Beschneidung
Graumann: Herr Bundespräsident, wie haben Sie als Mann des Glaubens die Beschneidungsdebatte empfunden? So wie viele von uns, jenseits unserer Verletzungen, als einen Respektentzug vor der Religion in der Gesellschaft generell?
Gauck: Es ist so, dass eine bewusst religiöse Erziehung von Kindern in manchen Bevölkerungsgruppen schon als fundamentalistisch gilt. Es hat in Deutschland eine sehr heftige Debatte gegeben, in der diejenigen, die nur die Tradition des Rechts sehen, ein Problem gesehen haben mit der Beschneidung. Es würde sich nicht gehören oder auch nicht der Realität entsprechen, die Menschen, die aus dieser Tradition heraus argumentiert haben, als Menschenfeinde zu denunzieren. Das sind sie nicht. Aber sie haben eine etwas einseitige Sicht auf die komplexe Wirklichkeit des Menschen. Das Gemeinwesen hat etwas davon, wenn es viele Menschen gibt, die Werte verinnerlicht haben. Und zu den bedeutendsten Wertevermittlern gehören nun einmal die Religionen.
Nun haben die Glaubensgemeinschaften selbst eine Menge dazu getan, durch Engstirnigkeit, zum Teil durch Borniertheit, dass säkulare Bewegungen entstanden sind. Deshalb will ich auch keinem Kampf zwischen religiösen und säkularen Menschen das Wort reden. Sondern einfach sagen, liebe nicht glaubende Mitbürgerinnen und Mitbürger: Achtet darauf, dass ihr die Religion, die ihr nicht teilt, nicht beschädigt. Und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mitgewirkt haben, dass bei uns in der Gesetzgebung ein Modus Vivendi gefunden worden ist.
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