Trauma und liebevolles Milieu

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    • Trauma und liebevolles Milieu

      Viele Beschneidungskritiker, wie z.B. Matthias Franz, vertreten bekanntlich seit Jahren die Ansicht, dass rituelle Beschneidung zu einem Trauma führe, das zwar - im Falle der Säuglingsbeschneidung - nicht mehr bewusst erinnert werde, aber trotzdem seine Wirkung entfalte.
      Nun begegnet man auf fachlicher Seite oft dem Argument, dass diese Darstellung verkürzt sei, da die traumatische Erfahrung durch die liebevolle Umgebung aufgefangen bzw. egalisiert werde.

      Die Psychologin Anna Leszczynska-Koenen formuliert diesen Gedanken in der Zeitschrift "Psyche" (Jahrgang 66/12) wie folgt:

      "Es ist eine absolute Verkürzung der Traumatheorie, die Erfahrung der Beschneidung aus dem jeweiligen Beziehungs- und kulturellen Kontext herauszulösen (Hegener 2004). Die psychische Verarbeitung von Erfahrung erfolgt bei Kindern bekanntlich im Rahmen liebevoller, haltender Beziehungen, die dem Erlebten Bedeutung verleihen und eine emotionale Integration ermöglichen. »Weil wir unsere Kinder lieben«, schreibt Pannbacker, »und weil es uns um ihr Wohl geht und weil sie als jüdische Kinder ein Recht darauf haben, in ihr Volk, ihre Religion und den Bund mit ihrem Gott aufgenommen zu werden, [...] beschneiden wir unsere Söhne am achten Tag nach der Geburt.« Eingebettet in eine auf diese Weise religiös und kulturell geprägte Vorstellung von Kindeswohl, wird die Integration des Schmerzreizes der Beschneidung sowie eine positive Besetzung des eigenen beschnittenen Genitals ganz anders möglich, als sich das jene vorstellen, für die diese kulturelle Zugehörigkeit keine Bedeutung hat."

      Anna Leszczynska-Koenen verweist darauf, dass schon die "Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT)" eine entsprechend formulierte Erklärung im September 2012 herausgegeben hatte:

      "Ein Eingriff in zentrale Elemente religiöser Identität kann von vielen Familien durchaus als Labilisierung, Verunsicherung und Missachtung in einem wesentlichen Kernpunkt ihres Lebens empfunden werden – mit ebenfalls gravierenden psychischen Folgen für die Kinder."

      Ich kann dieser Ansicht nicht ganz folgen, sondern frage mich, wie es wohl ein Kind verarbeitet, wenn traumatische und liebevolle Signale aus der gleichen Ecke kommen und vom Kind verlangt wird, seine Traumatisierung als Liebesbeweis zu verstehen.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Was machen sie mit Männern wie dem Dänen, der seinen Rabbi fragte, ob er ihm seine Vorhaut zurückgeben könne?

      Sicherlich hat die Einstellung der DGPT etwas mit der deutschen Geschichte zu tun, aber davon abgesehen geht es um die Frage, ob man sich mit jenen "menschlichen Individuen" solidarisiert, die einem Gruppendruck widerstehen - sogar wenn es sich bei der Druck ausübenden Gruppe um die Herkunftsfamilie des Individuums darstellt.
      Am Individuum werden solche Schmerzen als Schmerz anerkannt, für die das in der gesamten Gruppe gilt.
      Schmerzen, für die sich die Gruppe schuldig fühlen könnte, werden nicht als Schmerz anerkannt.
      Schon gar nicht, wenn die Gruppe "Mama und Pappa" heißt.
      Leider gibt es das auch unter Psychoanalytikern.
      ...Wir haben bis jetzt keine Freiheit des Einzelnen, des Individuums, des Bürgers. [Allen Menschen bei uns ist das Zugehörigkeitsgefühl] am wichtigsten. Sie sind Mitglieder der Nation oder Religion, aber nicht selbstbewusste und -verantwortliche Menschen.
      ein katholischer Theologe in einer Doku über Ex-Jugoslavien

      Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
      Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. ...
      Khalil Gibran
    • Der "Schmerzreiz". Ist ja reizend. (würg)
      Oder ist das nach dem Motto: "Pleasure and Pain, sometimes the same"?

      Aber laut Kristina Schröder ist ja alles mit Betäubung, da kann es ja gar keinen Schmerz geben. ;)

      Was man da raushört ist: Wir Juden lieben unsere Kinder viel doller als der Rest, von daher können wir ihnen auch ruhig mal Schmerzen zufügen, das wird dadurch locker "egalisiert".
      Oder sollten Juden zufällig die einzigen Menschen sein, wo es keine lieblosen Rabeneltern gibt?
      Deutscher Bundestag 2013: "Mädchen sind toll, so wie sie sind. Und niemand hat das Recht ihnen weh zu tun und an ihrer Vulva etwas abzuschneiden"
      Deutscher Bundestag 2012: "Jungen sind nicht unbedingt toll, so wie sie sind. Und alle Eltern haben das Recht ihnen weh zu tun und an ihrem Penis etwas abzuschneiden"
    • werner schrieb:

      wie es wohl ein Kind verarbeitet, wenn traumatische und liebevolle Signale aus der gleichen Ecke kommen und vom Kind verlangt wird, seine Traumatisierung als Liebesbeweis zu verstehen.
      Das nennt man Resilienz. Durch den Blick der Gruppe auf das geschehene und das Opfer, sorgt dafür, dass das Opfer sich am Ende nicht mehr als solches fühlt. genau deshalb kommt aus dieser Ecke auch derart verbitterter Widerstand.
      Zu Anbeginn steht jedoch ein traumatisierender Eingriff ohne medizinische Notwendigkeit. Und das kann man durch Liebe und Nestwärme nur teilweise wiedergutmachen. Und jene, die eine gestörte Sexualität haben, den hilft das gar nicht. Im Gegenteil. Denen kommt es so vor, als würde man sich durch eben jene Nestwärme irgendwie reinwaschen.


      Suchende schrieb:

      Sicherlich hat die Einstellung der DGPT etwas mit der deutschen Geschichte zu tun
      Das glaube ich nicht mal. Siehe oben. Der o.g. Aspekt der Resilienz ist nicht von der Hand zu waschen und gehört m.E. in eine solche Erklärung mit hinein., greift aber alleine zu kurz. In deren Erklärung fehlt die Traumatisierung und die vielerlei negativen Folgen.
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • diese Frau behauptet unterm Strich: einem Kind tut die Amputation des sensibelsten Gewebe, das es an seinem Körper gibt, weniger weh, wenn die Erwachsenen, die es vollziehen, dabei z.B. Gebete sprechen, Lieder singen und dann schon mal ans Buffet gehen, während im Nebenraum noch die verklebte innere Vorhaut von der Eichel des Säuglings abgerissen wird.

      Oder ein anderer uns bekannter Fall: wenn der Junge anschließend mit Geld beschmissen und Geschenken überhäuft wird, muss ihm sein verstümmelter Penis einfach für den Rest seines Lebens gefallen.

      Man kann in gleicher Weise argumentieren: dann ist prügeln auch ok! Oder will jemand bezweifeln, dass es in tausenden von Jahren nicht trotz Prügeln möglich war, dass Eltern und Kinder ansonsten eine liebevolle Beziehung pflegten und Eltern auch dies aus tiefster Überzeugung taten, das Beste für ihre Kinder zu wollen?

      Was ist mit den Mädchen, die blumengeschmückt zur FGM gebracht werden? Leiden die dann auch weniger Schmerz und werden mit ihrem Trauma schon irgendwie klarkommen, wenn nur die Eltern lieb sind und die Party anschließend üppig genug?

      Völlig unter den Tisch fallen läßt sie den enormen Zwiespalt, unter
      dem viele Betroffene leiden, dass ja GERADE aus dem liebenden Umfeld
      diese Verletzung und ihre Glorifizierung erfolgte!

      Was ich bei den Aussagen dieser Frau einzig sehe:

      die Perspektive des Kindes wird nie eingenommen. Sie beschreibt Mechanismen
      von Erwachsenen, sich die Empathieverweigerung gegenüber einem Kind schönzureden und die Schuldgefühle diesbezüglich zu verdrängen.

      Nur erwarte ich von einer Psychologin eigentlich, dass sie solche Mechanismen analysiert, anstatt sie zu verstärken und zu verschleiern.
    • Guy schrieb:

      Im Gegenteil. Denen kommt es so vor, als würde man sich durch eben jene Nestwärme irgendwie reinwaschen.
      Es ist sogar so, dass diese Nestwärme, dem unglücklichen Beschnittenen Schuldgefühl beschert.
      Da kümmert man sich so rührend um ihn, zeichnet ihm den Weg in die behütende Gemeinschaft und da wird dieser genitalfixierte Junge noch undankbar.

      Dieser Mechanismus ist so pervers angelegt, dass die Schuld die Fronten wechselt, hin zum Opfer.
      Und was heißt pervertieren, wenn nicht "umkehren".
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Es ist ja nicht so, dass von den o.g. Autoren bestritten wird, dass die Beschneidung eine traumatische Erfahrung ist/sein kann. Das ist schon mal ein bemerkenswertes Zugeständnis. Dass der Säugling gleichzeitig die heilende Wirkung der Aufnahme in die Religionsgemeinschaft realisiert, halte ich allerdings für absurd. Genauso absurd wie, dass der Säugling in Amerika realisiert, dass er in Zukunft vor UTI, STD und HIV geschützt ist.
      Der muslimische Junge merkt spätestens am nächsten Tag, dass das Versprechen, in die Gemeinschaft der Männer aufgenommen zu werden, ein Fake war.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • "Ein Eingriff in zentrale Elemente religiöser Identität kann von vielen Familien durchaus als Labilisierung, Verunsicherung und Missachtung in einem wesentlichen Kernpunkt ihres Lebens empfunden werden – mit ebenfalls gravierenden psychischen Folgen für die Kinder."

      Ein Kind braucht hauptsächlich das Gefühl des Willkommenseins und der Geborgenheit. Eine unterlassene Beschneidung kann nur dann zu gravierenden psychischen Folgen führen, wenn Kindern (und deren Eltern) eingeredet wird, Unbeschnittene seien minderwertig und der Teilhabe an der Gemeinschaft unwürdig.
      Ein gerupfter Spatz verspottet das Gefieder seiner Artgenossen. (Sorbisches Sprichwort)
    • "Ein Eingriff in zentrale Elemente religiöser Identität kann von vielen
      Familien durchaus als Labilisierung, Verunsicherung und Missachtung in
      einem wesentlichen Kernpunkt ihres Lebens empfunden werden – mit
      ebenfalls gravierenden psychischen Folgen für die Kinder."
      1.) Aus Sicht der evidenz-basierten Medizin ist diese These auf gut deutsch gesagt totaler Humbug -- Es gibt keine Studie und womöglich noch mal eine Fallbericht, in dem ein "Eingriff in zentrale Elemente religiöser Identität" zu irgendwelchen gravierenden psychischen Folgen für die Kinder geführt hätte.
      2) Selbst wenn es irgendwelche objektiven Belege für diese Theorie gäbe, könnte diese nahezu jede religiöse Gewaltanwendung gegen Kinder oder Familienmitglieder rechtfertigen- von religiös-motivierten Prügelstrafen bis zur FGM.
    • Sokrates schrieb:

      Es gibt keine Studie und womöglich noch mal eine Fallbericht, in dem ein "Eingriff in zentrale Elemente religiöser Identität" zu irgendwelchen gravierenden psychischen Folgen für die Kinder geführt hätte.
      Nun ja, Studien über den Einfluss "zentraler Elemente religiöser Identität" auf das kindliche Erleben gibt es natürlich jede Menge. Oft kommen die Religionen dabei nicht so gut weg, und manches Kind hätte sich gewünscht, dass jemand mal in diese "Elemente" "eingegriffen" hätte...

      Selbst, wenn es so ist, dass auch sekuläre/atheistische Juden ihre Jungen beschneiden, so gibt es natürlich auch im Judentum sehr unterschiedliche Arten, Kindern Religion zu vermitteln. Das Judentum ist ja keine in sich hermetisch geschlossene Religion, auch wenn uns das manche Protagonisten immer weissmachen wollen, und wenn zum Beispiel bei den sekulären/atheistischen Juden kein oder nur ein sehr kleines "Auffangbecken Religion" existiert, müssten die Jungen dann ziemlich blöd dastehen.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Folgende Interviews auf meinem lieblings youtube-Kanal bonobo3d finde ich sehr interessant mit Bezug auf die Beziehung zwischen Sohn-Beschneidungsopfer und Mutter/Eltern:

      [video]http://www.youtube.com/watch?v=jgMAB9Sjz0o[/video]
      1. dazu auch sehr interessant die Erzählung der Mutter, Link unter "Mehr anzeigen"

      [video]http://www.youtube.com/watch?v=jxugeQ3P4Go[/video]
      2. hier finde ich sehr deutlich, wie es den jungen Mann angestrengt haben muss, dass er über Jahre in seiner Familie mit der Kritik an seiner VA alleine war und alle entsprechenden sozialen Kontakte nur übers Internet führen konnte

      [video]http://www.youtube.com/watch?v=gUFwPD8yfNU[/video]
      3. auch ganz interessant, aber kann es sein, dass der Sohn jetzt auch die Abbitte der Mutter über sich ergehen lässt?

      Das Thema taucht auf bonobo3d noch öfters auf, gerade in diesen Interviews finde ich es sehr deutlich, was die Umgangsweise der Mutter oder Familie mit dem VA-Unglück des Sohnes für diesen bedeutet. Oder wie es am Ende beiden damit geht, dass es sich nicht mehr rückgängig machen lässt.
      ...Wir haben bis jetzt keine Freiheit des Einzelnen, des Individuums, des Bürgers. [Allen Menschen bei uns ist das Zugehörigkeitsgefühl] am wichtigsten. Sie sind Mitglieder der Nation oder Religion, aber nicht selbstbewusste und -verantwortliche Menschen.
      ein katholischer Theologe in einer Doku über Ex-Jugoslavien

      Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
      Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. ...
      Khalil Gibran