Gewalt gegen Kinder: eine kurze Rechtsgeschichte

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    • Gewalt gegen Kinder: eine kurze Rechtsgeschichte

      Das Schlagen von Kindern aus religiösen Motiven heraus wird vom Rechtsstaat nicht geduldet, so wenig, wie es aufgrund irgendwelcher anderer Motive geduldet wird.

      Religiöse Überzeugungen spielen im Strafrecht nur selten eine Rolle, wenn es um die Frage geht, ob eine Handlung gerechtfertigt ist oder nicht. Allenfalls im Falle einer Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung hatte das BVerfG einem Angeklagten einmal zugebilligt, dass er aufgrund seiner religiösen Überzeugungen heraus das "Gesundbeten" seiner Frau für wirkungsvoller hielt als das Herbeirufen eines Arztes. Das hat aber einen ganz anderen Kontext als aktive Gewaltanwendung und ihre Begründung.

      Diskutiert wurde indes lange Zeit, ob das "körperliche Züchtigungsrecht", also etwa das Ohrfeigen durch die Eltern oder durch Lehrer, deswegen nicht als rechtswidrig eingestuft werden könne, weil es gewohnheitsrechtlich in der Gesellschaft anerkannt sei. Hier kam der Begriff "Sozialadäquanz" auf, mit dem wir auch in dieser Diskussion öfter konfrontiert werden. Der BGH hatte noch 1957 geurteilt, die Befugnis zu Körperverletzungen könnte mit Gewohnheitsrecht begründet werden. Die Idee, eine Körperverletzung könne rechtens sein, weil sie sozialadäquat sei, wurde in hierauf folgenden Diskussionen ganz mehrheitlich abgelehnt. Spätestens mit der Verabschiedung des § 1631 Abs.2 BGB wurde die Frage obsolet.

      Historie:

      Das sog. Züchtigungsrecht der Eltern gegenüber ihren Kindern wurde ursprünglich aus § 1631 Abs.2 BGB hergeleitet. Diese Vorschrift hat in der zurückliegenden Zeit mehrfache Veränderungen erfahren. Die ursprüngliche Regelung, dass nur dem Kindesvater ein Züchtigungsrecht zustehe wurde 1958 dahingehend abgeändert, dass beiden Elternteilen aus dem allgemeinen Erziehungsrecht ein Züchtigungsrecht zugebilligt wurde. Durch das am 01.01.1980 in Kraft getretene Sorgerechtsgesetz sind den Eltern im Rahmen der Erziehung entwürdigende Erziehungsmaßnahmen untersagt worden. Aufgrund des Kindschaftsreformgesetzes vom 16.12.1998 wurden nach der Vorschrift des § 1631 Abs.2 BGB "entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen" als unzulässig bezeichnet. Auch diese Vorschrift schloss leichtere Körperstrafen zu erzieherischen Zwecken nicht aus, da ausdrücklich Misshandlungen ausgeschlossen werden sollten. Erst im Jahr 2000 erfuhr die Vorschrift des § 1631 Abs.2 BGB durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Familie vom 03.11.2000 die heutige Fassung, wonach Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben, körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind. Nach geltendem Recht sind damit alle körperlichen Eingriffe der Eltern gegenüber den Kindern, die die Schwelle zur Körperverletzung überschreiten, strafrechtlich relevant. Für diesen Fall ist nach herrschender Meinung das elterliche Züchtigungsrecht als Rechtfertigungsgrund entfallen.

      An diesem historischen Kontext wird ersichtlich, wie fremdartig sich der neue § 1631 d BGB ausnimmt.

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Maria Werner ()

    • Auf den ersten Blick wirkt Deine Darstellung stringent. Wenn da nicht ein kleiner, aber nicht ganz unwichtiger "Haken" wäre (meine ich zumindest :S ).

      Bis zum Kölner Urteil schien ja Übereinstimmung darin zu bestehen, was unter "entwürdigend" zu verstehen sei. Die anschliessende Debatte hat aber gezeigt, dass dies in der Tat nur ein Schein war. Im Beschneidungsgesetz legt der Staat nun die Entscheidung darüber, was "entwürdigend" ist, in die Hände der Eltern. Darf er das?
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • @ werner: leider kann ich Dir gerade nicht folgen... das LG Köln hatte sich doch mit dem Merkmal "entwürdigend" gar nicht auseinandergesetzt, da es eine Körperverletzung prüfte?

      In der Debatte erschienen dann plötzlich Juristen auf dem Parkett, die merkwürdige Statements aller Art abgaben. Der eine trug vor, Religionsfreiheit berechtige selbstverständlich zu Körperverletzungen anderer Menschen, da sie im Grundgesetz unbegrenzt gewährleistet sei, der nächste behauptete, Menschenrechte seien überhaupt nicht tangiert, wenn kleinen Kindern etwas von ihren Sexualorganen abgeschnitten wird und prüfte das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gar nicht, um dieses Ergebnis künstlich zu rechtfertigen usw.

      Es war wie im falschen Film. Was ich hier darstellen wollte, war die Entwicklung der Gewaltfrage als Mittel der Erziehung in Rechtsprechung und Politik während der Zeit, sagen wir mal, von 1956 bis 2011.

      Die Beschneidungsdebatte, wie sie von den Befürwortern propagiert wird, stellt in diesem Prozess eine ganz deutlich Zäsur dar.
    • werner schrieb:

      Im Beschneidungsgesetz legt der Staat nun die Entscheidung darüber, was "entwürdigend" ist, in die Hände der Eltern. Darf er das?

      Er darf es nicht.

      Art 1 (1) GG:
      Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

      Im Beschneidungsgesetz ist von der Würde des Kindes nicht die Rede, sondern nur vom Kindeswohl. Das u.a. von Alter und Entwicklungsstand abhängige Kindeswohl hat jedoch viel weniger Gewicht als die Würde des Kindes. Der Gesetzgeber tut demnach so, als ob die Menschenwürde überhaupt nicht in Betracht gezogen werden müsste. Er tut dies unter Rücksichtnahme auf rückständige religiöse Weltanschauungen.

      Einem überführten Kindesentführer eine Zwangsbeschneidung anzudrohen, um das Versteck des Kindes zu erfahren, wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Ich glaube, da wird mir niemand widersprechen. Würde ein entführter Junge lebend befreit werden, könnten seine Eltern ihn sofort zum Beschneiden bringen. Das wäre dann legal. Der erwachsene Straftäter wäre in diesem Staat besser vor entwürdigenden Maßnahmen geschützt, als sein minderjähriges Opfer. Das nenne ich Perversion.
    • Maria Werner schrieb:

      @ werner: leider kann ich Dir gerade nicht folgen...
      Kein Problem - ich kann mir manchmal selbst nicht folgen... ;)

      Es ging mir nicht darum, was das Kölner Gericht und das Beschneidungsgesetz EXPLIZIT formuliert haben, sondern was der Gesetzgeber IMPLIZIT damit getan hat, indem er das Gesetz in ein und demselben Paragraphen wie seine Absage (!) an "entwürdigende Erziehungsmassnahmen" verortet hat. Darüber sind ja viele "gestolpert". Als im Bundestag jemand das angesprochen hat, ist Frau Künast geradezu explodiert in der Empörung darüber, dass man ein "ehr-würdiges" ( sic!) Religionsritual in die Nähe von "ent-würdigenden Erziehungsmassnahmen" rücke.
      Hinter dem "entwürdigend" steht eine bestimmte (wie Du schlüssig aufgezeigt hast) historisch gewachsene Vorstellung von der "Würde des Kindes". Der Gesetzgeber löst also ganz bewusst die Entscheidung darüber, was "Würde des Kindes" ist, aus der Entscheidungsbefugnis der Eltern, um sie jetzt im Beschneidungsgesetz genau wieder dorthin zurückzulegen, weil er in Folge des Kölner Urteils "entdeckt" hat, dass es in der Gesellschaft unterschiedliche Auffassungen darüber gibt.
      Diese Elternentscheidung betrifft ja nicht "nur" die Körperverletzung, sondern - nach der Verortung im selben Paragraphen - die "Würdeverletzung" des Kindes. Und die Würde ist ja eigentlich unantastbar. Ich frage mich, wie das Verfassungsgericht diese Klippe umschiffen würde.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • @ werner: ah vielen Dank für die Erläuterung! Ja, ich stimme Dir natürlich zu. Entwürdigende Maßnahmen, Gewaltanwendung, Körperverletzung ohne zwingende medizinische Indikation, Ungleichbehandlung von Jungen und Mädchen bei vergleichbarem Sachverhalt - all dies dürfte einer unvoreingenommenen verfassungsrechtlichen Prüfung kaum standhalten. Und das entwertet und pervertiert alles, was in den Jahrzehnten zuvor im Hinblick auf gewaltfreie Erziehung entwickelt und erreicht wurde.

      werner schrieb:

      ist Frau Künast geradezu explodiert in der Empörung darüber, dass man ein "ehr-würdiges" ( sic!) Religionsritual in die Nähe von "ent-würdigenden Erziehungsmassnahmen" rücke.

      Ohne Worte.
    • Statt hier ständig zu schreiben was mit dem 1631d nun möglich ist und sich darüber aufzuregen, wäre es vielleicht besser einen Weg zu finden, was man dagegen tun kann, daß noch mehr verstümmelt werden. Ich lese hier immer nur was nicht möglich ist. Aber es muß ja wohl einen Weg geben solch ein falsches Gesetz gegen den Willen der Politiker zu kippen.
    • Papa Baer schrieb:

      Aber es muß ja wohl einen Weg geben solch ein falsches Gesetz gegen den Willen der Politiker zu kippen.
      Klar gäbe es solche Wege. Das ist schon mehrfach gemacht worden.
      Mach du es, Papa Baer! Organisier die Massendemonstrationen von Hunderttausenden! Dann wird das schon!

      Wer sich nicht über den 1631d aufregt hat ein Brett vor dem Kopf.
      Deutscher Bundestag 2013: "Mädchen sind toll, so wie sie sind. Und niemand hat das Recht ihnen weh zu tun und an ihrer Vulva etwas abzuschneiden"
      Deutscher Bundestag 2012: "Jungen sind nicht unbedingt toll, so wie sie sind. Und alle Eltern haben das Recht ihnen weh zu tun und an ihrem Penis etwas abzuschneiden"
    • Selbstbestimmung schrieb:

      Papa Baer schrieb:

      Aber es muß ja wohl einen Weg geben solch ein falsches Gesetz gegen den Willen der Politiker zu kippen.
      Klar gäbe es solche Wege. Das ist schon mehrfach gemacht worden.Mach du es, Papa Baer! Organisier die Massendemonstrationen von Hunderttausenden! Dann wird das schon!

      Wer sich nicht über den 1631d aufregt hat ein Brett vor dem KopfEine D.
      Was soll eine Demonstration bringen? Der Ausgang ist am Ende nur vom "guten Willen" der Politiker abhängig. Ich meine, daß es doch wohl Möglichkeiten geben muß, das Gesetz gerichtlich zu kippen.
      Für die kosten könnte man dann sammeln und es würden sich bestimmt genug finden.
    • Was soll eine Demonstration bringen?
      Demonstrationen können schon was bringen. Ich erinnere mich z.B. an 2011, nach Fukushima. Erst hieß es von der Physikerin und Atomfreundin Merkel "kein Problem, kann hier nicht passieren".
      Dann gingen 200.000 auf einen Schlag auf die Straße, und es ging schwupp-di-wupp.

      Oder - unter noch viel schwierigeren Bedingungen und gegen jeden guten Willen der SED-Bonzen - die Montagsdemonstrationen in der DDR 1989.

      Das Problem ist allerdings: wegen BGM kriegt hierzulande kaum jemand den A.... hoch. Die meisten sagen sich: "Meine Kinder sind ja nicht betroffen"

      Papa Baer schrieb:

      Ich meine, daß es doch wohl Möglichkeiten geben muß, das Gesetz gerichtlich zu kippen.
      Das ist etwas nebulös. Erkläre uns doch bitte, wie das konkret gehen soll.
      Deutscher Bundestag 2013: "Mädchen sind toll, so wie sie sind. Und niemand hat das Recht ihnen weh zu tun und an ihrer Vulva etwas abzuschneiden"
      Deutscher Bundestag 2012: "Jungen sind nicht unbedingt toll, so wie sie sind. Und alle Eltern haben das Recht ihnen weh zu tun und an ihrem Penis etwas abzuschneiden"
    • Papa Baer schrieb:

      Ich meine, daß es doch wohl Möglichkeiten geben muß, das Gesetz gerichtlich zu kippen.
      Das hörte sich für mich eher wie eine Feststellung als wie eine Frage an.

      Ein Gesetz aufheben kann nur der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien hat das auf dem Plan.
      Union, FDP, SPD und Grüne würden nie einen Fehler eingestehen.
      Und das Bundesverfassungsgericht ist inzwischen längst "entsprechend" frisiert worden. Mit Freunden der Jungen-Genitalverstümmelung. ;(
      Deutscher Bundestag 2013: "Mädchen sind toll, so wie sie sind. Und niemand hat das Recht ihnen weh zu tun und an ihrer Vulva etwas abzuschneiden"
      Deutscher Bundestag 2012: "Jungen sind nicht unbedingt toll, so wie sie sind. Und alle Eltern haben das Recht ihnen weh zu tun und an ihrem Penis etwas abzuschneiden"