Der Grund warum ich diesen Strang hier eröffne liegt an einem vorangegangenen persönlichen Austausch mit Weguer. Ich hatte ihm davon geschrieben, dass in diesem Forum hier für meinen persönlichen Geschmack der Fokus tendentiell auf einer Sichtweise liegt, die durch Worte wie „Kampf, Gegner, Befürworter, ..." geprägt ist. Ich habe Weguer dazu ein paar Worte geschrieben und er schlägt vor, dass ich meine Gedanken „zur Diskussion stelle“. So versuche ich dies hiermit.
Die allermeisten Beschneidungen von Kindern sind für mich zweifelsohne eine Grausamkeit, die den Kindern angetan wird. „Eine normale, gesunde Reaktion auf eine solche Behandlung wäre bei einem gesunden, normalen Kind eine narzißtische Wut von starker Intensität."* Doch im Regelfall erlaubt das Umfeld des beschnittenen Kindes nicht, dass diese Wut sein darf. Anstatt von Empathie, die für das Erlebte heilsam wäre, wird die Beschneidung als Vorteil im religiösen oder medizinischen Sinne dargestellt und nicht verstanden, dass das Kind eine Grausamkeit erleben musste. Der Drang des Kindes den Schmerz auszudrücken verlangt, dass man die Beschneidung als Grausamkeit erkennt. Bei der FGM ist dies für unsere Gesellschaft leichter zu erkennen, dass es sich hierbei um eine Grausamkeit handelt, da unsere Gesellschaft hier einen Blick von außen hat und dadurch objektiver wahrnehmen kann. Eine Verstrickung mit kulturellen, religiösen oder medizinischen Anschauungen gibt es bei der FGM in Deutschland kaum.
Aber bei den Jungs ist ein Blick von außerhalb auf der gesellschaftlichen, sprich kollektiven Bewußtseinsebene nicht möglich. Und für die meisten beschnittenen Jungen gibt es keine Möglichkeit, obschon der Drang bei jedem Jungen da ist, davon bin ich überzeugt, emotional zu artikulieren, was sie erlitten haben. Der Weg einer empathischen Kommunikation wird im Bezug zur Verstümmelung des Penis fast immer verwehrt, aus mehreren Gründen. So wären die Verantwortlichen der Entscheidung zur Beschneidung sehr wahrscheinlich mit Schuldgefühlen konfrontiert, wenn sie sich dem Leid des Kindes mit Mitgefühl stellen würden, aber oft fehlt ihnen auch einfach das Bewußtsein für das was wirklich bei einer Beschneidung passiert und Arztmeinungen oder religiös motivierte Rituale werden nicht (genügend) hinterfragt.
Da aber ein Kind nicht auf seine Eltern verzichten kann, und somit nicht auf seiner eigenen Wirklichkeit beharren, wird die erlebte Grausamkeit zum Trauma. Es ist eine wichtige Unterscheidung: das Trauma entsteht in erster Linie nicht durch die Beschneidung, sondern dadurch, dass die darin enthaltene Grausamkeit vom Umfeld geleugnet wird. Durch die Leugnung wird verhindert, dass der Schock über das Erlebte verarbeitet werden darf. (Ein Verlust eines Körperteils allein ist eine Verletzung, der Verlust von Nervengewebe hat automatisch Folgen, aber das Trauma entsteht durch das Ausbleiben des Verarbeitungsprozesses.)
Fast immer wird, weil es ja in seinem Umfeld nicht sein darf, der Schock über das Erlebte abgespalten. Es darf nicht gefühlt und nicht gedacht werden. Dies gilt für die religiös motivierte Beschneidung ohnedies, aber auch für die medizinisch begründete Zirkumzision, die ja zumeist auch einer völlig verzerrten Wahrnehmung über die Funktion der Vorhaut und die Tiefe des operativen Eingriffs entspringt.
Wenn die erlebte Verletzung nicht als solche gedacht und gefühlt werden darf, dann entsteht ein destruktives Verhalten, das sich oft in einer Wiederholung der Verletzung vollzieht. Als Erwachsener wiederholt man an Kindern das, was man selber erlebt hat. Und die eigene Verletzung als Kind, die keine solche sein durfte, verhindert, dass man Mitgefühl empfinden kann, wenn sich die Grausamkeit an einem Kind wiederholt. Und das gilt sowohl für die kollektive wie auch die individuelle Ebene.
Aber im Grunde liegt in der Wiederholung eine Sehnsucht danach, dass die Verletzung als Solche gesehen wird. Ein Verlangen, dass der abgespaltene und verletzte Teil wieder heil (bzw. ganz), das heisst integriert wird.
Davor gibt es aber eine Mauer des Widerstandes. Wenn die erlebte Grausamkeit einmal als „es darf nicht sein" akzeptiert und abgespalten wurde, dann wird das Verbot dies zu fühlen und zu denken verinnerlicht und gegensätzliche Ansichten mit gutem Gewissen bekämpft. Die Basis für ein nüchternes Reflektieren, ein Abwägen der Beschneidung und ihrer Folgen mittels rationeller Überlegungen ist dann nicht möglich, da dies dem Denk- und Fühlverbot entgegen stehen würde. Für rationelle Argumente ist der im Muster der Wiederholung und Rechtfertigung des Erlebten (als notwendig und gesund) Gefangene nicht zugänglich.
Was würde passieren wenn er sich darauf einließe? Der Schmerz würde hochkommen, der Schmerz der nicht sein darf!
Meiner Meinung nach ist die einzige Möglichkeit auf gesellschaftlicher Ebene etwas zu verändern, da bin ich von überzeugt, in den Befürwortern der Beschneidung die verletzten Kinder zu sehen, und ihnen mit Mitgefühl zu begegnen. Das ist mein Standpunkt und ein gänzlich anderer als wie er durch Worte wie „Kampf, Gegner, Befürworter, ..." geprägt ist. Es ist nötig in den Befürwortern nicht nur die Täter sondern auch die Opfer zu sehen. (Und es gibt dabei auch Übertragungen von anderen Formen erlebter Grausamkeiten auf die Beschneidung.)
Wenn nun aber ein Erwachsener den Zugang zu dem kleinen Jungen in ihm findet, das ist aber eher die Ausnahme als die Regel, und er beginnt die Verletzung durch die Verstümmelung seines Penis zu fühlen und in Gedanken zu reflektieren, dann bedeutet dies häufig den Beginn einer ernsten Krise. Die Verletzung hat ja verschiedene Seiten wie zuvorderst natürlich den Verlust der sexuellen und sensitiven Funktion der Vorhaut.
Meiner Meinung nach ist es aber auch sehr schmerzhaft, und vielleicht sogar noch schwieriger als alles andere, zu erkennen, dass die engsten Bezugspersonen, zumeist die eigenen Eltern, einen damals als Kind dieser Verletzung ausgeliefert haben, medizinisch, kulturell oder religiös begründet. Es ist schwer die Eltern zu lieben und zu respektieren und gleichzeitig in sich die Wut des kleinen Kindes zu spüren. Ich kenne das als Gefühl innerlich zerrissen zu werden.
Und ich denke, dass viele Opfer von Beschneidungen im Kindheitsalter nach dem Spüren des Schmerzes über die erlittene Verletzung Gefahr laufen in dem Verarbeitungsprozess des Traumas stecken zu bleiben.
Das Spüren des Schmerzes und das Bewußtwerden dessen, was einem als Kind widerfahren ist allein reicht nicht aus, um das Trauma zu verarbeiten. Es ist nur der erste Schritt. Und nach meiner Beobachtung erlauben sich die Opfer oft nicht weiter zu gehen, sondern richten ihre Energie nach außen und suchen sich hier einen Adressaten, der die Wut kanalisieren hilft. Als Adressat für die Wut bieten sich naheliegender Weise Beschneidungsbefürworter an. Aber es kommen auch Projektionen auf andere Bereiche vor, in denen die Wut kanalisiert werden kann, sei es auf politischer Ebene oder in der Partnerschaft. Oder dadurch, dass versucht wird möglichst viele Kinder vor dem Unrecht zu retten, also so eine Art „Helfersyndrom“ entsteht. Im Grunde ist es zweitrangig, da im Außen keine Lösung, kein wirkliches Verarbeiten des Erlebten möglich ist.
Doch leider wird so ein Verhalten nicht selten als eine Möglichkeit des Verarbeitens bezeichnet, gerade dann wenn es sich eigentlich um eine Kontrolle der Wut mit Hilfe der Kanalisierung nach außen handelt. Dann wird die offene durch die kontrollierte Wut ersetzt und kann dadurch weniger gespürt werden. Aus der Abspaltung wird eine Form der Verdrängung. Ich erkenne hier keine Verarbeitung, sondern Kompensation.
Die Verarbeitung des Traumas ist nur im Inneren möglich. Dort ist der Ort wo der Konflikt wartet, der nach einer Lösung sucht. Den Konflikt, dass etwas was war gleichzeitig als das was es war nicht sein durfte, zu erkennen ist noch nicht genug. Es muss beides zugleich gefühlt werden, der Schmerz und die Wut muss sein dürfen und die Liebe zu den engesten Bezugspersonen des Kindes, die das „sein dürfen“ nicht erlaubt hatten und das Mitgefühl verweigert haben, muss auch gespürt werden. Die Vereinigung der Gegensätze ist der Schlüssel in der Verarbeitung des Traumas.
Dann erlebt man, dass sich etwas befreit, die Wut sich auflöst und etwas in einem zu fließen beginnt, leichter wird. Für diese Wandlung ist die Vorraussetzung, dass das kleine verletzte Kind im Erwachsenen Empathie bekommt. Sei es in einem therapeutischen Rahmen in dem Stellvertreter die Rolle der Eltern übernehmen oder der Erwachsene fühlt die Empathie für das verletzte Kind in sich selber und hält es in seinem Herzen. Letzteres ist aber für sehr überwältigende Erfahrungen des Traumas recht schwierig.
Ein einfühlsamer Partner, bzw. Partnerin kann eine große Hilfe sein. Indem der Partner das verletzte Kind wahrnimmt und sich erlaubt den Schmerz der Verletzung in sich selber zu fühlen, mit zu fühlen, ist viel Heilung möglich. Beim Partner findet das Opfer einen Ort, wo Liebe gespürt werden kann, und gleichzeitig auch die Ohnmacht, Wut, Verzweiflung und Ohnmacht des eigenen inneren Kindes. Gleichwohl ist es nicht einfach und erfordert vom Partner einiges an psychischer Stabilität.
Möglich ist natürlich auch die Wandlung des Traumas in den Armen der leiblichen Eltern. Dies erfordert aber einen Bewußtseinswandel auch bei ihnen, wie auch genügend Kraftressourcen um Halt geben zu können.
In wie weit eine traumatisch erlebte Beschneidung verabeitet worden ist, kann man daran erkennen, ob man die Beschneidung noch ablehnt oder als Teil des eigenen Schicksals angenommen hat. Was fühlt das Opfer im Herzen bei Gedanken an die erlebte Verletzung? Ist da Mitgefühl und Liebe für das kleine Kind in einem und kann das Verhalten der Eltern damals von der Liebe zu den Eltern unterschieden werden, oder wird das Herz eng und hinter der nächsten Ecke lauert noch die Wut?
Eine vollständige Integration der erlebten Grausamkeit ist nicht ohne zu Verzeihen möglich, da ein vollständiges Annehmen dessen, was man erlebt und was einen geprägt hat, dies vorraussetzt. Lehnt man dieses Erlebnis als Teil der eigenen Biographie ab, so lehnt man einen Teil seines eigenen Lebens ab und kann diesen dann auch nicht wirklich integrieren. Und zu Verzeihen bedeutet im Wesen das Annehmen des Erlebten mit all seinen Facetten und Emotionen, auch der Wut gegenüber den Tätern. Das sich lösen von der Wut ist anders nicht möglich, nur dadurch dass Wut und Liebe sich einander begegnen. Darin wartet auch die Erfahrung, dass die Liebe von den beiden die größere Kraft ist.
Ich habe ja schon geschrieben, dass ich hier im Forum meinem Empfinden nach einen Schwerpunkt wahrnehme, den ich durch Worte wie „"Kampf, Gegner, Befürworter, ..." geprägt sehe. Wenn ich dann dafür bin, in den Befürwortern die verletzten Kinder zu sehen, so habe ich in den letzten Absätzen versucht darzulegen, was dafür als Opfer einer traumatisch erlebten Beschneidung nötig ist, um das zu können.
Dies bedeutet natürlich nicht, seine Position und Bestrebungen inhaltlich aufzugeben, ganz sicher nicht. Aber es wäre ein Handeln aus einer anderen Haltung heraus. Statt Gegner (also eigentlich Befürworter in der Sache) zu bekämpfen, welches mit angespanntem Herzen, Zynismus und (oft verdeckter) Wut geschieht, ein Handeln aus Liebe und Mitgefühl.
Das kann durchaus bedeuten, dass Grenzen gezogen werden müssen und Konflikte ausgetragen, also auch eine Art Kampf stattfindet, es Gegner und Befürworter gibt. Und doch wäre es was ganz anderes. Die Gegensätze wären im eigenen Herzen vereint und erst dann kann es ums Ganze gehen, und nicht mehr primär darum eine andere Seite zu überzeugen.
Könnt ihr verstehen was ich meine?
So als ein paar meiner Gedanken.
* Zitat von Alice Miller über Misshandlungen von Kindern im Allgemeinen, aus „Am Anfang war Erziehung", S. 277, 1. Aufl. 1980, Suhrkamp Verlag
Die allermeisten Beschneidungen von Kindern sind für mich zweifelsohne eine Grausamkeit, die den Kindern angetan wird. „Eine normale, gesunde Reaktion auf eine solche Behandlung wäre bei einem gesunden, normalen Kind eine narzißtische Wut von starker Intensität."* Doch im Regelfall erlaubt das Umfeld des beschnittenen Kindes nicht, dass diese Wut sein darf. Anstatt von Empathie, die für das Erlebte heilsam wäre, wird die Beschneidung als Vorteil im religiösen oder medizinischen Sinne dargestellt und nicht verstanden, dass das Kind eine Grausamkeit erleben musste. Der Drang des Kindes den Schmerz auszudrücken verlangt, dass man die Beschneidung als Grausamkeit erkennt. Bei der FGM ist dies für unsere Gesellschaft leichter zu erkennen, dass es sich hierbei um eine Grausamkeit handelt, da unsere Gesellschaft hier einen Blick von außen hat und dadurch objektiver wahrnehmen kann. Eine Verstrickung mit kulturellen, religiösen oder medizinischen Anschauungen gibt es bei der FGM in Deutschland kaum.
Aber bei den Jungs ist ein Blick von außerhalb auf der gesellschaftlichen, sprich kollektiven Bewußtseinsebene nicht möglich. Und für die meisten beschnittenen Jungen gibt es keine Möglichkeit, obschon der Drang bei jedem Jungen da ist, davon bin ich überzeugt, emotional zu artikulieren, was sie erlitten haben. Der Weg einer empathischen Kommunikation wird im Bezug zur Verstümmelung des Penis fast immer verwehrt, aus mehreren Gründen. So wären die Verantwortlichen der Entscheidung zur Beschneidung sehr wahrscheinlich mit Schuldgefühlen konfrontiert, wenn sie sich dem Leid des Kindes mit Mitgefühl stellen würden, aber oft fehlt ihnen auch einfach das Bewußtsein für das was wirklich bei einer Beschneidung passiert und Arztmeinungen oder religiös motivierte Rituale werden nicht (genügend) hinterfragt.
Da aber ein Kind nicht auf seine Eltern verzichten kann, und somit nicht auf seiner eigenen Wirklichkeit beharren, wird die erlebte Grausamkeit zum Trauma. Es ist eine wichtige Unterscheidung: das Trauma entsteht in erster Linie nicht durch die Beschneidung, sondern dadurch, dass die darin enthaltene Grausamkeit vom Umfeld geleugnet wird. Durch die Leugnung wird verhindert, dass der Schock über das Erlebte verarbeitet werden darf. (Ein Verlust eines Körperteils allein ist eine Verletzung, der Verlust von Nervengewebe hat automatisch Folgen, aber das Trauma entsteht durch das Ausbleiben des Verarbeitungsprozesses.)
Fast immer wird, weil es ja in seinem Umfeld nicht sein darf, der Schock über das Erlebte abgespalten. Es darf nicht gefühlt und nicht gedacht werden. Dies gilt für die religiös motivierte Beschneidung ohnedies, aber auch für die medizinisch begründete Zirkumzision, die ja zumeist auch einer völlig verzerrten Wahrnehmung über die Funktion der Vorhaut und die Tiefe des operativen Eingriffs entspringt.
Wenn die erlebte Verletzung nicht als solche gedacht und gefühlt werden darf, dann entsteht ein destruktives Verhalten, das sich oft in einer Wiederholung der Verletzung vollzieht. Als Erwachsener wiederholt man an Kindern das, was man selber erlebt hat. Und die eigene Verletzung als Kind, die keine solche sein durfte, verhindert, dass man Mitgefühl empfinden kann, wenn sich die Grausamkeit an einem Kind wiederholt. Und das gilt sowohl für die kollektive wie auch die individuelle Ebene.
Aber im Grunde liegt in der Wiederholung eine Sehnsucht danach, dass die Verletzung als Solche gesehen wird. Ein Verlangen, dass der abgespaltene und verletzte Teil wieder heil (bzw. ganz), das heisst integriert wird.
Davor gibt es aber eine Mauer des Widerstandes. Wenn die erlebte Grausamkeit einmal als „es darf nicht sein" akzeptiert und abgespalten wurde, dann wird das Verbot dies zu fühlen und zu denken verinnerlicht und gegensätzliche Ansichten mit gutem Gewissen bekämpft. Die Basis für ein nüchternes Reflektieren, ein Abwägen der Beschneidung und ihrer Folgen mittels rationeller Überlegungen ist dann nicht möglich, da dies dem Denk- und Fühlverbot entgegen stehen würde. Für rationelle Argumente ist der im Muster der Wiederholung und Rechtfertigung des Erlebten (als notwendig und gesund) Gefangene nicht zugänglich.
Was würde passieren wenn er sich darauf einließe? Der Schmerz würde hochkommen, der Schmerz der nicht sein darf!
Meiner Meinung nach ist die einzige Möglichkeit auf gesellschaftlicher Ebene etwas zu verändern, da bin ich von überzeugt, in den Befürwortern der Beschneidung die verletzten Kinder zu sehen, und ihnen mit Mitgefühl zu begegnen. Das ist mein Standpunkt und ein gänzlich anderer als wie er durch Worte wie „Kampf, Gegner, Befürworter, ..." geprägt ist. Es ist nötig in den Befürwortern nicht nur die Täter sondern auch die Opfer zu sehen. (Und es gibt dabei auch Übertragungen von anderen Formen erlebter Grausamkeiten auf die Beschneidung.)
Wenn nun aber ein Erwachsener den Zugang zu dem kleinen Jungen in ihm findet, das ist aber eher die Ausnahme als die Regel, und er beginnt die Verletzung durch die Verstümmelung seines Penis zu fühlen und in Gedanken zu reflektieren, dann bedeutet dies häufig den Beginn einer ernsten Krise. Die Verletzung hat ja verschiedene Seiten wie zuvorderst natürlich den Verlust der sexuellen und sensitiven Funktion der Vorhaut.
Meiner Meinung nach ist es aber auch sehr schmerzhaft, und vielleicht sogar noch schwieriger als alles andere, zu erkennen, dass die engsten Bezugspersonen, zumeist die eigenen Eltern, einen damals als Kind dieser Verletzung ausgeliefert haben, medizinisch, kulturell oder religiös begründet. Es ist schwer die Eltern zu lieben und zu respektieren und gleichzeitig in sich die Wut des kleinen Kindes zu spüren. Ich kenne das als Gefühl innerlich zerrissen zu werden.
Und ich denke, dass viele Opfer von Beschneidungen im Kindheitsalter nach dem Spüren des Schmerzes über die erlittene Verletzung Gefahr laufen in dem Verarbeitungsprozess des Traumas stecken zu bleiben.
Das Spüren des Schmerzes und das Bewußtwerden dessen, was einem als Kind widerfahren ist allein reicht nicht aus, um das Trauma zu verarbeiten. Es ist nur der erste Schritt. Und nach meiner Beobachtung erlauben sich die Opfer oft nicht weiter zu gehen, sondern richten ihre Energie nach außen und suchen sich hier einen Adressaten, der die Wut kanalisieren hilft. Als Adressat für die Wut bieten sich naheliegender Weise Beschneidungsbefürworter an. Aber es kommen auch Projektionen auf andere Bereiche vor, in denen die Wut kanalisiert werden kann, sei es auf politischer Ebene oder in der Partnerschaft. Oder dadurch, dass versucht wird möglichst viele Kinder vor dem Unrecht zu retten, also so eine Art „Helfersyndrom“ entsteht. Im Grunde ist es zweitrangig, da im Außen keine Lösung, kein wirkliches Verarbeiten des Erlebten möglich ist.
Doch leider wird so ein Verhalten nicht selten als eine Möglichkeit des Verarbeitens bezeichnet, gerade dann wenn es sich eigentlich um eine Kontrolle der Wut mit Hilfe der Kanalisierung nach außen handelt. Dann wird die offene durch die kontrollierte Wut ersetzt und kann dadurch weniger gespürt werden. Aus der Abspaltung wird eine Form der Verdrängung. Ich erkenne hier keine Verarbeitung, sondern Kompensation.
Die Verarbeitung des Traumas ist nur im Inneren möglich. Dort ist der Ort wo der Konflikt wartet, der nach einer Lösung sucht. Den Konflikt, dass etwas was war gleichzeitig als das was es war nicht sein durfte, zu erkennen ist noch nicht genug. Es muss beides zugleich gefühlt werden, der Schmerz und die Wut muss sein dürfen und die Liebe zu den engesten Bezugspersonen des Kindes, die das „sein dürfen“ nicht erlaubt hatten und das Mitgefühl verweigert haben, muss auch gespürt werden. Die Vereinigung der Gegensätze ist der Schlüssel in der Verarbeitung des Traumas.
Dann erlebt man, dass sich etwas befreit, die Wut sich auflöst und etwas in einem zu fließen beginnt, leichter wird. Für diese Wandlung ist die Vorraussetzung, dass das kleine verletzte Kind im Erwachsenen Empathie bekommt. Sei es in einem therapeutischen Rahmen in dem Stellvertreter die Rolle der Eltern übernehmen oder der Erwachsene fühlt die Empathie für das verletzte Kind in sich selber und hält es in seinem Herzen. Letzteres ist aber für sehr überwältigende Erfahrungen des Traumas recht schwierig.
Ein einfühlsamer Partner, bzw. Partnerin kann eine große Hilfe sein. Indem der Partner das verletzte Kind wahrnimmt und sich erlaubt den Schmerz der Verletzung in sich selber zu fühlen, mit zu fühlen, ist viel Heilung möglich. Beim Partner findet das Opfer einen Ort, wo Liebe gespürt werden kann, und gleichzeitig auch die Ohnmacht, Wut, Verzweiflung und Ohnmacht des eigenen inneren Kindes. Gleichwohl ist es nicht einfach und erfordert vom Partner einiges an psychischer Stabilität.
Möglich ist natürlich auch die Wandlung des Traumas in den Armen der leiblichen Eltern. Dies erfordert aber einen Bewußtseinswandel auch bei ihnen, wie auch genügend Kraftressourcen um Halt geben zu können.
In wie weit eine traumatisch erlebte Beschneidung verabeitet worden ist, kann man daran erkennen, ob man die Beschneidung noch ablehnt oder als Teil des eigenen Schicksals angenommen hat. Was fühlt das Opfer im Herzen bei Gedanken an die erlebte Verletzung? Ist da Mitgefühl und Liebe für das kleine Kind in einem und kann das Verhalten der Eltern damals von der Liebe zu den Eltern unterschieden werden, oder wird das Herz eng und hinter der nächsten Ecke lauert noch die Wut?
Eine vollständige Integration der erlebten Grausamkeit ist nicht ohne zu Verzeihen möglich, da ein vollständiges Annehmen dessen, was man erlebt und was einen geprägt hat, dies vorraussetzt. Lehnt man dieses Erlebnis als Teil der eigenen Biographie ab, so lehnt man einen Teil seines eigenen Lebens ab und kann diesen dann auch nicht wirklich integrieren. Und zu Verzeihen bedeutet im Wesen das Annehmen des Erlebten mit all seinen Facetten und Emotionen, auch der Wut gegenüber den Tätern. Das sich lösen von der Wut ist anders nicht möglich, nur dadurch dass Wut und Liebe sich einander begegnen. Darin wartet auch die Erfahrung, dass die Liebe von den beiden die größere Kraft ist.
Ich habe ja schon geschrieben, dass ich hier im Forum meinem Empfinden nach einen Schwerpunkt wahrnehme, den ich durch Worte wie „"Kampf, Gegner, Befürworter, ..." geprägt sehe. Wenn ich dann dafür bin, in den Befürwortern die verletzten Kinder zu sehen, so habe ich in den letzten Absätzen versucht darzulegen, was dafür als Opfer einer traumatisch erlebten Beschneidung nötig ist, um das zu können.
Dies bedeutet natürlich nicht, seine Position und Bestrebungen inhaltlich aufzugeben, ganz sicher nicht. Aber es wäre ein Handeln aus einer anderen Haltung heraus. Statt Gegner (also eigentlich Befürworter in der Sache) zu bekämpfen, welches mit angespanntem Herzen, Zynismus und (oft verdeckter) Wut geschieht, ein Handeln aus Liebe und Mitgefühl.
Das kann durchaus bedeuten, dass Grenzen gezogen werden müssen und Konflikte ausgetragen, also auch eine Art Kampf stattfindet, es Gegner und Befürworter gibt. Und doch wäre es was ganz anderes. Die Gegensätze wären im eigenen Herzen vereint und erst dann kann es ums Ganze gehen, und nicht mehr primär darum eine andere Seite zu überzeugen.
Könnt ihr verstehen was ich meine?
So als ein paar meiner Gedanken.
* Zitat von Alice Miller über Misshandlungen von Kindern im Allgemeinen, aus „Am Anfang war Erziehung", S. 277, 1. Aufl. 1980, Suhrkamp Verlag
Achtsamkeit ist ein aufmerksames Beobachten, ein Gewahrsein, das völlig
frei von Motiven oder Wünschen ist, ein Beobachten ohne jegliche
Interpretation oder Verzerrung. (J. Krishnamurti)
frei von Motiven oder Wünschen ist, ein Beobachten ohne jegliche
Interpretation oder Verzerrung. (J. Krishnamurti)