FAZ - Vorhaut und Forschung (von 2011)

    • Solange man mir nicht beweist, dass diese Vorhäute das "Resultat" religiöser oder anderer ZwangsBeschneidung sind, halte ich die Herstellung eines diesbezüglichen Zusammenhangs für Diffamierung und Demagogie. Tut mir leid.

      Wenn die beforschten Vorhäute aus medizinischer Indikation kommen, würde ich, bevor ich mir eine Meinung bilde, gern unseren Ethikrat dazu hören...
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • So weit ich informiert bin, bezahlen Institute und Unternehmen, die die Vorhäute von Babys für Kosmetika oder zu Forschungszwecken nutzen, den Krankenhäusern teilweise nicht wenig Geld für den Erwerb. Zumindest aus den USA ist mir dieses bekannt, und die Eltern des Kindes werden darüber zumeist nicht informiert.

      Da auch bei uns die Krankenhäuser zunehmend wie private Unternehmen geführt werden, oder private Unternehmen sind, die alles was sie tun wirtschaftlich sehen (müssen), fürchte ich, dass es eine wirtschaftliche Motivation für Vorhautentfernungen bei Babys und Kleinkindern geben könnte. Und die entfernten und weiterverkauften Vorhäute als Einnahmeposten in der Buchhaltung von Krankenhäusern, das ist eine Vorstellung, die mich frösteln macht.

      Als Analogie kann man sich, wenn man möchte, ansehen, wie die höhere Vergütung für Kaiserschnittentbindungen im Vergleich zu Spontangeburten die Zahl der Kaiserschnittentbindungen in die Höhe bringt. Beispielsweise in Brasilien liegt die Kaiserschnittrate in Privatkliniken zumeist bei weit über 90%. Und auch in Deutschland gibt es nicht wenige Krankenhäuser mit Prozentzahlen über 60%, teilweise neben Krankenhäusern mit Raten von unter 20% in der gleichen Stadt. Das was in Krankenhäusern gemacht wird, steht manchen Orts (anderen Orts weniger, das ist sicher auch wahr!) maßgeblich unter den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, und dabei manchmal im Widerspruch zu den Interessen derjenigen, die sich der Obhut eines Krankenhauses anvertrauen.

      Also darin sehe ich die eigentliche Gefahr, eine wirtschaftliche Motivation zu Beschneidungen in Krankenhäusern. Abrechnen mit den Krankenkassen können sie diese Leistung ja sowieso schon, während eine neutrale Beratung von Patienten, die eine Beschneidung verhindert hingegen kaum honoriert wird.
      Relativ gelassen bleibe ich bei dem Gedanken, dass die entfernten Vorhäute zu Forschungszwecken genutzt werden können. Solange die Eltern der Kinder dazu gefragt würden, die Krankenhäuser kein Geld damit verdienen würden und die Forschungen von gesellschaftlichen Nutzen wären, würde ich mich dann daran nicht stören.
      Achtsamkeit ist ein aufmerksames Beobachten, ein Gewahrsein, das völlig
      frei von Motiven oder Wünschen ist, ein Beobachten ohne jegliche
      Interpretation oder Verzerrung. (J. Krishnamurti)
    • Solange man mir nicht beweist, dass diese Vorhäute das "Resultat" religiöser oder anderer ZwangsBeschneidung sind, halte ich die Herstellung eines diesbezüglichen Zusammenhangs für Diffamierung und Demagogie. Tut mir leid.
      Mein "Erschrecken" zielt in eine andere Richtung. Der Gesetzentwurf sagt nur:
      Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung ... einzuwilligen ...
      (Hervorhebung von mir). Die müssen gar nicht sagen aus religiösen oder ethischen Gründen. Durchaus zulässig wäre: Der Mitarbeiter einer Firma oder Gesellschaft kommt und beantragt, dass das Kind beschnitten wird (gegen Vergütung natürlich). Dann können die mit zur Personensorge berechtigten einwilligen. Und alles ist okay. Das hat nix mit Demagogie zu tun, sondern wäre zulässig. Das ist keine Gesetzeslücke mehr, das ist ein Gesetzescanyon.
    • @Traubenzucker
      "Solange die Eltern der Kinder dazu gefragt würden, die Krankenhäuser kein Geld damit verdienen würden und die Forschungen von gesellschaftlichen Nutzen wären, würde ich mich dann daran nicht stören."


      Dazu gibt es sicher ein ganz ganz Kleingedrucktes in dem Aufklärungsblatt, das man vor der OP unterschreibt...
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Gesellschaftlicher Nutzen

      "Solange die Eltern der Kinder dazu gefragt würden, die Krankenhäuser kein Geld damit verdienen würden und die Forschungen von gesellschaftlichen Nutzen wären, würde ich mich dann daran nicht stören."
      Das meinst du doch wohl nicht im Ernst? - Dann wird das Kind schon wieder instrumentalisiert, nicht aus religiösen sondern aus gesellschaftlichen Gründen, wird Mittel zum Zweck. Ich will dir das nicht unterstellen, aber mit dem Argument wird in China die 1-Kind-Politik betrieben. Und wie sie umgesetzt wird, wissen wir ja wohl alle.
      Wenn aus medizinischen Gründen in diesem Alter beschnitten werden müsste, und die Vorhaut dann so weiter benutzt wird - einverstanden, ist ähnlich legitimierbar wie Organtransplantation. Aber sonst? Ein entschiedenes NEIN!
    • Die Frage der Ethik in dieser Angelegenheit begrenzt sich doch auf die Frage, ob die gewonnene Vorhaut gegen Entlohnung oder kostenfrei abgegeben wird (so wie bei der Wertstoffsammlung). Sobald es eine Entlohnung gibt, wird es i.A. mit der Ethik vorbei sein.
      Das schließt nicht aus, daß so mancher Arzt gegenüber dem finanziellen Anreiz immun ist, aber manch anderer ist das eben nicht.

      Vorhäute zu bezahlen, darin sehe ich gesamtwirtschaftlich keinen Sinn. Der Kaufpreis wird in das Endprodukt eingerechnet und irgendjemand bezahlt das am Ende obendrauf, was der Arzt, der die Vorhaut gewinnt, einstreicht.

      Da es durch den finanziellen Anreiz zu einer Verzerrung der ethischen Haltung des Arztes kommen kann, gehört so etwas aus ethischen Gründen verboten. Aus die Maus.
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • @Descant
      Wenn Du nur den letzten Teil meines Beitrages zitierst, dann empfinde ich meinen Satz als aus dem Zusammenhang heraus gerissen.

      Außerdem ist das kein Argument für oder gegen was, wenn ich mein Gefühl beschreibe, in dem sage, dass "die entfernten Vorhäute zu Forschungszwecken genutzt werden könnten, solange die Eltern der Kinder dazu gefragt würden, die Krankenhäuser kein Geld damit verdienen würden und die Forschungen von gesellschaftlichen Nutzen wären". Es ist nur mein Gefühl der Sache gegenüber.

      Der Ein-Kind-Politik in China habe ich eine ganz anderes Gefühl gegenüber.

      Und ganz wichtig ist mir, dass keine Vorhäute abgeschnitten werden, weil man sie zu Forschungszwecken gebrauchen kann oder weil man damit Geld verdienen kann. Ich habe gehofft, das deutlich gemacht zu haben. Auch dass ich die Gefahr sehe, dass mit Vorhäuten Geld verdient wird und somit andere Interessen als die des Kindes eine Rolle spielen.

      Aber wenn sie sowieso entfernt wird, die Vorhaut eines Babys oder Kleinkindes, aus medizinischer Notwendigkeit (!) heraus, dann stört es mich nicht, wenn die Vorhaut zu Forschungszwecken verwendet wird. Allerdings sollte man vorher die Eltern fragen, finde ich. In den USA werden die Eltern nicht informiert darüber, was mit den Vorhäuten ihrer Söhne passiert. Und es dürfte auch keine Vergütung dafür geben.

      Die eigentliche Krux an der Sache ist jedoch, dass es bis auf ganz wenige Ausnahmen keine medizinsiche Notwendigkeit für die Beschneidung gibt. Phimose wird, meiner Erfahrung nach nicht selten fehldiagnostiziert (Stichwort Präputialverklebung) und wenn die Diagnose stimmt, dann nicht angemessen behandelt, so dass die Vorhaut erhalten bleibt. Wer heute noch eine echte Phimose mit einer Beschneidung als Methode der Wahl behandelt, begeht meiner Meinung nach einen Kunstfehler.

      Wenn man sich vorstellt, dass Phimose angemessener diagnostiziert und behandelt würde und zudem die Religionen ihre Positionen zu Beschneidungen von Jungs radikal (von der Wurzel aus) ändern würden ^^ , tja, dann gäbe es wohl eine Knappheit verfügbarer Vorhäute zu Forschungszwecken und für Kosmetika.
      Achtsamkeit ist ein aufmerksames Beobachten, ein Gewahrsein, das völlig
      frei von Motiven oder Wünschen ist, ein Beobachten ohne jegliche
      Interpretation oder Verzerrung. (J. Krishnamurti)
    • Descant schrieb:

      @ Traubenzocker
      Lustiger Verschreiber, und das ausgerechnet zur Zeit der Weinlese! :D
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • @ Traubenzucker

      Tut mir Leid. Irgendwie ist das jetzt alles durcheinander gekommen. Ich will jedenfalls ausdrücken, dass ich es nicht okay fände, wenn Eltern oder andere dem neuen Gesetzentwurf nach einer Beschneidung zustimmen dürften, auch wenn nur rein wirtschaftliche (oder meinetwegen auch gesellschaftliche) Interessen in dem Antrag dazu stünden.