischen Gründen, sondern auch aus voller Überzeugung, es wäre fatal, würde unser Einsatz für Kinderrechte und gegen Minderjährigenbeschneidung dazu führen, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit hierzulande erneut hoffähig werden und alte antisemitische Klischees wieder aufleben. Ich habe das jetzt erwähnt, nicht weil ich den Eindruck hätte, dass in diesem Forum Antisemiten unterwegs sind, sondern ganz generell im Sinne von " Vorsicht, Minenfeld ! ", gerade wenn wir an die Öffentlichkeit gehen.

      Daher sollten wir durchaus auch das Gespräch mit säkularen und progressiven Juden und Muslimen suchen, damit diese die Diskussion auch in die Gemeinden tragen, so dass auch dort ein allmähliches Umdenken einsetzt. Das ist sicher ein langsamer und mühseliger Prozess, nur halte ich es gerade für wichtig, dass er mit Juden und Muslimen, und nicht gegen sie geführt wird. Zum einen würde letzteres zu dem oben geschilderten Hochkommen von Antisemitismus und Rassismus führen, zum anderen einen Solidarisierungseffekt innerhalb der jüdischen und muslimischen Gemeinden auslösen, die jedes Umdenken, jede interne Diskussion unmöglich macht. Religionen sind zur Veränderung fähig, wie die Geschichte beweist, aber in der Regel nur von innen heraus. Und meist geht die Veränderung von der Basis aus, und nicht von den religiösen Eliten. Daher halte ich die Diskussion mit konservativen Geistlichen und ihren Gefolgsleuten für ziemlich sinnlos, auch bringt es nicht viel, sich an denen abzuarbeiten. Wie gesagt, suchen wir lieber das Gespräch mit den Moderaten, den Gemäßigten, den Progressiven. Das Ziel strafrechtliches Verbot sollte dabei zunächst nicht im Vordergrund stehen, es kann eher als langfristiges Ziel betrachtet werden.
    • picard_72 schrieb:

      Ich finde die Idee mit dem Buch sehr reizvoll
      Danke, dass Du die Idee wieder aufgreifst. Die Beschneidung muss Gesichter bekommen. Sonst bleibt sie für viele Mitmenschen eine abstrakte Diskussion.
      Aufrichtig zu sein kann ich versprechen, unparteiisch zu sein aber nicht. (JWvG)
      Auch für die Religionsfreiheit gilt: "Freiheit ist immer nur die Freiheit des anders Denkenden." (R.Luxemburg)
    • @picard_72:
      Wichtig wäre daher auch, sich in der Debatte eindeutig und unmissverständlich von jeder Form von Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie zu distanzieren und derartigen Tendenzen, sollten sie erkennbar sein, rigoros entgegenzutreten.
      Ein frommer Wünsch. Schön, wenn ihn auch die jüdischen und moslimischen Befürwörter der Beschneidung in ihrer eigenen Argumentation in die Tat umsetzen würden und nicht mit derartigen Unterstellungen argumentierten.
    • picard_72 schrieb:

      Ich finde die Idee mit dem Buch sehr reizvoll.
      Mein Lieber Picard72!
      Da hast damit fast schon die Einleitung geliefert zum Kapitel "Beschneidung in den Religionen"
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)