Die AAP Stellungnahme und ihr Einfluss auf das Beschneidungsgesetz. Hat die AAP den deutschen Gesetzgeber beeinflusst?

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    • Die AAP Stellungnahme und ihr Einfluss auf das Beschneidungsgesetz. Hat die AAP den deutschen Gesetzgeber beeinflusst?

      DIE ZEIT berichtet über die in Bälde erscheinende Replik auf die neue AAP Standpunkterklärung vom August 2012, hier wird Forum darüber berichtet.

      Dieser Bericht wirft bei mir einige Fragen hinsichtlich des möglichen Einflusses der AAP-Erklärung auf das Beschneidungsgesetz.
      Der ZEIT-Text vermittelt den Eindruck, dass diese AAP Erklärung irgendeinen Einfluss auf den Gesetzgeber gehabt hätte.Die Bunderegierun hat schließlich auch in ihrem Begründungstext auf die AAP-Erklärung verwiesen.

      Hat der Bundestag damals unter falschen Annahmen seine Entscheidung
      getroffen? Das längst verabschiedete Beschneidungsgesetz beruft sich
      auch auf Empfehlungen der American Academy of Pediatrics (AAP), dem angesehenen US-amerikanischen Kinderärzteverband.


      Ich bin jedoch der Ansicht, dass die neue AAP-Erklärung, die zufälligerweise gerade während der Planungsphase der Beschneidungsgesetzes veröffentlicht wurde, nicht wirklich. Das Kindeswohl oder eine Bewertung der Beschneidung standen gar nie wirklich zu Debatte, mit dem Gesetz sollten Forderungen der Lobbyverbände erfüllt werden. Das war der vorgefasste Standpunkt; sicher lieferte die AAP-Erklärung den Politikern einige "Munition" um ihr Vorgehen zu begründen, aber das Gesetz wäre so oder so verabschieden

      - Das ist zumindest meine Ansicht. Was denkt ihr? Hat die AAP-Erklärung einen wirklichen Einfluss auf den Gesetzgeber gehabt oder nicht?
    • Sokrates schrieb:

      - Das ist zumindest meine Ansicht. Was denkt ihr? Hat die AAP-Erklärung einen wirklichen Einfluss auf den Gesetzgeber gehabt oder nicht?

      Diese Frage könnten 434 MdBs am besten beantworten. Ich sage mal so: Schuld an dem deutschen Beschneidungsgesetz hat die böse AAP. Weshalb das so ist, ist eigentlich relativ einfach:

      Hätte die AAP schon immer zugegeben, dass Routinebeschneidungen medizinisch nicht vertretbar sind, würden diese in den USA doch überhaupt nicht durchgeführt. Das Haftungsrisiko wäre viel zu groß, da habe ich in einem anderen Thread schon ein simples Zahlenspiel gebracht.

      Wie die Religionsfreiheit unter diesen Bedingungen bei Beschneidungen in den USA ausgelegt und gehandhabt würde, wäre dann natürlich die große Frage. Wahrscheinlich gäbe es dort ein Sondergesetz. Daran hätte man sich in Deutschland letztes Jahr wahrscheinlich orientiert. Ein Sondergesetz wäre allerdings auch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, da es gegen das Diskriminierungsverbot gem. Art. 3 GG verstoßen würde. Der Gesetzgeber würde in diesem Falle das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 (2) aufgrund von Religionszugehörigkeiten unterschiedlich definieren. Dagegen könnten dann religiöse Beschneidungsgegner Diskriminierungsrügen gem. Art. 3 GG erheben. Ich behaupte mal, das wusste man in Berlin und hat sich deshalb von der Resolution vom 19.07.2012, die eine religiöse Sonderregelung vorsah, schnell wieder entfernt.

      Da der deutsche Gesetzgeber in der Beurteilung der AAP offensichtlich einen Freibrief für willkürbeschneidungen gesehen hatte, meinte er, das Gesetz so formulieren zu können. Dabei hätte man sich allerdings darüber im klaren sein müssen, dass es in den USA ein entsprechendes Gesetz nicht gibt.

      Deshalb ist das alles gesetzgeberischer Wahnsinn von historischem Ausmaß. Chirurgische Eingriffe in den Körper dürften niemals direkt per Gesetz pauschal geregelt werden. Ärzteverbände können Empfehlungen für medizinische Maßnahmen herausgeben, die regelmäßig zu überprüfen, zu hinterfragen und ggfs. neu zu definieren sind. Bei jedem Patienten sollte dann der Arzt im Einzelfall entscheiden, was er tut und was er lässt.
    • Es wäre sicher interessant, nochmals die ganze Beschneidungsdebatte auf ihre AAP-Lastigkeit hin zu durchforsten.

      Fakt ist, dass der Begleittext zum Gesetz zwar das AAP-Statement erwähnt, und auch auf WHO- Studien zur HIV-Prophylaxe in Afrika verweist, aber auch feststellt, dass viele u.a. auch deutsche Verbände die - und jetzt kommt's - routinemässige Säuglingsbeschneidung nicht empfehlen.
      Der Begleittext hält sich also immerhin an die Wahrheit und behauptet ( zumindest explizit ) nicht, dass die AAP die Beschneidung empfohlen hätte. Der entsprechende Passus im Begleittext endet mit dem Satz:" Im Übrigen gehen die Ansichten über die Frage, inwieweit die Beschneidung geeignet sein kann, Risikofaktoren für die spätere Entstehung anderer Krankheiten auszuschalten, weit auseinander."

      Ich interpretiere das so, dass der Gesetzgeber sich diesbezüglich nicht entscheiden, sondern ausdrücken wollte, dass Säuglingsbeschneidung prinzipiell auch medizinisch begründet werden kann. Er suggeriert allerdings, dass Säuglingsbeschneidung allerlei Vorteile habe, auch wenn es keine Empfehlung zur routinemässigen Beschneidung gebe.

      Die Lüge, dass die AAP Säuglingsbeschneidung empfehle, stammt aus dem Lobbypapier des " American Jewish Committee", das allen Bundestagsabgeordneten vorgelegen hat:
      "Richtig ist vielmehr, dass sowohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch die Vereinigung amerikanischer Kinderärzte (AAP) die Beschneidung im Knabenalter aus medizinischer Sicht sogar eindeutig empfehlen." Diese doppelte (eindeutig - empfehlen) Lüge wird im Papier mehrfach wiederholt, und das AAP-Statement ausführlich beschrieben.

      Diese Gemengelage hat in der Argumentation vieler Befürworter eine wesentliche Rolle gespielt, um medizinische Bedenken abzuwehren. Aber auch Religionsvertreter haben dies benutzt, um die "vorausschauende Weisheit" des göttlichen Befehls zu "beweisen". Den Gesetzgeber hat es in die Lage versetzt, auch andere als religiöse Gründe mit aufzunehmen, und die Falle eines Sondergesetzes zu umgehen. Dazu hat die AAP einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet.

      Die neue Kritik am AAP-Statement bringt diese medizinischen Gründe erheblich in Misskredit, weshalb der Charakter als religiöses Sondergesetz wieder erheblich deutlicher wird, und die Zweifel an der medizinischen Unbedenklichkeit der Beschneidung wieder wachsen.

      Im Ergebnis würde ich meinen, dass das Beschneidungsgesetz ohne das AAP-Statement in dieser Form nicht durchgegangen wäre. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass der Gesetzgeber dann eben eine andere, nicht weniger zwielichtige Regelung gefunden hätte.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • @werner

      Deine Analyse trifft das Problem sehr präzise, besten Dank.

      Die AAP hat letztlich den Fehler gemacht, sich nicht klar gegen die Routinebeschneidung zu positionieren. Sie überlässt die Entscheidung den Eltern und deren religiösen und sozialen Neigungen und zieht sich im medizinischen Bereich aus der Affäre. Das ist jedoch verantwortungslos und kann nicht die Aufgabe einer solchen Organisation sein. Richtig greifen kann man den Verein halt nicht. Von Kinder- und Menschenrechten haben die offensichtlich auch noch nichts gehört. Die werden auch in Zukunft solche Wischiwaschi-Statements von sich geben und sich für den Rest der Welt nicht interessieren.
    • Pöser Pürger schrieb:

      Diese Frage könnten 434 MdBs am besten beantworten. Ich sage mal so: Schuld an dem deutschen Beschneidungsgesetz hat die böse AAP. Weshalb das so ist, ist eigentlich relativ einfach:

      Die AAP hat bezüglich des § 1631 d BGB "nur" etwas für die entsprechende Grundstimmung gesorgt. Im Gesetzesvorschlag von Frau Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hieß es:

      "Unter deutschen Medizinern besteht weitgehend Einigkeit, dass angesichts der guten hygienischen Situation in Deutschland eine prophylaktische routinemäßige Beschneidung Neugeborener nicht indiziert ist (vgl. Schramm u. a., a. a. O., 872; Stehr/Schuster/Dietz/Joppich, Klin Pädiatr 2001; 213:50 ff.). Im Übrigen gehen die Ansichten über die Frage, inwieweit die Beschneidung geeignet sein kann, Risikofaktoren für die spätere Entstehung anderer Krankheiten auszuschalten, weit auseinander."

      Schuld am § 1631 d BGB haben daher für mich die 434 Abgeordneten und alle Wähler, welche diese Abgeordneten im Herbst wiederwählen.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • Pöser Pürger schrieb:

      Schuld ist Angela Merkel.
      Was erwartet man auch anders von einem Gottesstaat, welcher von einer Pfarrerstochter an der Spitze regiert wird, einen Pfarrer als Präsidenten hat und auch noch bis vor kurzem den Papst gestellt hatte.

      Dennoch bleibe ich dabei, dass die Kanzlerin zwar den Ton angegeben hatte, aber dennoch insgesamt 434 Abgeordnete mit JA gestimmt haben. Jeder Wähler, der nun den entsprechenden Parteien im Herbst seine Stimme gibt, macht sich daher aus meiner Sicht ebenfalls an jeder Zwangsbeschneidung mitschuldig.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • Nein, das finde ich nicht. Ein Parteiangebot ist ein Mix, und man muss nicht mit allem einverstanden sein, daraus.

      Was katastrophal ist, ist die fehlende Gewissensfreiheit, die nur durch geheime Abstimmung zu gewährleisten ist. Gäbe es das, müsste man schon ein komplexes Master Mind lösen, um Abtrünige zu Identifizieren (wie denn auch) und dann um einen Listenplatz zu prellen.

      Das läuft nämlich: regelrechte Erpressung auf Konformität mit der Parteispitze, die bestimmt, wer hochkommt und wer verhungert.

      Von Wegen "die Macht geht vom Volke aus"....
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Guy schrieb:

      Was katastrophal ist, ist die fehlende Gewissensfreiheit, die nur durch geheime Abstimmung zu gewährleisten ist.
      stimmt - die öffentliche Abstimmung lädt irgendwie zur Bestechung geradezu ein, nicht wahr.

      Wäre aber das Gesetz in geheimer Abstimmung durchgegangen, wüsste man in den meisten Fällen nicht, wem man das zu verdanken hat. Wenn das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht einkassiert wird, ist dann durch die Abstimmungslisten klar, wer die Prügel dafür bekommt. Da freu ich mich schon drauf. Bei 434 Abgeordneten wird einem dann die Hand regelrecht schmerzen.
    • Den Abgeordneten wirst man nichts vorwerfen können, denn sie haben sich ja durch den Ethikrat, den Rechtsausschuss und das wissenschaftliche Papier des AJC beraten lassen, und deren Ergebnisse waren eindeutig. Ausserdem wird es zu dem gewünschten Spruch nicht kommen, weil das Verfassungsgericht sich den politischen Rücksichtnahmen nicht wird verschliessen können.
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    • werner schrieb:

      Ausserdem wird es zu dem gewünschten Spruch nicht kommen, weil das Verfassungsgericht sich den politischen Rücksichtnahmen nicht wird verschliessen können.

      Wenn dem so sein sollte, müsste das Bundesverfassungsgericht die politischen Rücksichtnahmen in seiner Begründung nachvollziehbar erklären. Da wird es dann problematisch, denn der Gesetzgeber hat diesbezüglich noch nichts erklärt und das Bundesverfassungsgericht könnte diese Erklärung nicht zum ersten mal aus dem Hut zaubern. Das wäre ja jenseits von gut und böse. Aber sollen die nur machen. Wenn das Gesetz in Straßburg landet - umso besser.
    • Pöser Pürger schrieb:

      Wenn dem so sein sollte, müsste das Bundesverfassungsgericht die politischen Rücksichtnahmen in seiner Begründung nachvollziehbar erklären.
      So direkt wird das natürlich nicht passieren. Aber das Gericht weiss natürlich auch, was auf dem Spiel steht, und dass verfassungsrechtliche Positionen unterschiedlich begründet werden können, haben wir ja erlebt.
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      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • werner schrieb:

      So direkt wird das natürlich nicht passieren. Aber das Gericht weiss natürlich auch, was auf dem Spiel steht, und dass verfassungsrechtliche Positionen unterschiedlich begründet werden können, haben wir ja erlebt.


      Ja, ich bin auch eher misstrauisch. Seit ich die Begründung des BVerfG zur Rechtfertigung von GEZ-Gebühren für Internetauftritte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gelesen habe, war mir klar, dass wir es nicht mehr mit einem Verfassungsgericht zu tun haben, wie es in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit bestand. Die Begründungen sind haarsträubend und dienen ganz eindeutig einem politisch gewünschten Ergebnis (hier zum Nachlesen: openjur.de/u/506450.html).