Angepinnt Bericht über Dialogtagung Bundesforum Männer - 24.6.2013 in berlin

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    • Eine sehr interessante, aufschlussreiche und für mich lehrreiche Veranstaltung.

      Interessant und aufschlussreich vor allem deshalb, weil ich mit Staunen und Unglauben den Vortrag gleich der ersten Referentin, Frau Dr. Edna Brocke zur Kenntnis genommen habe. Sie gab sich unwissend ob der genauen Praxis der Brit, wie sie schon seit Jahrhunderten praktiziert wird. Selbst auf mehrmaliges Nachfragen seitens des Publikums behauptete sie, beim jüdischen Beschneidungsritual werde nichts abgeschnitten, sondern lediglich "etwas durchtrennt".
      Tatsächlich aber wird bei der Brit die Vorhaut des Säuglings zunächst rundum eingeschnitten und anschließend das noch mit der Eichel verwachsene innere Vorhautblatt mit einem speziellen Instrument - bei orthodoxen Rabbinern auch schon mal mit dem extra dafür angefeilte Daumennagel - von der Eichel abgerissen.
      Dass Frau Brocke hiervon nichts weiß, halte ich für sehr unwahrscheinlich - schließlich hat sie im Laufe des letzten halben Jahres an mindestens drei Diskussionsveranstaltungen zu diesem Thema teilgenommen.
      Entweder war Frau Dr. Brocke tatsächlich völlig unwissend. Dann käme das für mich einer Beleidigung des Publikums gleich, das an einer ernsthaften und konstruktiven Debatte interessiert war und kompetente Referenten erwarten konnte.
      Oder sollte in Wirklichkeit ein sehr schmerzhaftes und - wie ich finde - grausames Ritual verharmlost werden, um die Diskussion zu manipulieren? Das wäre ein nicht minder schwerer Affront allen Diskussionsteilnehmern gegenüber. Wie auch immer, mich zumindest hat diese kurze Episode im wahrsten Sinne ENTtäuscht.


      Sehr angetan war ich dagegen von Professor Franz, seinem Vortrag und seinem Auftreten während der Diskussion. Sachlich und ruhig, aber bestimmt im Ton.
      Es war zwar bedauerlich, dass seine Klarstellung, bei der Brit werde sehr wohl die gesamte Vorhaut entfernt, als "Legendenbildung" gedeutet wurde
      . Er widerlegte Dr. Brockes Äußerungen mit dem Hinweis darauf, er habe von Mohels gehört, die abgetrennte Vorhäute in einem Glas sammeln. Dies hinterließ zunächst einen etwas faden Nachgeschmack, war meiner Meinung nach letztlich unerheblich, da diese Äußerung zwar missverstanden werden konnte, von Prof. Franz aber keineswegs
      antisemitisch gemeint und die Angelegenheit auch schnell wieder aus der Welt war.
      Bis auf diese beiden "Impulsvorträge" von Frau Dr. Brocke und Herrn Prof. Franz sowie der relativ schwachen Eingangsrede von Herrn Martin Rosowski, dem Vorsitzenden des Bundesforums Männer, kamen in den Podiumsdiskussionen bzw. dem "Werkstattgespräch" die einzelnen Akteure nur sehr wenig zu Wort.
      Vor allem Alex Bachl hätte ich es gegönnt, etwas mehr sagen zu dürfen.

      Der anschließende "Dialogische Perspektivwechsel" war für mich persönlich sehr anstrengend und regelrechter Stress. Es ging dabei darum, sich auf die Perspektive der Gegenseite einzulassen und die andere Sichtweise somit besser zu verstehen. Vom Ansatz her grundsätzlich ein lobenswertes Unterfangen. In der praktischen Durchführung jedoch für dieses Thema völlig ungeeignet. So eine Technik kann ich mir beim Thema "Neubaugebiet in Wanne-Eickel-Süd ja oder nein" sehr gut vorstellen. Hier jedoch, bei dieser hochemotionalen Diskussion, in der ich als Betroffener mit durchaus schmerzenden Narben auf der Seele zu kämpfen habe, musste ich mich regelrecht überwinden, die Sichtweise der Gegenseite einzunehmen und Argumente wie "nicht verhandelbar", "harmlos" und "nur ein Stück Haut" zu vertreten. Ich bemerkte in dieser Runde immer wieder, wie ich regelrecht verkrampfte bei dem Versuch, diese für mich indiskutablen Argumente nachzuvollziehen und auch noch zu vertreten. Würde man von einer vergewaltigten Frau verlangen, sich die Motive ihres Peinigers zu eigen zu machen und dessen Tat zu rechtfertigen?

      Ich war froh, als dieses "Spiel" vorbei war.

      Die anschließenden "Fishbowl"-Gespräche wiederum empfand ich dagegen als sehr aufschlussreich. Wirklich überrascht hatte mich dabei Michael Ingber,
      Gastdozent an der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Herr Ingber ist Jude, beschnitten, ließ seinen Sohn selbstverständlich ebenfalls beschneiden und wandelte sich erst in der Vorbereitung auf diese Veranstaltung (!) zum entschiedenen Gegner der Säuglingsbeschneidung. Meine Hochachtung und meinen tiefsten Respekt für die Leistung dieses Mannes. Er zeigt mir, dass es durchaus möglich ist, Denkstrukturen aufzubrechen, zu hinterfragen und tief verwurzelte Traditionen zu durchbrechen, ohne Gesicht und Würde zu verlieren. Sein Vortrag, in dem er Prof. Wolffsohn sowie
      Moshe Maimodines zitierte, hinterließ ein tief beeindrucktes Puplikum. Danke, Herr Ingber für diese Erfahrung!
      Auch der Vortrag von Hans-Joachim Lenz, der sich vor allem mit dem Thema "Gewalt gegen Männer" befasste, konnte dem Thema der Beschneidung von Jungen eine neue, bisher kaum beachtete Facette hinzufügen. Wie wichtig ist, dass Jungen auf dem Weg zur Mannwerdung Gewalt und Schmerz ausgesetzt werden, wie wichtig sind heutzutage schmerzhafte und oft blutige Initiationsriten und wird dadurch nicht bei den betroffenen Jungen ein falsches, verzerrtes Männerbild geschaffen?

      Elhakam Sukhni vom Institut für islamische Theologie in Osnabrück wiederum enttäuschte in dieser Diskussion. So freundlich, höflich und verständig er im anschließenden Vier-Augen-Gespräch mit mir war, so oberflächlich und stereotyp gab er sich in der Gesprächsrunde. Er beklagte "Kulturrassissmus" fühlte sich als Opfer, dem unterstellt werde, er habe sexuelle und psychische Probleme. Zunächst verlangte er aussagekräftige Studien. Als darauf die Morten-Frisch-Studie zitiert wurde, zog er diese sofort in Zweifel, spekulierte von nicht untersuchten, anderen Ursachen für die dort aufgezeigte Häufung von sexuellen Problemen bei Beschnittenen und kam schließlich zu dem Schluss, Studien seien generell nicht aussagekräftig, da es immer Gegenstudien gäbe. Auch die Berichte von Betroffenen waren ihm kein ausreichendes Argument, da auch bei ihnen nicht belegt sei, dass ihre Probleme, Einschränkungen usw. tatsächlich durch ihre Vorhautamputation verursacht wurden.
      Herr Sukhni war bei aller gezeigter Empathie für Alex nicht bereit, den Vorgang der Vorhautbeschneidung sowie ihre unmittelbaren Folgen als alleinige Ursache von nachteiligen Folgen anzuerkennen. Sehr schade, denn so wird ein konstruktives Gespräch unmöglich gemacht, da es uns negativ Betroffene, bei aller vordergründig gezeigtem Verständnis, letztlich doch wieder in die Rolle des Hypochonders und des Spinners drängt.

      Alles in allem jedoch kann ich sagen, dass mir sowohl die Grundstimmung bei dem anwesenden Publikum sehr gut gefallen hat. Auch die zahlreichen Kontakte, die ich knüpfen konnte, werde ich hoffentlich in der nächsten Zeit vertiefen.
      Ich bin sehr glücklich darüber, hier dabei gewesen zu sein!
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • Danke für deinen Bericht, Weguer!
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)