Rechtssicherheit und Kindeswohlvorbehalt im Eckpunktepapier des BMJ

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    • Rechtssicherheit und Kindeswohlvorbehalt im Eckpunktepapier des BMJ

      Das Eckpunktepapier wirft bei mir (neben vielen Kritikpunkten) auch eine Frage auf. Vielleicht kann mir jemand helfen:

      In dem Entwurf wird gesagt, dass die Einwilligung der Eltern zur Beschneidung nur dann rechtmäßig ist, sofern nicht durch die "Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird". Das BMJ hält es also grundsätzlich für denkbar, dass eine Beschneidung im Einzelfall dem Kindeswohl entgegensteht. Gleichzeitig wird aber nicht umfassend dargelegt, unter welchen Umständen eine solche Kindeswohlgefährdung gegeben ist oder unter welchen Bedingungen sie auszuschließen wäre. Es wird lediglich auf die notwendige "Durchführung nach den Regeln der ärztlichen Kunst" und die "Pflicht des Beschneiders zur umfassenden Aufklärung der Eltern", sowie - und das ist eigentlich ein spannender Punkt - einen "etwa entgegenstehenden Willen des Kindes" verwiesen.

      Das Problem ist nun aber, dass die tatsächliche Rechtmäßigkeit einer Beschneidung an die Umstände des Einzelfalls geknüpft bleibt. Die Bedingungen, die das BMJ formuliert, sind notwendige Bedingungen für eine Beschneidung, die das Kindeswohl nicht gefährdet, aber keine hinreichenden. Damit hat sich doch die angestrebte Rechtssicherheit in jeder Hinsicht erledigt. Eigentlich müssten vor allem die Beschneidungsärzte Sturm laufen gegen diese neue Regelung, weil sie sich - zumindest theoretisch - jederzeit vor Gericht wiederfinden könnten, wenn die Umstände einer Beschneidung eine Kindeswohlgefährdung nahelegen. Und alleine die Frage nach dem entgegenstehenden Willen des Kindes dürfte ja durchaus heikel sein. Wie soll sich ein Arzt hier absichern können? Der Vorschlag des BMJ schafft in meinen Augen alles andere als Rechtssicherheit. Den Eltern reicht es vielleicht, darauf zu spekulieren, dass ohnehin niemand Anzeige erstatten wird, aber für einen Arzt ist das wohl eine schlechte Basis.

      Man könnte sich ja eigentlich freuen, dass es dem Justizministerium offenbar nicht gelungen ist, Bedingungen zu formulieren, unter denen eine rituelle Beschneidung immer legal ist, wenn man nicht im Ergebnis nun mit einer noch schlechteren Regelung leben müsste.
    • "...Die Einwilligung der Eltern schließt die Rechtswidrigkeit des Eingriffs aus mit der Folge, dass lege artis vorgenommene Beschneidungen von Jungen nicht als Körperverletzung bestraft werden können und auch keine Schadensersatzpflicht auslösen....."


      Damit ist nach meinem Rechtsverständnis( das zugegebenermaßen äußerst gering ist), der Arzt weitestgehend auf der sicheren Seite.


      Ein Kindswohlgefährdung liegt nach dieser Auffassung nicht im Eingriff selbst( der als harmlos betrachtet wird und als Möglichkeit wie eine Impfung betrachtet wird), sondern in den Umständen: z.B. starke Gelbsucht des Neugeborenen oder wenn das Kind Bluter ist.


      So wie ich das verstehe, kann man also nicht klagen, wenn es durch die OP zu einem Schaden kommt, der zu den Risiken dieser Operation zählt, sondern nur bei nicht lege artis ausgeführten OPs.

    • Keine Betroffenen bei der Anhörung zur Beschneidung von Jungen im Justizministerium

      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Ava schrieb:

      Ein Kindswohlgefährdung liegt nach dieser Auffassung nicht im Eingriff selbst( der als harmlos betrachtet wird und als Möglichkeit wie eine Impfung betrachtet wird), sondern in den Umständen: z.B. starke Gelbsucht des Neugeborenen oder wenn das Kind Bluter ist.

      Hm, ich finde das nicht so deutlich. Immerhin heißt es im Eckpunktepapier ja:

      Über den Kindeswohlvorbehalt in Absatz 1 Satz 2 kann dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag Rechnung getragen werden, wenn die Umstände des Einzelfalls zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen. In diesem Rahmen kann auch ein etwa entgegenstehender Wille des Kindes zu berücksichtigen sein.

      Andererseits scheinen die unklaren Formulierungen im Eckpunktepapier auch bei anderen Verwirrung auszulösen:

      Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums - Auftrag erfüllt - aber wie? - Wissen - sueddeutsche.de

      Kinder sollen rechtlos gestellt werden | hpd

      Beschneidungsdebatte: „Bizarre Missachtung kindlicher Rechte“ - Politik - Tagesspiegel

      Irgendwie klingt selbst die Information auf der Webseite des BMJ anders als das, was im Eckpunktepapier steht:

      Das Bundesjustizministerium stellt klar, was ohnehin schon möglich ist: Die Regelung soll die Verunsicherung, die durch das Urteil des Landgerichts Köln entstanden ist, beseitigen. Nach dem Grundgesetz haben Eltern das Recht auf Erziehung. Die Erziehung liegt primär in der Verantwortung der Eltern. Dazu gehört auch, dass sie sämtliche Fragen, die ihre Kinder betreffen, entscheiden können – auch eine Beschneidung des Jungen nach Regeln der ärztlichen Kunst. Der Staat hat hier ein Wächteramt, wenn im Einzelfall eine Kindeswohlgefährdung droht. Das BMJ hat eine Regelung vorgelegt, die nur auf die Beschneidung von Jungen beschränkt ist, die noch nicht selbst entscheiden können.

      Das Bundesjustizministerium hat vier Anforderungen an die Beschneidung berücksichtigt:

      1. Sie muss fachgerecht durchgeführt werden. Und deshalb muss die Beschneidung möglichst schonend und mit einer möglichst effektiven Schmerzbehandlung durchgeführt werden.

      2. Sie darf nur nach einer vorherigen umfassenden Aufklärung erfolgen.

      3. Eltern müssen den Kindeswillen bei dieser Frage entsprechend miteinbeziehen.

      4. Eine Ausnahmeregelung greift, wenn im Einzelfall das Kindeswohl gefährdet wird, z.B. bei gesundheitlichen Risiken.

      In der Regel wird die Beschneidung von Ärzten durchgeführt. Die Beschneidung kann innerhalb der ersten 6 Lebensmonate auch von Personen durchgeführt werden, die von ihrer Religionsgemeinschaft dafür vorgesehen sind. Diese Personen müssen die Beschneidung genauso gut wie ein Arzt beherrschen.

      Dass ausgerechnet das BMJ verschweigt, dass das Elternrecht normalerweise keine beliebigen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit von Kindern abdeckt, ist schon ein starkes Stück. Eine derartig dreiste Verlogenheit hätte ich eigentlich von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht erwartet.