Erklärungsversuch in Hinblick auf die teilweise bestehende Toleranz in Bezug auf Zwangsbeschneidungen

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Erklärungsversuch in Hinblick auf die teilweise bestehende Toleranz in Bezug auf Zwangsbeschneidungen

      Wie vermutlich die meisten hier im Forum, versuche ich im Alltag mit möglichst vielen Menschen über das Thema Zwangsbeschneidung zu sprechen, um auch Menschen mit dieser Problematik zu konfrontieren, die bewusst ihre Augen davor verschließen. Dabei habe ich sehr häufig die Erfahrung gemacht, dass ganz normale Menschen, die ich sogar als emotional einstufen würde, ein Verbot von Zwangsbeschneidungen kategorisch ablehnen. Zuerst dachte ich mir, dass es teilweise mit dem Bildungsstand oder der Unwissenheit in Bezug auf dieses Thema zusammenhängen könnte, aber da sogar studierte Menschen bzw. selbst einige Theologen Zwangsbeschneidungen für "unverzichtbar" halten, bin ich doch ins Grübeln geraten.

      In der öffentlichen Debatte wie auch hier im Forum wird gegen die Zwangsbeschneidungen immer die Vernunft und die Menschlichkeit als Argument angeführt. Warum prallen aber diese Werte, welche innerhalb unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens höchste Stellenwerte besitzen bei Zwangsbeschneidungsbefürwortern einfach ab.

      Die häufigste Antwort, welche ich in Gesprächen erhalte ist meist, dass man es doch den Juden aufgrund unserer Vergangenheit nicht verbieten könnte. Da steht er nun dieser Satz. Keiner hat bisher gesagt, man könne es den Moslems nicht verbieten, obwohl in Deutschland mehr Moslems leben als (beschnittene) Juden.

      Daher habe ich mal überlegt, warum vielen dieser Satz wie selbstverständlich über die Lippen kommt, obwohl diese Worte Babys oder auch Kindern unvorstellbare Schmerzen zufügen und ihnen ein Körperteil für immer verstümmelt. Gerade bei Babys sind wir Menschen doch darauf programmiert, dass wir diesen jeglichen Schmerz oder Leid zu ersparen versuchen. Junge Eltern durchleben schlaflose Nächte und tun alles, damit es dem Baby an nichts mangelt und hier wird einem solchen liebenswerten Geschöpf mit Absicht großer Schmerz bereitet.

      Die Antwort welche Ursache dahinter stecken kann, scheint mir nur eine Ideologie zu sein. Religionen sind praktisch immer Ideologien, welche innerhalb einer Gemeinschaft dazu führen, dass die eigenen Bedürfnisse und Wünsche den Gemeinschaftsinteressen untergeordnet werden. So gesehen ist es ja objektiv betrachtet nachvollziehbar, wenn Angehörige einer Glaubensgemeinschaft ihrem eigenen Kind Schmerzen und Leid zumuten, wenn sie an einen höheren Zweck und Sinn glauben.

      Warum aber rechtfertigen auch Menschen außerhalb dieser Glaubensgemeinschaften Zwangsbeschneidungen. Sie glauben weder an den Sinn und Zweck bzw. sehen hier ein Ritual, dass nur unnötig Schmerzen an wehrlosen Kinder verursacht. Dennoch machen sie sich dafür stark, dass Zwangsbeschneidungen legal bleiben.

      Während des Nationalsozialismus wurden Juden zu Feinden erklärt und die herrschende Ideologie suggerierte den Menschen, dass man Juden, Sinti und Roma oder politisch Andersdenkenden Schmerzen und Leid zufügen dürfe, um damit dem Gemeinwohl zu dienen. Ideologien können daher die Basis sein, welche gesellschaftliche Verfehlungen propagieren und am Ende etablieren. Genau dies ist in Deutschland passiert.

      Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde in Deutschland diese falsche Ideologie ausgemerzt. Jedem wurde eingeimpft, dass die Ideologie der Nationalsozialisten falsch war und sie viel Elend über die Menschheit gebracht hatte. Da aber der Verlust dieser Ideologie auch einigen praktisch über Nacht alles entzogen hatte, an was sie fest geglaubt haben, war dieser Umdenkprozess nicht ganz so einfach. Es musste fast wie in einer Art Gehirnwäsche jedem klar gemacht werden, dass er auf den falschen Weg gekommen war.

      Heute leben wir im 21. Jahrhundert und das schwarze Kapitel der deutschen Geschichte ist für viele von uns so ähnlich präsent wie das finstere Mittelalter, welches wir auch nur vom Schulunterricht kennen gelernt haben. Nun kommt aber der springende Punkt. Wir wurden durch Lehrpläne dazu angehalten, dieses vergangene Kapitel nicht zu vergessen. Uns wurde auch eine "Erbsünde" anerzogen und man hoffte durch die Erziehung der nachfolgenden Generation einer Ideologie, wie sie im Nationalsozialmus geherrscht hat, für immer den Boden zu entziehen. Die Jüngeren konfrontierten die Älteren mit dem Gelernten und auch diejenigen, welche noch immer nicht einsehen wollten, dass der Nationalsozialismus falsch war, schwiegen wenigstens überwiegend.

      Unbemerkt hat sich hier aber eine neue Ideologie ausgebreitet. Diese besagt, dass man immer und überall auf die Opfer des Nationalsozialismus Rücksicht nehmen muss bzw. dass wir hier für immer eine Verantwortung zu tragen hätten. Genau diese Ideologie verhindert es nun aber, sich mit der Zwangsbeschneidung adäquat auseinander zu setzen.

      Die Ideologie im letzten Jahrhundert war falsch, aber die neue Ideologie ist in Bezug auf die Zwangsbeschneidungen nicht besser. Wie man hier aber die Öffentlichkeit erreichen soll, die mit dieser neuen Ideologie verblendet ist, bleibt fraglich. Man hat letztes Jahrhundert gesehen, dass erst alles in Schutt und Asche liegen musste, bevor sich die Mehrheit davon abgewandt hatte. Für uns alle und besonders im Sinne der unschuldigen Kinder hoffe ich jedoch, dass unsere Gesellschaft wenigstens etwas aus den Fehlern von damals gelernt hat und daher ein Umdenken schneller möglich wird.

      Fazit: Wir "doktern" an den Symptomen dieser neuen Ideologie herum und verwenden ständig wirkungslose Medikamente. Die neue Ideologie ist nicht in allen Punkten falsch, aber in Bezug auf die Zwangsbeschneidung aus meiner Sicht in jedem Fall.

      (Danke, dass Ihr bis hierhin gelesen habt.)
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • lese ich bis zum Ende... :)
      Ich folge Deiner Argumentation, kann sie aber trotzdem nicht nachvollziehen, und begegne ihr auch sehr selten.
      Ich bin in Bremen sozialisiert, knallrot wie nur was, mit schon vor dreißig Jahren einem Drittel der Klasse mit Migrationshintergrund (und übrigens mit einem von der Schulmedizin hartnäckig wegen angeblich behandlungsbedürftiger Phimosen versursachtem Anteil von EINEM DRITTEL zwangsbeschnittener Deutscher!) und wir wurden dazu erzogen, dass ALLE aber auch ALLE MENSCHEN GLEICH seien und GLEICHE RECHTE hätten.
      Später haben wir x Male die NS-Zeit durchgenommen.
      Ich war in Auschwitz und Neuengamme. Bin auf Demos gegen Rechts gewesen und werde es immer wieder tun.
      Einer der unvergeßlichsten Momente meines Lebens war, als ich als Jugendlicher zusammen mit anderen in Israel bei einer Familie zu Gast sein durfte, in der eine Anwesende als Kind Auschwitz überlebt hatte. Sie wolle nicht sterben, so sagte sie, ohne das ANDERE Deutschland kennen zu lernen, und hatte sich, durch die Zeitung von unserer Reise informiert, gemeldet, und sich einen Haufen deutscher Jugendlicher ins Haus geladen. Wahrscheinlich ist das die größte Geste, die man sich vorstellen kann. Mir fehlen immer noch die Worte für die Kraft und den Großmut dieser Frau.
      Aber all das hat nie, aber auch nie dazu geführt, Zwangsbeschneidung je als etwas anderes zu sehen, als was es ist.
      Nun bin ich betroffen und weiß aus eigener Erfahrung, dass all die Verharmlosungen Lügen bzw. bestenfalls nachvollziehbare Kompensationsstrategien sind.
      Als Nichtbetroffener kann man leichter, und das passiert ja auch oft, das Thema als etwas abtun, dass eh angeblich nur wenige beträfe. Es ist dann weit weg. Für uns Betroffene ist es ganz nah, jeden Tag - IMMER.
      Und ich scheue auch keine Diskussion mit jüdischen Menschen. Warum sollte ich? Der deutschen Geschichte bin ich mir mehr als bewußt.
      Zu meiner Erziehung gehörte aber auch das andere, Erwähnte: wir sind ALLE GLEICH.
      Nichts anderes fordere ich zum Thema Zwangsbeschneidung.
      Ich erkenne für JEDEN Menschen diese unsere Grundrechte an, die Regeln unseres Zusammenlebens, die aus der größten Katastrophe heraus formuliert wurden, auf dass dies nie wieder geschehen möge.
      An diesen Regeln müssen sich alle messen. Immer wieder die Überprüfung zulassen, ob unser Verhalten nach neuen ethischen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen diesen Regeln standhält.
      Durch diese Verfahren sind §175, Vergewaltigung in der Ehe, die Prügelstrafe abgeschafft worden. Alles Dinge, die verfolgt bzw. nicht geahndet wurden solange wie die Menschheit existiert.
      Wenn alle Menschen gleiche Rechte haben, müssen auch z.B. Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens sich wie alle anderen diesen gesellschaftlichen Prozessen stellen, deren Vorteile auch ihnen zugute kamen und kommen.
      Es wäre die falsche Lehre aus der Geschichte, wenn nicht mehr alle Menschen gleich bewertet würden und sich an den gleichen Maßstäben messen müssten.
      Wenn Gesetze nicht für alle gelten.
    • Ich habe wohl in der Hoffnung, dass ich besser verstanden werde, zuviel geschrieben und es dabei nicht genug auf den Punkt gebracht.

      Gehen wir davon aus, dass 70% der Bevölkerung Zwangsbeschneidungen ablehnen, was wohl nach der Umfrage vom letzten Jahr grob richtig sein müsste. Da stellt sich mir die Frage, warum 30% davon überzeugt sind, dass Zwangsbeschneidungen nicht verboten werden dürfen.

      In meinem Umfeld höre ich hier den Satz, dass man es den Juden nicht verbieten könne, immer wieder. Der Satz prescht meist nicht hervor und wird auch eher zurückhaltend, fast schon wie eine Entschuldigung gebraucht. Es hat für mich den Eindruck als entschuldigten sich diejenigen, weil ihnen im Innersten bewusst ist, dass Zwangsbeschneidungen einfach falsch sind. Der Satz hört sich so ähnlich an wie die Worte man hätte damals ja nichts gegen die Nazis unternehmen können.

      Gegen die Nazis konnte man was unternehmen, aber sicherlich haben auch andere außer mir Vorfahren, denen diese Einstellung am Ende das Leben gekostet hat. Daher sehe ich es als eine Art Vermächtnis, sich nicht von einer Ideologie egal welcher Couleur leiten zu lassen, sondern zu versuchen immer das Richtige zu tun.

      Das Thema Beschneidung durch medizinische Irrlehre, dem Du zum Opfer gefallen bist, wird man nicht durch Gesetze beikommen. Hier müssen die Mediziner selbst dafür sorgen, dass derartige Ärzte zukünftig konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Daneben müssen Eltern aber auch entsprechend aufgeklärt werden, damit sie hier den Ärzten nicht blind vertrauen.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • Ist vlt ein bisch off-topic, aber bezüglich Aufklärung über Beschneidung... In Film und Fernsehn ist mir ehrlich gesagt kein Film bewußt bekannt, bei dem in einem Nebenhandlungsstrang Beschneidung vorkommt oder Thema ist, oder wo die Darsteller nur drüber reden oder whatever... Dabei wurden doch sonst sämtliche ehemaligen Tabuthemen schon komplett aufgegriffen und sensationslustig verarbeitet. Einen medialen Anstoß darüber nachzudenken, oder zumindest sich überhaupt darüber bewußt zu werden, daß es sowas wie Zirkumzision gibt, gab es außer der Debatte letztes Jahr mit folgenden Diskussionsrunden doch gar nicht. Über Prostatabeschwerden hat bestimmt schon gefühlt jede Gesundheitssendereihe berichtet...
    • Dein Beitrag ist nicht OT.

      Zwangsbeschneidungen lösen bei einigen noch immer Denkverbote aus (Ideologie!), die bis hin zur Schizophrenie führen, wenn hier das Geschlecht als Unterscheidungsmerkmal zwischen gut und böse verwendet wird. Warum haben denn die 434 Abgeordneten mit Ja gestimmt, welche Zwangsbeschneidungen von Mädchen wohl kaum zustimmen würden.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • wie Ventus schon angedeutet hat, gab es bis heute keine breitenwirksame Aufklärung in den Mainstream-Medien über den Grad der Verletzung am kindlichen Körper durch Zirkumzision. Stattdessen bekam eine Minderheit von Religionsvertretern und einigen beschneidungsbessesenen Ärzten eine Bühne, um die Verharmlosung und vermeintliche Vorteile dieser Praktik zu verbreiten. Dann kam auch noch in Bundestagsdebatten viel Unsinn rüber.

      Daher kommt es, dass Menschen, von denen man aufgrund ihrer Persönlichkeit eigentlich etwas anderes erwarten würde, vor dem Thema kapitulieren. Gegen ein Beschneidungsverbot zu sein ist auf den ersten Blick auch einfacher als dafür zu sein. Über die Konsequenzen der gesetzlichen Neuregelung sind sich auch die meisten Bürger nicht im klaren. Selbst von manchen Juristen wird der Gesetzestext in seiner vollen Wirkungsbreite nicht erfasst und fehlinterpretiert.

      Das Beschneidungsgesetz als Zugeständnis zugunsten deutscher geschichtlicher Aufarbeitung zu rechtfertigen, halte ich für völlig daneben. Ich kann da beim besten Willen keinen Zusammenhang erkennen. Weshalb sollten nicht einsichtsfähige Kinder, die im 21. Jahrhundert geboren sind, mit ihrem Körper für das herhalten, was mehrere Generationen zuvor geschah. An so einem Deal, der allenfalls in die Kategorie historischer Ablasshandel einzuordnen wäre, dürften nicht einmal Opfer interessiert sein.

      Die Verarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus setzt zuerst einmal voraus, dass sich jeder Mensch in Deutschland mit dieser Vergangenheit intensiv beschäftigt und sich um Empathie mit den Menschen bemüht, die damals als Opfer unmittelbar betroffen waren. Bei einigen jungen Menschen fallen in dem Zusammenhang jedoch Bildungslücken auf, die so nicht in Ordnung sind. Da müsste was getan werden.
    • Pöser Pürger schrieb:

      Das Beschneidungsgesetz als Zugeständnis zugunsten deutscher geschichtlicher Aufarbeitung zu rechtfertigen, halte ich für völlig daneben. Ich kann da beim besten Willen keinen Zusammenhang erkennen. Weshalb sollten nicht einsichtsfähige Kinder, die im 21. Jahrhundert geboren sind, mit ihrem Körper für das herhalten, was mehrere Generationen zuvor geschah. An so einem Deal, der allenfalls in die Kategorie historischer Ablasshandel einzuordnen wäre, dürften nicht einmal Opfer interessiert sein.

      Bundeskanzlerin Merkel warnt vor Beschneidungsverbot - SPIEGEL ONLINE

      Aussagen der Kanzlerin:

      "Ich will nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt ist, in
      dem Juden nicht ihre Riten ausüben können. Wir machen uns ja sonst zur
      Komiker-Nation."
      (*)

      [Was ist mit den Muslimen ?!]


      "Wir sind sehr froh, dass jüdisches Leben
      in Deutschland wieder eine Heimat gefunden hat."


      [Warum sind wir froh? Haben wir ein schlechtes Gewissen wegen "unserer" Vergangenheit?]

      Diese Aussagen war der Anstoß für die hastige Erarbeitung eines Zwangsbeschneidungsparagraphen. Von der CDU haben dann ja auch nur 4 Abgeordnete gegen den § 1631 d BGB gestimmt. Der Begriff moderner "Ablasshandel" dürfte leider nicht ganz falsch sein.

      (*) Hinweis am Rande: Die junge Union wollte eigentlich Ende letzten Jahres darüber beraten, ob man das Schächten ohne Betäubung verbieten sollte. Wegen der Beschneidungsdebatte kam man jedoch davon ab.
      Streit in der CDU ber betubungsloses Schchten - SPIEGEL ONLINE
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • @PöserPürger: Ich glaube so leicht kann man sich das nicht machen. Stichwort transgenerationales Trauma. Als Beispiel fällt mir dazu spontan gerade mal ein, daß es z.B. bis zur letzten Fußball WM in Deutschland sehr verpönt war, die nationale Flagge zu zeigen. Erst seit diesem Großereignis kann zumindest bei sportlichen Ereignissen wieder Nationalfarben getragen oder Flagge gezeigt werden ohne daß die Fans sofort in die rechte Ecke geschoben werden. Nationalflaggen, und sie zu zeigen, sind in nahezu jedem anderen Land der welt ein Ausdruck von zugehörigkeit, möglicherweise patriotismus. das ist bei uns schon ein ganzen stück weit anders.
    • Um nicht falsch verstanden zu werden, möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich mit sämtlichen Opfern des Nationalsozialismus Mitleid empfinde. Kein Mitleid oder ähnliche Gefühle habe ich gegenüber den Nachkommen dieser Opfer, sofern sie nicht selbst indirekt vom Holocaust betroffen waren, warum auch?

      @Ventus
      Nationalstolz wird es bei uns wohl trotz einiger Fähnchen noch lange nicht geben. Unsere Politiker haben es sich ja noch nicht mal getraut unsere nationale Verfassung gegenüber von Glaubensgemeinschaften zu verteidigen.

      Anderseits bin ich aber auch froh darum, dass es hier wenig Nationalstolz gibt, wenn ich sehe, wie hier blind Kinder zum Spielball zwischen öffentlichem Ansehen in der Welt und den Religionen werden. Nicht auszudenken, wenn es hier noch mehr "Selbstbewusstsein" gäbe.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • Was unsere Bundeskanzlerin sagt, hat für mich überhaupt keinen Stellenwert. Sie weiß ganz genau, dass sie mit ihren spontanen Äußerungen den gesamten Axel-Springer-Verlag hinter sich hat. Deshalb hat sie einfach drauf los geredet ohne nachzudenken. Was dabei raus kam, war dann denkbar dümmlich.

      Sie hätte auch ganz gelassen sagen können, was in diesem Land strafbar ist und was nicht, ist Angelegenheit der Gerichtsbarkeit bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Und wem das nicht passt, für den gibt es dann noch den EGMR.

      Stattdessen hat sie sich zu einer massiven Verletzung der Gewaltenteilung entschlossen. Der Gesetzgeber hat die Position der Revisionsinstanzen des LG Köln eingenommen und dem Bundesverfassungsgericht die Auslegung des Grundgesetzes aus der Hand genommen. Mir ist dabei nicht sehr wohl.
    • @ Nocut: naja Nationalstolz brauche ich persönlich auch nicht. Wenn ich sehe, wie die Amis mit ihrem Nationalstolz rummachen und was dabei herauskommt, finde ich das schlichtweg blöde.

      Das heißt nicht, sich verstecken zu müssen oder überhaupt keinen Patriotismus zuzulassen, wie das etwa in den 80er Jahren sehr stark der Fall war. Die Mitte dürfte, wie so oft, die goldene sein. Ich würde einfach von gesundem Selbstbewusstsein sprechen wollen.
    • Pöser Pürger schrieb:

      Deshalb hat sie einfach drauf los geredet ohne nachzudenken.
      Im Gegenteil: ich glaube, Frau Merkel hat (wie meistens) ganz genau gewusst, was sie sagt. Dass nämlich ein Verbot der Beschneidung für sie noch nicht einmal in die Nähe eines ernsthaften Gedankens kommt, sondern nur "komisch" ist. Was sie auf Deusel komm raus verhindern wollte, war, dass über Juden bzw. jüdisches Verhalten in Deutschland vor Gericht verhandelt wird. Deshalb wollte sie auch verhindern, dass es zum Instanzenweg kommt. Dieses Ziel hat sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ja auch erreicht. Dabei hat sie sich - wenn auch nur formal gesehen - durchaus an das Gesetzgebungsverfahren gehalten. Ob höhere Instanzen wie z.B. das Verfassungsgericht sich jetzt (nach den diversen Stellungnahmen von Verfassungsrechtlern) überhaupt noch an Putzkes Interpretation halten könnten, halte ich für mindestens zweifelhaft. Putzke ist zur Minderheitenmeinung geworden.

      Es war übrigens nicht nur die Springer-Presse...
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Wieso redet Ihr denn eigentlich über den Instanzenweg? Das Kölner Urteil war doch rechtskräftig. Ein Revisionsverfahren war damit nicht mehr möglich, der Gang zum BVerfG auch nicht.

      Das Verhalten von Frau Merkel und den ja-sage-Politikern steht auf einem anderen Blatt... wenn Richter das Gesetz ohne Ansehen der Person, ihrer Herkunft und ihrer religiösen Überzeugung anwenden, dann sind sie also Komiker. Ja klar. Und überhaupt, diese komische Verfassung... lächerlich...
    • werner schrieb:

      Ob höhere Instanzen wie z.B. das Verfassungsgericht sich jetzt überhaupt noch an Putzkes Interpretation halten könnten, halte ich für mindestens zweifelhaft. Putzke ist zur Minderheitenmeinung geworden.

      Beim Bundesverfassungsgericht würden nur Grundrechtsverletzungen eine Rolle spielen. Die Einschränkung der Religionsfreiheit durch Strafbarkeit einer religiös motivierten Körperverletzung wäre dann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde. Über die Strafbarkeit selbst hätte das Bundesverfassungsgericht nicht zu befinden, da es keine Revisionsinstanz für Strafsachen ist. Das müsste vorher der BGH geregelt haben.

      Die Religionsfreiheit wird niemals Straftaten zulassen - und seien es noch so geringe. Ich finde bestimmt irgendwo eine Passage in der heiligen Schrift, die mir erlaubt, bei Aldi Lebensmittel zu stehlen, nur um sie an Obdachlose zu verteilen. Wenn die Milliardärsfamilie nicht selbst auf den Gedanken kommt, dann muss ich es doch tun! Das wäre doch viel harmloser, als einem wehrlosen Kind die Vorhaut abzuscheiden. Niemals wäre ich mit einer Verfassungsbeschwerde mit dieser Begründung erfolgreich.
    • Maria Werner schrieb:

      Wieso redet Ihr denn eigentlich über den Instanzenweg? Das Kölner Urteil war doch rechtskräftig. Ein Revisionsverfahren war damit nicht mehr möglich, der Gang zum BVerfG auch nicht.

      Das stimmt. Es sollte aber durch das Gesetzgebungsverfahren verhindert werden, dass sich so ein Verfahren dann ohne Verbotsirrtum wiederholt. Bei religiösen Beschneidern wäre es mit dem Verbotsirrtum ohnehin eng geworden, insbesondere für nichtreligiöse Beschneidungen. Das darauf folgende Gesetz amnestiert jede bisher durchgeführte Beschneidung rückwirkend und entzieht Gerichten jegliche Einzelfallprüfung. Potenzielle Opfer werden in den Regen gestellt. Das halte ich schon für einen Eingriff in die Gewaltenteilung.

      Frau Leutheusser-Schnarrenberger wusste am 13.10.2012 genau, was unter Gewaltenteilung zu verstehen ist:

      Justizministerin gegen Aufhebung der §175-Urteile
    • Sorry, Pöser Pürger, bei allem Ärger über dieses unfassbare Gesetz: die Legislative hat nur ein Gesetz verabschiedet und nicht in ein laufendes Verfahren eingegriffen. Ich kann Dir in Deiner Argumentation über die Verletzung der Gewaltenteilung nicht folgen.

      Dass das neue Gesetz mit der Verfassung nicht so wahnsinnig gut in Einklang zu bringen ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

      Von den Verfahren her fände ich es immer noch ganz ulkig, wie schon öfter mal erwähnt, wenn jetzt die Familiengerichte nicht mehr die Ausreise kleiner Mädchen nach Somalia zwecks Beschneidung unterbinden könnten, weil die Eltern sich auf den neuen Genitalverstümmelungs-Paragrafen berufen. Ok, nein, ulkig wäre das nicht. Aber ein langwieriges Verfahren über diese Frage ist keineswegs ausgeschlossen, und so tritt die ganze Kiste über die Beschneidung von Jungen auch wieder durch die Hintertür auf den Plan. Dass das neue Gesetz niemals vor dem Verfassungsgericht landet, wird man so wohl nicht sagen können. Bis dahin ist es aber sehr wichtig, massiv Aufklärung zu betreiben. Sonst schreibt uns das Verfassungsgericht am Ende noch Sachen ins Buch, die wir garantiert nicht lesen wollen...
    • Wenn man das Grauen der NS-Zeit betrachtet, sollte es einen eigentlich dazu an halten mehr selbst zu denken.
      Den letztlich geht es nicht um Juden, Rassenwahn und Lager. Es geht darum wie so was möglich war.

      Weil die Menschen nicht hinterfragten, einfach weiter machten.
      Das ist die beklemmende Quintessenz, denn wir wissen alle das es bequemer ist mit dem Strom zu schwimmen.

      Also sehe ich den Versuch der "Erziehung" dieser Nation als gescheitert an. Mann hätte ihnen nicht religionsartig einreden sollen was falsch war, sondern ihnen beibringen sollen so kritisch zu werden, dass sie es selbst sehen. Nicht nur in der Vergangenheit sondern auch in der Zukunft.

      Wie oft hab ich es erlebt, dass Menschen Gesetze kritiklos hin nahmen ob wohl sie moralisch frag würdig waren. Nicht dass sie meinten nichts tun zu können... sie sahen sie als richtig an, weil es Gesetze waren.
    • @ Maria Werner
      Ich habe nichts gegen einen Nationalstolz, solange alle diejenigen unserer Nation zugerechnet werden, die hier auch leben. Sobald allerdings eine Nation aufgrund von Reisedokumenten auseinander dividiert werden soll, geht dies mit meinem Denken nicht mehr konform.

      @ Pöser Pürger
      Natürlich kann man die Aussagen der Kanzlerin einfach ignorieren. Fakt ist aber, dass genau das eingetreten ist, was sie gefordert hat. Die Frage, mit der ich mich in meinem Eingangsposting beschäftigt habe war, warum es zu einem solchen Denken kommen konnte.

      Wir und viele andere denken anders über Zwangsbeschneidungen, aber es gibt in Deutschland offenbar noch immer 30%, welche hier kein Verbot wünschen und selbst von den 70%, welche sich ein Verbot wünschen, werden die meisten wieder die gleichen Parteien wählen, welche dieses Gesetz verabschiedet habe, dass die Menschenrechte von Kindern auf grausame Weise verletzt.

      Kampagnen gegen Zwangsbeschneidungen werden daher aus meiner Sicht immer wieder an der vorherrschenden Ideologie scheitern, solange diese nicht als solche entlarvt wurde. Unser Bundespräsident bezeichnete Beschneidungsgegner als antisemitisch, was für mich ebenfalls ein klarer Beweis dafür ist, dass hier eine Ideologie und keinerlei Vernunft oder Menschlichkeit bei der Gesetzgebung beteiligt war.
      Beschneidungsdebatte: Gauck rgt "Vulgrrationalismus" - SPIEGEL ONLINE

      @ Werner
      Warum ist Prof. Putzke plötzlich zur Minderheitenmeinung geworden, obwohl 70% offenbar eine andere Meinung haben? Ähnliches passierte damals, als Menschen kurze Zeit später in Lager kamen.

      Fazit: Deutschland ist nicht verloren, aber wir müssen auch weiterhin für die Grundrechte von allen Kindern eintreten, unabhängig davon aus welchen Familien sie stammen. Ein Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn auch die Schutzbedürftigen geschützt werden.

      Nachtrag:
      @ E.H.M.
      Genau wie Du es schreibst, so sehe ich es ebenfalls. Die Bevölkerung hat eine Ideologie gegen eine andere ersetzt. Die neue Ideologie ist nun aber bereits zum Nährboden für den § 1631 d BGB geworden.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • Jetzt muss ich doch mal eine Lanze brechen für die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland, die weltweit einzigartig ist, und sich auch weltweit Respekt verdient hat. Man könnte es ja auch so sehen, dass die 70% gerade der Ausdruck einer weitgehend gelungenen (!) Vergangenheitsbewältigung sind. Auch die Kinderrechte haben sich nicht nur juristisch, sondern auch "draussen im Land" kontinuierlich weiterentwickelt bis zu diesem unsäglichen Gesetz.

      Mit dem Hinweis auf Putzke meinte ich natürlich die juristische Fachmeinung, auf das sich die Rechtsprechung bezieht und beziehen muss. Im Kölner Urteil kam uns das ja nicht ungelegen.

      Gauck hat nicht Beschneidungsgegner generell als Antisemiten bezeichnet, sondern"nur", wie andere auch, in der Debatte antisemitische "Stimmen gehört".
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Maria Werner schrieb:

      Sorry, Pöser Pürger, bei allem Ärger über dieses unfassbare Gesetz: die Legislative hat nur ein Gesetz verabschiedet und nicht in ein laufendes Verfahren eingegriffen. Ich kann Dir in Deiner Argumentation über die Verletzung der Gewaltenteilung nicht folgen.

      Es lagen Strafanzeigen, wie die von TobiasSP oder dem Arzt aus Gießen vor und es gab die Befürchtung des Gesetzgebers, andere Gerichte könnten sich am Urteil des LG Köln orientieren. Ermittlungen wurden nicht aufgenommen oder eingestellt. Für mich ist der § 1631d BGB nichts weiter als der Versuch einer Auslegung des § 223 StGB. Gewaltenteilung hin oder her, ich möchte nicht weiter darauf beharren. Vielleicht gibt es auch keine und das GG soll nur dazu dienen den Bürger ruhig zu stellen. So weit bin ich aber noch nicht.
    • Die Rechtsfolgen für die laufenden Strafverfahren ergeben sich aus § 2 StGB (Strafgesetzbuch). Sie sind ganz normal. Eine sich zugunsten des Täters während eines laufenden Verfahrens ändernde Gesetzeslage wird seit den Kindertagen der Republik berücksichtigt und dieses Prinzip ist schon vielen Angeschuldigten zugute gekommen. Man denke nur an die Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität im Jahre 1994. Alle laufenden Verfahren gegen homosexuelle Männer wurden mit dem Zeitpunkt der Abschaffung dieses irren § 175 StGB eingestellt und das war auch gut so.

      Dieses unselige Gesetz und sein Zustandekommen sind ein einziger Skandal, aber mit Vorwürfen wie "Eingriff in die Gewaltenteilung" wäre ich arg vorsichtig.

      Verfassungswidrig ist dieses Verstümmelungsgesetz allemal, da gibt es nichts zu deuteln, wenn man keine absichtlichen und schwerwiegenden Prüfungsfehler macht. Die Showpony-Juristen des Befürworter-Blocks prüfen z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes überhaupt nicht und kommen dann zu ihrem Ergebnis. Toll.
    • Die Showpony-"Juristen"

      erzählen mir immer, im Gesetz sei das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit sorgfältig berücksichtigt und geprüft, was daran deutlich wird dass sichergestellt wurde, dass der Eingriff a) keine Folgen hat und negativ Betroffene entweder gar nicht existieren, ne Meise haben oder es keine belastbaren Studien gibt und b) er von Ärzten erfolgen muss.
      Das ist die Grundlage aller juristischen Befürworter-Vorträge, die ich mir habe anhören müssen.

      Das Krasseste war Prof. Matthias Jestaedt, Universität Tübingen:

      Ohrfeigen seien nicht etwa verboten worden, weil sie dem Kind Schmerzen bereiten.
      Das entscheidende juristische Argument sei die damit verbundene Entwürdigung des Kindes gewesen.
      Da "Beschneidung" ja das Gegenteil, nämlich "Würdigung" des Kindes sei, sei das ein völlig anderer Fall.

      Das ist doch nichts anderes als völlige Willkür. Unter "Würdigung" kann jede/r etwas anderes verstehen.
      Und das soll dann das JURISTISCH ENTSCHEIDENDE KRITERIUM sein?
      Wer entscheidet, was Würdigung ist?
      Darf ich dann eine Frau vergewaltigen und vor Gericht sagen, man wolle doch nicht ernsthaft bezweifeln, dass Sex mit mir immer eine Würdigung der beteiligten Person bedeutet?
    • Maria Werner schrieb:

      Die Showpony-Juristen des Befürworter-Blocks prüfen z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes überhaupt nicht und kommen dann zu ihrem Ergebnis. Toll.
      Es gibt Ausnahmen von dieser Regel: Prof. Christan Walter

      bundestag.de/bundestag/ausschu…/Stellungnahme_Walter.pdf
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Ich hatte nur ein Beispiel gebracht, das auch vom Kölner Landgericht seinerzeit aufgeführt wurde; es ist aber nur ein Beispiel unter vielen. Tut mir leid, wenn ich mich nicht deutlich ausgedrückt habe. Die Showpony-Juristen sind natürlich recht kreativ in ihren Bemühungen, an der bestehenden verfassungsrechtlichen Lage so herumzudrehen, dass passend gemacht werde, was nicht passend ist. Gleichwohl gibt es bestimmte Kriterien für derartige Prüfungen, sie müssen letztlich belastbar sein und auch für vergleichbare Fälle von Körperverletzungen anwendbar. Bereits der Gleichbehandlungsgrundsatz von Mädchen und Jungen wurde ja verletzt.
    • Maria Werner schrieb:

      ...Man denke nur an die Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität im Jahre 1994. Alle laufenden Verfahren gegen homosexuelle Männer wurden mit dem Zeitpunkt der Abschaffung dieses irren § 175 StGB eingestellt und das war auch gut so.



      Dieses unselige Gesetz und sein Zustandekommen sind ein einziger Skandal, aber mit Vorwürfen wie "Eingriff in die Gewaltenteilung" wäre ich arg vorsichtig.
      Mit der Abschaffung des § 175 StGB lässt sich der § 1631d BGB nicht so ohne weiteres vergleichen. Beim 175er wurde der Straftatbestand als solcher aufgehoben. Beim Beschneidungsgesetz ist das nicht der Fall. Im strafrechtlichen Sinne steht die Körperverletzung nach wie vor im Raum und wäre auch weiterhin justiziabel.

      Wie wäre z.B. ein Fall zu beurteilen, in dem ein Arzt ohne Einwilligung der Eltern eine medizinisch nicht notwendige Beschneidung durchgeführt hat? Kann der dann noch wegen Körperverletzung belangt werden? Ich hoffe schon.

      Der § 1631d bietet nun den Eltern des Jungen die Möglichkeit, durch eine bloße Willenserklärung ohne Gerichtsbeschluss die Strafverfolgung außer Kraft zu setzen. Hingegen können Eltern wohl nicht bestimmen, was Körperverletzung ist und was nicht. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers müssen Staatsanwälte und Richter die Wahrnehmung ihrer Amtspflicht von der willkürlichen Entscheidung der Eltern und nicht von einer Prüfung des Einzelfalles abhängig machen. Der Gesetzgeber stellt hier Eltern auf den gleichen Level wie Richter. Also wenn das kein Eingriff sein soll. Sorry für meine Hartnäckigkeit.
    • Pöser Pürger: Hä??? ?(

      Eine Körperverletzung ist dann strafbar, wenn sie nicht gerechtfertigt ist. Sie ist dann gerechtfertigt, wenn eine Einwilligung vorliegt. Die Voraussetzungen einer Einwilligung richten sich nach den allgemeinen Prinzipien (Kenntnis der Sachlage, ohne Zwang, Einwilligungsfähigkeit usw.).

      Minderjährige sind nicht einwilligungsfähig (je nach Alter; Einwilligungsfähigkeit ist von Geschäftsfähigkeit zu unterscheiden). Für sie entscheiden die Eltern, soweit sie sorgeberechtigt sind, nach Massgabe der elterlichen Fürsorgepflicht. Was elterliche Fürsorgepflicht ist und wie weit sie reicht, steht im BGB (Familienrecht). Der Gesetzgeber hat nun normiert, dass eine Einwilligung der Eltern (genauer: derjenigen Personen, die sorgeberechtigt sind) in die Genitalverstümmelung eines nicht einwilligungsfähigen männlichen Kindes rechtmäßig sei.

      Körperverletzung?
      Tatbestandsmäßigkeit: ja, Amputation = tatbestandsmäßige Körperverletzung.
      Rechtfertigung: Einwilligung durch Kind? Nein, nicht möglich, weil nicht einwilligungsfähig.
      Einwilligung der Eltern? ja
      Einwilligung WIRKSAM? ja, wegen § 1631d BGB.
      Strafbarkeit: nein.

      Eingriff in die Gewaltenteilung? nein.
      Strafbarkeit der Körperverletzung OHNE Einwilligung der Eltern (und zwar beider Eltern, falls beide sorgeberechtigt sind)? ja.

      Es kommt oft vor, dass man Vorschriften des Zivilrechts prüfen muss, um die Strafbarkeit von bestimmten Handlungen zu prüfen. So muss man beispielsweise beim Diebstahl untersuchen, wer Eigentümer der Sache ist, die geklaut wurde.
      • Beispiel: jemand klaut etwas, weiß aber nicht, dass der Eigentümer kurz vorher gestorben ist und er zum Zeitpunkt der Wegnahme der Erbe war. Ob ihm zu diesem Zeitpunkt die Sache gehörte oder nicht, bestimmt sich nach den Vorschriften des Erbrechts. Darüber steht im Strafgesetzbuch nix drin, ist ja logisch. Und weil man sich nicht selbst beklauen kann, liegt ein Diebstahl nicht vor, wenn einem die Sache eh schon gehört.
    • Etwas was ich in diesem Zusammenhang nicht verstehe ist folgendes:
      Der Gesetzgeber hat doch jugendlichen unter 14 jahren den Besuch eines Bräunungsstudios verboten, selbst mit einverständnis der eltern soll dies nicht möglich sein, um die teenager vor hautschädigungen und sich selbst zu schützen. Im Grunde liegt doch hier auch, wenn man das mal sehr haarspalterisch betrachtet, eine körper(haut)verletzung vor, und deren vermeidung kann nicht durch entsprechende willens,absichts oder einverständniserklärungen übergangen werden kann. wie geht das eigentlich zusammen? Das bräunungsstudio würde ich dann doch eher im bagatellbereich sehen, so wie das ausreißen von haaren, wohingegen in der realität eine zirkumzision scheinbar harmloser dargestellt wird als ein leichter sonnenbrand.
    • Maria Werner schrieb:

      Körperverletzung?
      Tatbestandsmäßigkeit: ja, Amputation = tatbestandsmäßige Körperverletzung.
      Rechtfertigung: Einwilligung durch Kind? Nein, nicht möglich, weil nicht einwilligungsfähig.
      Einwilligung der Eltern? ja
      Einwilligung WIRKSAM? ja, wegen § 1631d BGB.

      Und an dieser Stelle kommt mein "Ja aber". Wir widersprechen uns im Prinzip nicht. Es geht mir nur darum zu zeigen, dass die geschaffene Möglichkeit der Eltern, in eine willkürliche Körperverletzung einzuwilligen über die Grenzen des BGBs hinausgeht. Befürworter kommen dann zwar gerne mit Impfungen oder sogar Herz-OPs. Das sind aber keine willkürlichen Körperverletzungen. Wird eine Herz-OP aufgrund einer Fehldiagnose durchgeführt, ermittelt der Staatsanwalt, egal ob die Eltern eingewilligt haben oder nicht.
    • @ Ventus: ich sehe das ganz genauso. Der Widerspruch ist gravierend. Es gibt aber für den Fall von Bräunungen im Sonnenstudio keine Rechtsnorm wie § 1631 d BGB.

      Die Judikative - also die Gerichte - müssen das Recht anwenden, das ihnen die Legislative - also unsere Freunde aus dem Bundestag - vor den Latz knallen. Auch dann, wenn das Gesetz beknackt ist. Und das ist recht oft der Fall.

      Käme es zu einem Verfahren über einen Beschneidungsfall, könnte ein Gericht, das Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 1631d BGB hat, dieses Ding allenfalls dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen.
    • Pöser Pürger schrieb:

      Und an dieser Stelle kommt mein "Ja aber". Wir widersprechen uns im Prinzip nicht. Es geht mir nur darum zu zeigen, dass die geschaffene Möglichkeit der Eltern, in eine willkürliche Körperverletzung einzuwilligen über die Grenzen des BGBs hinausgeht.


      Nö, das steht im BGB mittendrin. Das ist ja gerade die Schei...

      Grundsätzlich dürfen Politiker alle möglichen albernen, dummen und sinnlosen Gesetze verabschieden, und man erlebt selten etwas anderes. Das ist so ein ganz eigener Problemkreis, aber das IST Gewaltenteilung. Nur an der Verfassung muss sich der ganze Bockmist messen lassen.
    • ...ich glaube, das Problem von manchen hier ist, zu sehen, dass die Politik einfach etwas beschließt, was völlig im Widerspruch zu dem steht, was in einem Gesetzeswerk wie dem BGB ansonsten drinsteht oder dem Empfinden der Bevölkerung in Bezug auf Gewalt gegenüber Kindern entspricht. Was wie blanker Hohn wirkt etwa in Anbetracht der Tatsache, dass Gerichte teilweise die Einwilligung von Eltern in weitaus harmlosere körperliche Schädigungen ihrer Kinder als unwirksam betrachten.

      Dürfen die das? Dürfen die Politiker sowas einfach mal machen?

      Antwort: ja, die dürfen das. Das ist die gesetzgebende Gewalt. Die dürfen nur nichts beschließen, was im Widerspruch zum Grundgesetz steht, es sei denn, sie ändern das GG (was nicht bei allen Artikeln möglich ist und besondere Verfahren voraussetzt).

      Ich halte den Verstümmelungsparagrafen für klar verfassungswidrig. Das ist der einzige Angriffspunkt.
    • Maria Werner schrieb:

      Ich halte den Verstümmelungsparagrafen für klar verfassungswidrig. Das ist der einzige Angriffspunkt.
      Das Problem hat wohl tatsächlich nichts mit der Gewaltenteilung zu tun, sondern mit dem Verfassungsbruch, wie er wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegt. Keine Regierung darf Gesetze beschließen, die mit der Verfassung nicht vereinbar sind. Der § 1631 d BGB ist mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar. Das Gegenteil davon, nämlich ein Verbot von Zwangsbeschneidungen würde weder Juden noch Moslems daran hindern ihren Glauben sich selbst betreffend auszuleben.

      Dass die Regierung und auch die Opposition dennoch dem § 1631 d BGB zugestimmt haben (die Opposition hätte ja das Gesetz sogar über den Bundesrat noch kippen können) ist für mich ein Indiz dafür, dass wir es hier mit einer Ideologie zu tun haben, die sich weder an Vernunft noch an der reinen Menschlichkeit orientiert hat.

      Ich werde keine dieser Parteien mehr wählen!!!
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • Maria Werner schrieb:

      ...in weitaus harmlosere körperliche Schädigungen ihrer Kinder als unwirksam betrachten.

      Ich halte den Verstümmelungsparagrafen für klar verfassungswidrig. Das ist der einzige Angriffspunkt.
      Beides hängt ja miteinander zusammen, oder nicht? Für die Befürworter gibt es überhaupt nichts Harmloseres als die Beschneidung, im Gegenteil: sie habe religionserzieherische, gruppenintegrative und medizinische Vorteile und stütze Verfassungsrechte wie Religionsfreiheit (der Eltern) und deren Erziehungsfreiheit. Da die Beschneidung auch nichts Entwürdigendes habe wie z.B. Körperstrafen entspricht aus dieser Sicht alles dem BGB.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Schau mal, NoCut, ich glaube, das von Dir beschriebene Phänomen hat viel weitreichendere Hintergründe:

      Allensbach-Analyse: Tatsächliche und gefühlte Intoleranz - Inland - FAZ

      Als der französische Publizist und Pionier der Politikwissenschaft Alexis de Tocqueville 1831 die Vereinigten Staaten von Amerika bereiste, stieß er auf einen merkwürdigen gesellschaftlichen Widerspruch. Obwohl er sich in dem Land mit der freiheitlichsten Gesellschaftsordnung seiner Zeit befand, bemerkte er immer wieder Zeichen persönlicher Unfreiheit, die ihm aus Europa unbekannt waren.

      Bei den demokratischen Völkern, schrieb er, erscheine „die öffentliche Gunst ebenso nötig wie die Luft, die man atmet, und mit der Masse nicht im Einklang zu sein, heißt sozusagen nicht leben. Diese braucht nicht die Gesetze anzuwenden, um die Andersdenkenden unterzukriegen. Die Missbilligung genügt (...). Ich kenne kein Land, in dem im Allgemeinen weniger geistige Unabhängigkeit und weniger wahre Freiheit herrscht als Amerika.“



      96 Prozent geben zu Protokoll, ihnen sei schon einmal aufgefallen, dass sich jemand in der Öffentlichkeit „nicht korrekt“ verhalten habe. Fast zwei Drittel von ihnen haben auch schon einmal jemanden auf sein Fehlverhalten hingewiesen. Aus solchen Signalen bezieht der einzelne Bürger seinen Eindruck, ob er mit seiner Meinung gesellschaftlich akzeptiert ist oder nicht, und richtet sein Handeln danach aus. Dieser Prozess wird umso wichtiger, je freier eine Gesellschaft ist, je weniger das eigene Verhalten durch staatliche Zwänge bestimmt ist. Eine weitere Informationsquelle über gesellschaftliche Normen bilden die Medien. Senden sie andere Signale als die Bevölkerung selbst, kann es passieren, dass sich bestimmte Gruppen isoliert fühlen, obwohl sie es eigentlich gar nicht sind.


      Ich finde, die Aufarbeitung unserer Vergangenheit war gut und richtig. Bei uns im Unterricht wurde das allerdings auch tatsächlich so vermittelt, dass es unsere Sinne gegenüber Unrecht und staatlicher Willkür schärfte. Beispielsweise redeten wir über "Das Experiment" - Jahrzehnte bevor es verfilmt wurde.

      Problematisch wird das nur dann, wenn daraus der Schluss gezogen wird, duckmäuserisch sein zu müssen. Wenn wir uns unsere Politiker im Bundestag einmal genau anschauen, sehen wir beispielsweise, dass die meisten von ihnen im Leben nichts Nennenswertes geleistet haben. Das ist durchaus von Belang. Rückrat und Selbstbewusstsein sind von solch einer Gruppe überwiegend nicht zu erwarten.
    • NoCut schrieb:

      Der § 1631 d BGB ist mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar. Das Gegenteil davon, nämlich ein Verbot von Zwangsbeschneidungen würde weder Juden noch Moslems daran hindern ihren Glauben sich selbst betreffend auszuleben.

      Das Verbot gab und gibt es ja in Form von § 223 StGB. Das Verbot kann auch niemand bestreiten, da ansonsten alles andere was abgeschnitten werden könnte ohne nachzuwachsen, zu regeln wäre: Ohrläppchen, Klitorisvorhaut, etc.

      Das Verbot in Form des § 223 StGB besteht auch nach wie vor. Es kann auch nicht über das BGB per elterlicher Willenserklärung außer Kraft gesetzt werden. Davon steht auch im § 1631d nichts drin. Man kann es natürlich hinein interpretieren, wenn man möchte. Wieso aber sollte man etwas hinein interpretieren, was zu formulieren der Gesetzgeber sich zu schade war. Dabei müsste man selbst auch die unveräußerlichen Grundrechte des Betroffenen im Auge behalten.

      Wenn der Gesetzgeber eine Straftat straflos stellen wollte, hätte er das klar und präzise zu formulieren. Eine Aufhebung des Verbots der Beschneidung von Jungen als Körperverletzung hätte meiner Auffassung nach nur im StGB geregelt werden können. Da wäre es halt nicht so schick gewesen und Frau Leutheusser-Schnarrenberger hätte im Fernsehen schlecht sagen können, dass Beschneidungen in Deutschland schon immer erlaubt gewesen seien.

      Also müsste man theoretisch immer noch Anzeigen erstatten können, da das Verbot - wenn man mir soweit folgen möchte - noch vorhanden ist. Warum das nichts bringen würde? Da mit dem § 1631d BGB ein Dauerverbotsirrtum installiert wurde und somit eine Einstellung jedes Verfahrens vorprogrammiert ist. Darin sehe ich die Wirkung dieses einmaligen Gesetzes. Da in diesem Fall die Justiz dankbar sein dürfte, dass ihr die Hände gebunden wurden, wird es so schnell auch keine Beanstandungen durch einen Richterbund oder ähnliche Interessensvertretungen geben.