Lichen sclerosus und gewaltsame Vorhautretraktion

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    • Lichen sclerosus und gewaltsame Vorhautretraktion

      Der Urologe Karl Becker ist bekanntlich nicht nur Mitauthor der aktuelle Phimoseleitlinie,

      awmf.org/uploads/tx_szleitlini…e_Paraphimose_2013-08.pdf

      sondern auch eines Artikels über Lichen sclerosus im Ärzteblatt.

      aerzteblatt.de/archiv/80526/Lichen-sclerosus-bei-Jungen

      In diesem Artikel bezieht sich Becker u.a. auf eine Untersuchung, die in seiner eigenen urologischen Arztpraxis durchgeführt worden ist. Diese Untersuchung bildet einen wesentlichen Teil einer Dissertation von Verena Meissner mit dem Thema "Zum Zusammenhang von Lichen sclerosus und Atopischer Hautdiathese / Atopischer Dermatitis bei Jungen mit Phimose".


      hss.ulb.uni-bonn.de/2012/3016/3016.pdf


      Dabei geht Frau Meissner der Frage nach, ob Lichen sclerosus durch gewaltsame Retraktionsversuche der Vorhaut ausgelöst werden kann, und kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis (S.62/63):

      "Es wurde nach der Entstehung der sekundären Phimose gefragt. Konnten sich die Jungen und deren Eltern an ein auslösendes Ereignis wie z.B. Einrisse im Präputium oder Selbstmanipulation erinnern? neun der 35 Jungen aus der LS-Gruppe benannten einen exakten Zeitpunkt bzw. Abschnitt, wann sich ihre sekundäre Phimose entwickelt habe. Diese neun Fälle sind hier tabellarisch wiedergegeben."


      Frau Meissner folgert daraus:

      "Die an dieser Stelle dargestellten Daten erlauben nur die allgemeinen Aussagen, dass in beträchtlichem Umfang auslösende Faktoren für eine sekundäre Phimose festzustellen sind, und dass die Zeitdauer zwischen dem auslösenden Faktor bzw. einer auslösenden Hautirritation und der Ausbildung einer sekundären Phimose in einer weiten Spanne, zwischen wenigen Tagen und einigen Monaten, variiert."


      Wenn man zu diesen neun Jungen diejenigen hinzurechnet, die bzw. deren Eltern sich nicht an einen "exakten Zeitpunkt bzw. Abschnitt" erinnern konnten bzw. u.U. auch nicht erinnern wollten, kommt man zu einem bedenklich hohen Prozentanteil.

      Die These, dass "forced retractions" zu einer sekundären, "erworbenen" Phimose und auch zu Lichen sclerosus führen (können), trifft man im Netz sehr häufig an. Ich konnte jedoch keine einzige Studie finden (ausser der oben zitierten Dissertation), die sich tatsächlich mit dem Zusammenhang beschäftigt.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Die Erforschung dieser Zusammenhänge ist spannend und wichtig für z. B. den amerikanischen Kulturkreis, wo viele Eltern, die ihre Söhne nun intakt aufwachsen lassen, und deren Kinderärzte zu wenige Kenntnisse und Erfahrungen über die normale physiologische Entwicklung und angemessen zurückhaltende Intimhygiene haben.

      Für die etwas anders geneigte Elternschaft wird das leider eine Informationsquelle für:
      "Rituelle Beschneidung auf Kosten der Krankenkassen - gewusst wie!"
    • susanna schrieb:

      Für die etwas anders geneigte Elternschaft wird das leider eine Informationsquelle für:
      "Rituelle Beschneidung auf Kosten der Krankenkassen - gewusst wie!"
      Das bedeutet, dass man am eigenen Kind, mehrfach Retraktionsversuche bis über die Schmerzgrenze hinaus, mit Einrissen und Blutungen, veranstalten müsste. Ich glaube dass solche Eltern die absolute Ausnahme sind, die das eigene Kind absichtlich quälen.
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Ich glaube nicht, daß solche Eltern die Ausnahme sind.

      Auch unter Eltern gibt es genug Menschen, die die ernsthaften Ratschläge von Medizininern umsetzen, auch wenn ihnen ihr Gefühl was anderes sagt. Es gibt ja auch unter Eltern genug Menschen, die ihre Neugeborenen ohne Betäubung beschneiden lassen oder unter fragwürdigen medizinischen Bedingungen.

      Es gibt -- wie überall -- auch unter Eltern ziemlich viele Menschen, die unsicher sind und gerne glauben, was ihnen Autoritäten als empfehlenswert darlegen.
    • Au. Ich verneige mich vor deiner "weissen Bluse". Das hatte ich nicht bedacht. Dabei ist mir Milgram und seine Experiment immer präsent. Danke für die Richtigstellung.
      Allerdings passiert es dann aus falschem Wissen und nicht aus Absicht, um die Kasse zu betrügen. Freilich ist das Ergebnis das gleiche, wenn auch der Vorsatz ein anderer ist.
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Die Idee, die hinter diesem Thread steht, ist, daß werner und ich einen Ansatz suchen, die aktuelle Leitlinienempfehlung zum LS in Frage zu stellen.

      Diese Empfehlung lautet, daß der kindliche LS als absolute Indikation zur Zirkumzision gesehen wird, obwohl es Studien zu Erfolgen einer Kortisonbehandlung gibt und diese bei den weiblichen Formen ja auch angewandt werden. Bei den Mädchen gibt es keine Empfehlungen zu irgendwelchen operativen Verfahren. Und bei den Jungen gilt die OP als Primärtherapie.

      Es wird sogar zum Teil -- unter Hinweis darauf, daß der LS eine Karzinomentwicklung begünstigen könnte -- in Richtung OP gesteuert. Das dürfte auch Eltern, die zunächst abwartend eingestellt sind, in ihrer Entscheidung beeinflussen. Und das ist mindestens suspekt, wenn man das finanzielle Interesse der Leitlinienverfasser an der Aufrechterhaltung einer hohen Zahl Zirkumzisionen mit einbezieht.

      In den Veröffentlichungen, die werner zitiert hat, wird dem Bereich: "Wie ist die sekundäre Phimose entstanden?" ein sehr kleiner und zum Teil bagatellisierender Raum gegeben. Ein "Autoimmungeschehen" und eine "unklare Genese" wird postuliert, obwohl es meines Wissens keine Untersuchung gibt, die wirklich bei der Forschung nach der Kausalität anfangen. Schritt 1 einer Studie wäre meiner Ansicht nach, zu fragen:

      1. Hat primär eine physiologische Phimose oder Vorhautverklebung bestanden?
      2. Wurden die Eltern dazu angehalten, Retraktionsversuche zu unternehmen, die bei solchen physiologischen Befunden nicht indiziert sind?
      3. Sind traumatische Retraktionen in der Anamnese der LS-Jungen rekonstruierbar?

      Stattdessen wird eine schicksalhafte Entstehung zugrunde gelegt (obwohl es Hinweise auf traumatische Entstehungen gibt) und anschließend der Fokus auf die prozentual geringe Wirksamkeit der Kortisonbehandlung gelegt und "besser gleich operieren" propagiert.

      Kennt einer von Euch Untersuchungen, in denen der Fokus auf die Entstehung dieser Erkrankung gelegt wurde?