Eckpunkte komplett

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    • Es ist schon eine perfide Grundkonstruktion: Man beschäftigt sich erst gar nicht mit der Frage, ob eine Beschneidung dem Kindeswohl dient oder wie der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu rechtfertigen wäre. Stattdessen überlässt man die Entscheidung - ohne jede weitere Begründung - den Eltern. Um etwaiger Kritik vorzubeugen, baut man dann ein Hintertürchen ein, dass die Beschneidung nicht das Kindeswohl gefährden darf. Letzteres wäre wohl nur im Einzelfall vor Gericht zu klären. Man spekuliert dabei offensichtlich darauf, dass sich ein Kölner Fall nicht wiederholen wird (im Zweifelsfall wird man das dann auch den Staatsanwaltschaften noch einmal deutlich zu verstehen geben).

      Ärgerlich auch, dass in der Presse heute vielfach zu lesen ist, dass der Vorschlag die Empfehlungen des "Ethikrates" aufnimmt, was ich so nicht sehen kann:

      - Ein Veto-Recht für Jungen ist nicht vorgesehen, da Beschneidungen überwiegend vor dem elften Lebensjahr vorgenommen werden, so dass die Kinder nach Auffassung des Justizministeriums "mangels Einsichts- und Urteilsfähigkeit jedenfalls noch nicht selbst wirksam in den Eingriff einwilligen können". Und nur für diese Kinder gilt die Regelung. Auch hier lässt man unter Verweis auf den Kindeswohlvorbehalt ein Hintertürchen offen, was in der Praxis keinerlei Relevanz haben dürfte.

      - Durchführung nach Regeln der ärztlichen Kunst umfasst nach Auffassung des Justizministeriums "eine unter Beachtung der medizinischen Standards im Einzelfall gebotene und wirkungsvolle Schmerzbehandlung". Klingt sehr vage. Der Verweis auf den Einzelfall dürfte wohl das Zugeständnis an Mohalim sein, auch weiterhin Beschneidungen ohne wirksame Anästhesie (wenn man bei Neugeborenen überhaupt davon sprechen kann) durchzuführen.

      - Pflicht zur Aufklärung der Eltern: Wird vorausgesetzt und soll daher nicht explizit im Gesetz auftauchen. Auch das ist eine perfide Argumentation, denn wer die Debatte verfolgt, wird schnell feststellen, dass jüdische Religionsvertreter teilweise große Probleme mit einer umfassenden Aufklärung über Risiken haben (man schaue nur auf die derzeit in den USA geführte Debatte um das Metzitzah B'peh). Überhaupt: Ein Mohel klärt über die gesundheitlichen Risiken der Beschneidung auf. Was für eine absurde Vorstellung.

      Außerdem hat sich der "Ethikrat" explizit auf Beschneidungen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen beschränkt und nicht für eine Legalisierung von Zwangsbeschneidungen im Allgemeinen ausgesprochen.

      Die Dreistigkeit, mit der hier versucht wird, möglichst geräuschlos den Zustand von vor dem Kölner Urteil wiederherzustellen, macht mich schon einigermaßen wütend.
    • Ich gebe Panther zu 90% recht. In zwei Punkten glaube ich allerdings, dass er irrt.
      1. Der Ethikrat hatte sich nicht auf weltanschauliche oder religiöse Gründe beschränkt, sondern ausschließlich die Elternrechte in den Vordergrund gestellt. Siehe den Vortrag des Staatsrechtlers Wolfram Höfling und die abschließende Erklärung des Ethikrates.
      2. Durch einen § 1631d BGB wird meines Erachtens auch nicht der alte Rechtszustand vor dem Kölner Urteil wieder hergestellt, sondern vielmehr leider ein neuer geschaffen. Die Beschneidung wäre dann durch den Gesetzgeber in Deutschland erstmals legalisiert. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 GG wäre nunmehr durch ein Gesetz eingeschränkt, so dass sich niemand mehr im Falle der Beschneidung auf dieses Grundrecht berufen könnte.
    • Benni schrieb:

      Ich gebe Panther zu 90% recht. In zwei Punkten glaube ich allerdings, dass er irrt.
      1. Der Ethikrat hatte sich nicht auf weltanschauliche oder religiöse Gründe beschränkt, sondern ausschließlich die Elternrechte in den Vordergrund gestellt. Siehe den Vortrag des Staatsrechtlers Wolfram Höfling und die abschließende Erklärung des Ethikrates.

      "Ungeachtet tiefgreifender Differenzen in grundlegenden Fragen empfiehlt der Ethikrat einmütig, rechtliche Standards für eine Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen zu etablieren und dabei folgende Mindestanforderungen umzusetzen: ..."

      Deutscher Ethikrat: PRESSEMITTEILUNG 09/2012

      Auch interessant dazu die Aussage von Catenhusen (stellv. Vorsitzender des Ethikrates) hier:

      Religiöse Beschneidung - Erlauben oder verbieten? PHOENIX Runde am 05.09.12 - YouTube

      Benni schrieb:


      2. Durch einen § 1631d BGB wird meines Erachtens auch nicht der alte Rechtszustand vor dem Kölner Urteil wieder hergestellt, sondern vielmehr leider ein neuer geschaffen. Die Beschneidung wäre dann durch den Gesetzgeber in Deutschland erstmals legalisiert. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 GG wäre nunmehr durch ein Gesetz eingeschränkt, so dass sich niemand mehr im Falle der Beschneidung auf dieses Grundrecht berufen könnte.

      Da hast du absolut recht. Aus Sicht von Beschneidungsgegnern verschlechtert sich die rechtliche Situation. Aber für diejenigen, die ungestört weiter beschneiden wollen, ändert sich eben nichts (im Sinne irgendeiner Einschränkung ihrer Praxis).
    • Es ist schon irre. Wenn man sich die Berichterstattung in den Medien anschaut, wird der Vorschlag des BMJ fast durchgängig als weiser Kompromiss bewertet, der die Beschneidung strengen Auflagen unterwirft, ganz so wie der "Ethikrat" es gefordert hat. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Hier läuft offenbar eine richtige Kampagne. Es ist auch seltsam (vielleicht auch üblich?), dass man es der Presse überlässt, die Öffentlichkeit mit schmackhaft aufbereiteten Häppchen aus dem Papier zu füttern, während man das Papier selbst gar nicht veröffentlicht. Transparenz ist anders. Und wenn dann auch noch die Flachpfeifen vom Kinderschutzbund in die Lobeshymne einstimmen. Ahh... Das kann doch alles nicht wahr sein.

      Sorry für dieses überflüssige Posting. Musste nur meinen Frust über diese Angelegenheit loswerden.
    • Super Leser-Kommentar in der WELT

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      In der Debatte wurde monatelang von religiösen Lobbygruppen gefordert, dass die Zwangsbeschneidung von kleinen Jungen in Deutschland möglich bleiben muss. Argumentiert wurde dabei immer mit der Religionsfreiheit der Eltern, gegenüber der die Grundrechte des Kindes auf körperlich-seelische Unverletzlichkeit und auf autonome Selbstbestimmung in der Abwägung zurückzustehen haben.

      Nun wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, der seinen religiösen Hintergrund verschämt verschweigt, und stattdessen pauschal die Vorhaut aller in Deutschland lebenden männlichen Kindern und Säuglingen zur freien Disposition der Eltern stellt, indem das Bestimmungsrecht über eine Beschneidung noch nicht einmal an die Angabe von Gründen geknüpft wird. Und das, um den Eltern ein Zwangs-Kundtun ihres Glaubens zu ersparen. Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Ebenen der Absurdität tun sich auf.

      Der vorliegende Entwurf einer gesetzliche Regelung zur Beschneidung stößt schließlich noch an eine weitere Grenze des Artikel 3 GG: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

      Wenn der Entwurf angenommen werden sollte, werden wir nicht nur die vollkommen widersprüchliche Situation haben, dass jedes noch so geringfügige religiös motivierte Anritzen von Mädchengenitalien (üblich z.B. unter indonesischen Muslimen) strafbar ist, während Jungen legal ein wichtiger Teil ihrer Geschlechtsorgane irreversibel entfernt werden kann, auch wenn dahinter nur die oberflächliche Motivation steckt, dass die Eltern es für "hübscher und sauberer" halten.

      Es ist in Deutschland zurecht strafbar seinem Kind für eine freche Bemerkung eine Ohrfeige zu verpassen, während es dann legal möglich wäre, einem männlichen Kind die Vorhaut abschneiden zu lassen.

      Sollte der Entwurf angenommen werden, opfert Deutschland Menschen- und Kinderrechte, insbesondere so zentrale Errungenschaften wie Menschenwürde, körperliche Unversehrtheit, Gleichbehandlung der Geschlechter und Kinderschutz zugunsten archaischer religiöser Rituale.

      Jede medizinisch nicht indizierte Zirkumzision schädigt lebenslang und beschädigt immer auch das Kindeswohl!
    • Die Opposition formiert sich gegen den Vorschlag der Regierung:

      Beschneidung: Opposition gegen Gesetzentwurf des Justizministeriums - Inland - FAZ

      Marlene Rupprecht (SPD), Diana Golze (Linke) und Katja Dörner (Grüne) schreiben, die Rechte von Kindern dürften nicht zur Disposition gestellt werden: „Es ist erschreckend, dass das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit bei den Überlegungen der Bundesregierung offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle spielt.“ Die Eckpunkte blieben zudem hinter den Vorschlägen des Ethikrates und selbst hinter der Vorgabe des Bundestags zurück, dass die Beschneidung ohne unnötige Schmerzen auszuführen sei.
    • Benni schrieb:

      2. Durch einen § 1631d BGB wird meines Erachtens auch nicht der alte Rechtszustand vor dem Kölner Urteil wieder hergestellt, sondern vielmehr leider ein neuer geschaffen. Die Beschneidung wäre dann durch den Gesetzgeber in Deutschland erstmals legalisiert. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 GG wäre nunmehr durch ein Gesetz eingeschränkt, so dass sich niemand mehr im Falle der Beschneidung auf dieses Grundrecht berufen könnte.
      Ich bin mir da nicht so sicher, lasse mich aber gerne belehren. Soweit ich weiss, kann kein Gesetz einfach mal eben so das Grundgesetz aushebeln.
      Art. 2 GG:
      (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Geschuldet der deutschen Vergangenheitsbewältigung gilt dieses Grundrecht ausdrücklich nicht, wenn die Person a) ein Kind und b) männlich ist, c) die Eltern entweder jüdischen oder muslimischen Glaubens sind und d) das kindliche Genital das Ziel der Versehrtheit ist.