Advocatus diaboli

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    • Advocatus diaboli

      Es ist ganz allgemein eine gute Idee, gelegentlich die eigenen Ansichten zu überprüfen und – soweit es eine Gegenposition gibt – sich die Frage zu stellen, ob irgendetwas und gegebenenfalls was an dieser Gegenposition korrekt sein könnte. Vielleicht kommt es ja auf die Prämissen an oder es könnte unterschiedliche Lebenssituationen geben, in denen die eine oder die andere Ansicht sich als richtig erweist. Spielen wir das doch einmal für unser Thema durch:

      Es wird behauptet, beschnittene Männer würden ihre Partnerinnen einer geringeren Gefahr aussetzen, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken. Das ist offenkundig unsinnig, denn den humanen Papillomviren, die diese Art von Krebs auslösen können, kann durch die ohnehin erforderliche Intimhygiene sowohl beim gesunden als auch beim verstümmelten Mann zuverlässig vorgebeugt werden. Mit dieser allgemein akzeptierten Feststellung erübrigt sich die detaillierte Analyse jener Literatur, die aus der Inzidenz von Zervikalkarzinomen bei jüdischen Frauen, die ohne das zu belegen als relativ (zu wem eigentlich?) niedrig beschrieben wird, einen Zusammenhang mit den Penissen der Partner vermutet. Man kann sich die Arbeiten natürlich trotzdem anschauen und wird interessante Feststellungen zur wissenschaftlichen Qualität und Redlichkeit solcher Beiträge machen (von eklatanten Fehlschlüssen bis hin zur Frage, wer welche Studien in Auftrag gegeben und bezahlt hat), aber wir müssen den Nachweis der methodischen, logischen oder empirischen Inkorrektheit noch nicht einmal erbringen oder gar für den Fall, dass die Behauptungen am Ende doch korrekt wären, Nutzen- und Risikoabwägungen mit den Vorzügen einer intakten Vorhaut treffen, denn wie bereits gesagt: waschen genügt. Zweitens steht zum Schutz vor Zervixkarzinomen ergänzend eine Schutzimpfung zur Verfügung. Eine Amputation der Vorhaut leistet daher keinen Beitrag zum Schutz vor Krebs.

      Weiterhin wird behauptet, männliche Genitalverstümmelung schütze zumindest tendenziell vor Aids. Wenn diese Ansicht korrekt wäre, müsste in den Ländern mit einem hohen Anteil Beschnittener an der sexuell aktiven Bevölkerung eine signifikant niedrigere Aids-Rate festzustellen sein als in solchen Ländern mit überwiegend intakten Männern. Genau das Gegenteil ist jedoch zu beobachten – so haben etwa die USA eine deutlich höhere Aids-Rate als europäische Länder. Um von einem einigermaßen zuverlässigen Schutz auszugehen müsste der Anteil der HIV-Positiven an den Beschnittenen sogar nahe Null liegen – der empirische Befund hingegen zeigt für diese Gruppe in einigen Regionen der Welt eine regelrechte Aids-Pandemie. Und auch hier gilt wieder: selbst wenn es anders wäre und all die falschen Behauptungen richtig würde dies immer noch nichts bedeuten, denn eine entsprechende Partnerwahl oder die Verwendung von Kondomen schützen vor HIV-Infektionen.

      Drittens wird behauptet, Beschneidung helfe gegen vorzeitigen Samenerguss. Wenn das so wäre dürfte die ejaculatio praecox beispielsweise in den USA kein Thema sein. Schon ein Blick in amerikanische Sexratgeber beweist das Gegenteil und wie lang hielt sich eigentlich das Zimmermädchen in der Suite von Dominique Strauss-Kahn im New Yorker Sofitel auf? Wir erkennen, dass Ejakulationskontrolle etwas mit Köperbeherrschung, einem trainierten PC-Muskel, einem Gespür für das Niveau der eigenen Erregung relativ zum Höhepunkt, der Fähigkeit, die durch unseren Körper fließenden Ströme zu beeinflussen und vor allem mit Harmonie mit der Partnerin zu tun hat, nicht jedoch – zumindest nicht in der Richtung wie von den Befürwortern männlicher Genitalverstümmelung behauptet – mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Vorhaut. Der Orgasmus und anschließende Ejakulationsreflex werde regelmäßig auch ohne Vorhaut erreicht, wird gesagt und das mag zumindest in den ersten Jahrzehnten sexueller Aktivität auch stimmen, aber um was für Höhepunkte handelt es sich da? Der Beschnittene erreicht die höchsten Erhebungen Hollands, der Intakte die höchsten Gipfel Nepals.

      Sonst noch irgendwelche Vorteile? Ach ja, das Stigmatisierungsargument. Beginnen wir mit einer kleinen sprachlichen Anmerkung: es fällt auf, dass bei diesem Argument häufig die Bedeutung des Wortes in ihr Gegenteil verkehrt wird, denn das griechische Wort Stigma bedeutet Wund- oder Brandmal. Es wird gesagt, dass es vorteilhaft sei, jemandem ein solches Wundmal am Penis beizubringen, ihn also im Wortsinne zu stigmatisieren, damit er in der Gesellschaft nicht stigmatisiert werde. Das ist natürlich von der relevanten sozialen Gruppe abhängig und kann beim Eintritt in eine andere soziale Gruppe schnell genau umgekehrt sein. Dann ist es natürlich besonders schlecht, wenn das Stigma irreversibel ist. Ich jedenfalls würde um eine soziale Gruppe, die ein Mitglied aufgrund eines solchen Merkmals in der einen oder anderen Ausprägung ausgrenzt so schnell wie möglich einen großen Bogen machen.

      Soweit die Argumente der Beschneidungsbefürworter, mit denen man gelegentlich in der Diskussion konfrontiert wird. Sie sind relativ schnell abgehakt. Andere wie etwa das des Beitrags zur Schmerzforschung oder des Bedarfs an Vorhäuten zur Herstellung von Abdeckungen für offene Wunden oder der Eindämmung der Masturbation (alles ernsthaft vorgebracht worden und bei James Bigelow nachzulesen) sind so hanebüchen, dass bis auf pathologische Ausnahmefälle nicht einmal die Täter selbst sich noch trauen, so etwas zu sagen.
    • Gute Thread-Idee. Hier ein paar meiner Gedanken.



      Relgionsfreiheit

      Oft wird das Argument, dass gerade die unbewusste Beschneidung gegen das Recht auf Religionsfreiheit des Beschnittenen verstoße damit gekontert, dass es keine Religion gäbe, die einen beschnittenen Penis als Ausschlusskriterium ansähe.

      Übersehen wird hier, dass Religionsfreiheit auch die Freiheit VON Religion beinhaltet und damit ganz sicher auch die Freiheit von religiösen körperlichen Verstümmelnungn.



      Gesundheitliche Vorzüge des Beschneidens

      Hier muss ich immer schmunzeln, weil man sich all die Worte sparen kann. Babies und Kleinkinder haben keinen Geschechtsverkehr (abgesehen von einigen kirchlichen Einrichtungen), somit sind alle möglichen sexual-spezifischen Gesundheitsargumente vom Tisch. Auf die Fragwürdigkeit der behaupteten gesundheitlichen Vorzüge (bzw der herangezogenen dubiosen Studien) hinzuweisen ist natürlich nicht verkehrt, hat aber erfahrungsgemäß kaum einen Effekt, da man sich dann in einer Endlosschleife verstrickt ("Meine Studien sagen aber...")



      Antisemitismus

      Oft pauschal in die Welt posaunt, meist als Stimmungsmacher und weniger als Argument in gepflegten Diskussionen. Eine sehr gemeine Aussage, da sie knallhart die Redlichkeit des Angesprochenen abspricht. Eine Erwiderung fällt hier schwer. Sich zu rechtfertigen bringt nichts, deshalb halte ich ein ähnlich absurdes statement für angebracht: "Nun, wenn ich ein Antisemit bin, dann sind Sie ganz sicher ein Sadist!"



      Grade Deutschland...

      Oh weh, die Nazikeule. Ein weiteres Totschlagargument. Wie könne grade Deutschland in Anbetracht seiner Geschichte jüdische Traditionen einschränken! Nun, erstmal geht es in der Beschneidungsdebatte nicht nur um die jüdische Tradition sondern auch um die muslimische (oder afrikanische, australische...). Zweitens kann man doch grade WEGEN unserer Vergangenheit voraussetzen, dass die Wahrung unseres GG und die Einhaltung des absoluten Rechts auf körpl Unversehrtheit nicht zur Disposition gestellt werden darf.





      Generell halte ich Diskussionen in der Beschneidungsdebatte inzwischen leider für Zeitverschwendung. Die Meinungen sind derart festgefahren, dass argumentative Überzeugung keine Platz mehr hat. Mit klarem Verstand betrachtet kommt man um ein Beschneidungsverbot nicht herum. Medizinische, rechtliche und ethische Argumente sind einfach zu eindeutig. Ein religiös traditionell vernebelter Geist wird sich hingegen den rationalen Argumenten niemals öffnen (können, wollen). Und für die Lobby-Getriebenen wie Politiker und Religionsvertreter steht zuviel Machtverlust auf dem Spiel.

      Die Frage wird sein, welcher Gruppe die finalen Entscheidungsträger angehören...
      Art. 2 GG:
      (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Geschuldet der deutschen Vergangenheitsbewältigung gilt dieses Grundrecht ausdrücklich nicht, wenn die Person a) ein Kind und b) männlich ist, c) die Eltern entweder jüdischen oder muslimischen Glaubens sind und d) das kindliche Genital das Ziel der Versehrtheit ist.
    • Josc schrieb:

      Die Frage wird sein, welcher Gruppe die finalen Entscheidungsträger angehören...
      Ja, genau das wird die entscheidende Frage sein. Ich fürchte, bis zur letzten Sekunde wird niemand ahnen können, wohin das Pendel beim BVG ausschlagen wird. Genau dort wird die Entscheidung landen, aber was dort am Ende rauskommt, hängt einzig und allein daran, welchen religiösen und geistigen Hintergrund die Richter haben. Ich zweifle, dass objektiv nach Rechtslage entschieden wird, ganz ehrlich.
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • Ich teile deine Befürchtung. Ich hoffe, wir liegen hier falsch.
      Art. 2 GG:
      (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Geschuldet der deutschen Vergangenheitsbewältigung gilt dieses Grundrecht ausdrücklich nicht, wenn die Person a) ein Kind und b) männlich ist, c) die Eltern entweder jüdischen oder muslimischen Glaubens sind und d) das kindliche Genital das Ziel der Versehrtheit ist.