Kleines Beschneidungs-ABC des Alten Testaments (Hebräische Bibel)

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    • Kleines Beschneidungs-ABC des Alten Testaments (Hebräische Bibel)

      Religions- und Kirchenfunktionäre haben den Beschneidungskritikern einen „erschreckenden religiösen Analphabetismus“ vorgeworfen. Die Schriftgelehrten zitierten immer und immer wieder eine Bibelstelle (Gen. 17,10-12a) und ließen dabei geschickt alle weiteren Zusammenhänge außen vor. In Wirklichkeit ist der biblische Befund jedoch recht komplex und durchaus widersprüchlich. Ich beschränke mich hier auf die Hebräische Bibel (AltesTestament). Im Neuen Testament ist die Vorhaut-Beschneidung für Christen ohnehin überwunden.

      Schon seit Jahrhunderten ist ernsthaften Bibellesern und –forschern aufgefallen, dass die Fünf Bücher Mose (Pentateuch, Tora) nicht aus einem Guß sind, sondern sehr unterschiedliche Traditionen enthalten. Man geht daher von mindestens vier Quellenschriften aus, die später zusammengefügt und redaktionell überarbeitet wurden.

      Stark verkürzt hier die wichtigsten Befunde zum Thema (wobei ich mich im Einzelnen irren kann). Mein bescheidener Beitrag zur biblisch-religiösen Alphabetisierung:

      Einzig die Priesterschrift (P) als die jüngste der Pentateuch-Quellen führt die Beschneidung in die allerälteste Zeit auf den Stammvater Abraham zurück. Der habe sich selbst mit 99 Jahren und seinen Sohn Ismael mit 13 Jahren an der Vorhaut beschnitten und dadurch einen Bund mit Gott geschlossen (Gen. 17). Einzig diese Priesterschrift ordnet eine Beschneidung der männlichen Nachkommen am 8. Tag an und erzählt von der Beschneidung Isaaks (Gen. 21,4). Daneben befiehlt P auch die Beschneidung aller Sklaven und Arbeitnehmer, was jedoch wohl nicht immer befolgt wurde und m. W. auch heute von niemandem befolgt wird. Nach Hes. 44,7f leisteten Unbeschnittene sogar im Tempel Dienst. P befiehlt, dass "alles Männliche" und "jedes Knäblein, wenn's acht Tage alt ist" beschnitten werden soll. (Doch selbst der frömmste Jude hält das nicht ein und beschneidet z. B. ein Frühgeborenes oder einen Bluter nicht.) In geradezu terroristischer Weise, ohne Wenn und Aber kündigt P die Ausrottung eines jeden Männlichen aus seinem Volk an, der nicht an seiner Vorhaut beschnitten wird (Gen. 17,14).

      Das ältere elohistische Geschichtswerk (E) legt den thematisch-ethischen Schwerpunkt nicht auf die Beschneidung, sondern auf die Geschichte von der letztlich nicht erfolgten Opferung Isaaks, die Gott im letzten Moment verhinderte und durch ein Tieropfer ersetzte (Gen. 22). Durch den Glaubensgehorsam Abrahams und Isaaks wird hier der Bund mit Gott begründet.

      Auch in dem älteren jahwistischen Geschichtswerk (J) schließt Gott mit Abraham einen Bund ohne Beschneidung (Gen. 15,18 ). Der Gesetzgeber Mose selbst war nicht beschnitten. In einer sehr archaischen, dunklen Erzählung beschneidet dessen midianitische Frau Zippora auf dem Weg nach Ägypten ihren schon älteren Sohn Gerschom, nicht aber ihren Ehemann Mose und nennt ihn in diesem Zusammenhang „Blutbräutigam“ (Ex. 4,24 f).

      Ein Vergleich der hebräisch-semitischen Wörter „Chatan“ (Bräutigam, frisch Beschnittener), „Choten“ (Schwiegervater, Beschneider) und „Chitan“ (Schnitt) legt nahe, dass es sich ursprünglich um einen Mannbarkeits- und Hochzeitsritus handelte, der also keine unmündigen Kinder betraf.

      In einer weiteren Variante führt das jahwistische Geschichtswerk (J 1) die Beschneidung auf Josua (den Nachfolger des Mose) zurück, der die Israeliten kurz vor der Eroberung des gelobten Landes beschnitt (Jos. 5,2ff). Inhaltlich ist dieser Bericht insofern fragwürdig, als er selbst von der postoperativen Kampfunfähigkeit des ganzen Volkes vor den unmittelbar bevorstehenden Kriegshandlungen weiß (Jos. 5,8 ). Von der Beschneidung der Gegner als Kriegslist erzählen E und J auch vorher schon bei der Brautwerbung eines fremden Prinzen für Dina und der dann folgenden hinterhältigen Ermordung aller frischbeschnittenen Einwohner Sichems durch die Israeliten (Gen. 34).

      Im Mose- oder Sinaibund stehen die 10 Gebote nach E und J in Exodus 20 eindeutig vor und über jedweder Vorhautbeschneidung. Mose empfing die Tafeln des Bundes als Unbeschnittener! (Das sollte man sich immer wieder vor Augen halten.)

      Im Deuteronomium als einer weiteren Quellenschrift der Tora wird einzig die ethisch-symbolisch zu verstehende Beschneidung der Herzen gefordert (Dt. 10,16; 30,6). Diese stellt den wahren Bund Gottes mit seinem Volk dar.

      Der Prophet Jeremia fordert ebenfalls die ethische Beschneidung der Herzen (Jer. 4,4) und sieht darin den erhofften neuen Bund (Jer. 31,31).
    • Benni schrieb:

      Religions- und Kirchenfunktionäre haben den Beschneidungskritikern einen „erschreckenden religiösen Analphabetismus“ vorgeworfen. Die Schriftgelehrten zitierten immer und immer wieder eine Bibelstelle (Gen. 17,10-12a) und ließen dabei geschickt alle weiteren Zusammenhänge außen vor. In Wirklichkeit ist der biblische Befund jedoch recht komplex und durchaus widersprüchlich.
      Danke, Benni, für Deine Darstellung. Sie zeigt, dass es den Schriftgelehrten in Wirklichkeit überhaupt nicht um eine Alphabetisierung im Sinne von Erweiterung unseres Wissens geht, sondern um das Nach-Beten dessen, was sie vorher als Alphabet definiert haben. Letztlich zielt das auf die Unterdrückung kritischen Denkens durch die Forderung nach Gefolgschaft. Das diese Forderung in Zusammenhang mit der Beschneidung auftaucht, ist sicher kein Zufall.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Großartige Arbeit!Ich gehe jetzt mal davon aus, dass den heutigen Schriftgelehrten diese Passagen ebenso wenig unbekannt sind.
      Ergo geht es Ihnen um etwas anderes, wenn sie behaupten, die Beschneidung sei ein integraler und konstitutiver Bestandteil der Religion.
      Es geht Ihnen vermutlich um das, was die christlichen Religionen nun auch veranstalten: Jegliche Modernisierung als mögliche Erosion ihres Gedankengebäudes zu vereiteln. Um dieses Thema haben die 3 Weltreligionen eine schöne Gemeinsamkeit entdeckt.
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Danke Benni, hervorragend! :thumbup:
      Ich bin sicher, ich werde diese Fakten bei diesem Termin sehr gut brauchen können! :D
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • @ Benni
      Vielen Dank für diese hervorragende Aufstellung.

      Wenn man das ganze mal zusammenfasst, sind es vier verschiedene Bünde, welche sich hier angesammelt haben:

      1) Beschneidung
      2) Ablösung des Erstgeburtsopfers durch Tieropfer
      3) Bundestafeln / Dekalog
      4) Beschneidung der Herzen

      Als kritischer Mensch stellt sich mir die Frage, warum man mehr als einen Bund benötigt hatte. Ist das alte Testament eine Ansammlung von verschiedenen Glaubensrichtungen (Volk Juda, Volk Israel und die Nachkommen Ismaels) oder zeigt es wie überwiegend angenommen die historische Entwicklung eines einzigen Glaubens über einen längeren Zeitraum. Falls letzteres zutrifft, war der jüdische Glaube nicht immer statisch bzw. hat sich dieser früher noch weiterentwickelt.

      Die Beschneidung der Herzen wäre somit der geschichtliche Höhepunkt gewesen, nachdem es dann aber wieder ganz offensichtlich rückwärts ging. Selbst in den Zeiten von Jesu, war sowohl die Beschneidung wie auch die Auslösung im Tempel noch üblich (siehe Hanna, die Jesus bei seiner Auslösung als den Erlöser erkennt) und natürlich der Dekalog. Dank Paulus wurde aber der Fortschritt wieder aufgegriffen und daher nur noch die Beschneidung der Herzen gefordert bzw. das Abendmahl als neuer Bund manifestiert (falls ich hier nicht falsch liege).

      Was unterscheidet somit das alte und das neue Testament? Im alten Testament waren die Bünde vorwiegend greifbar und physisch fassbar (Beschneidung - Autsch - fassbar). Beim neuen Testament scheint es mir als ob die materielle Ebene ein Stück weiter zurücktritt und der Glaube dadurch mehr im Vordergrund steht.

      Das alte Testament bietet aus meiner Sicht wohl je nach Interpretation eine sehr orthodoxe Glaubensausrichtung oder im Gegensatz dazu einen fortschrittlicheren innigen Glauben. Die Beschneidung zeigt aus meiner Sicht auch, wie sich der jüdische Glaube von den Anfängen des Reformjudentums wieder entfremdet hat.

      Beim Islam scheint mir die Beschneidung im Gegensatz zum Judentum keinen religiösen Hintergrund zu haben. Es ist wohl vielmehr die unreflektierte Übernahme eines heidnischen Rituals, welches lediglich in einen scheinbar religiösen Rahmen integriert wurde, ähnlich wie unser Tannenbaum an Weihnachten.

      Und was bedeutet dies für Kirchenfunktionäre, welche Beschneidungskritiker als religiöse Analphabeten bezeichnen? Man sollte Gottesdienste besser wieder auf lateinisch halten und Bibeln als altgriechische Ausgaben verbreiten. Sonst kommen hier nur ständig neue kritische Stimmen, welche hier alles hinterfragen und noch mehr Zweifel sähen.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • Das Beschneidungs-ABC der Bibel noch einmal anders aufgezäumt

      @NoCut: Wahrscheinlich habe ich mich nicht ganz verständlich ausgedrückt. Darum versuche ich, meinen biblischen Befund noch einmal anders aufzuzäumen:

      Von den inhaltlich wichtigsten Bundesschlüssen im Alten Testament:

      Noah-Bund
      (Gen. 9) mit allen Völkern. Beschneidung spielt in den noachitischen Geboten keine Rolle (kein Blutvergießen!). Auch wenn anzunehmen ist, dass die semitischen Völker die Beschneidung als Stammeszeichen übten (vgl. Jer. 9, 24-25: Ägypter, Edomiter, Ammoniter, Moabiter genauso wie Israeliten, die es von den anderen gelernt haben dürften). Ursprünglich aber wohl nur als Teilbeschneidung der Vorhaut, möglicherweise auch nur als Pubertäts- bzw. Mannbarkeitsritus oder sogar erst als Hochzeitsritus bzw. als kultisches Zeichen der Priester.

      Abraham-Bund (Erwählung Israels). In den ältesten Quellenschriften (Jahwist J, Elohist E) ohne Erwähnung der Beschneidung (Gen. 15,8 ). Erst das Spätwerk der Priesterschrift P fügt die Beschneidung lang und breit in die Abrahams-Erzählung ein, und zwar als Beschneidung Abrahams, Ismaels, der Säuglinge am 8. Tag und der Sklaven (Gen. 17 und Gen. 21,4) und macht aus dem Abraham-Bund einen Beschneidungs-Bund (Brit Mila).

      Mose- oder Sinaibund (das Gesetz, die Tora als Verhaltens- und Lebens-Weisung). Bei J und E ursprünglich ohne ein Beschneidungsgebot. Dieses wird erst später von P eingefügt, dem es in seiner Gesetzgebung vor allem um kultische und rituelle Reinheit geht (Lev. 12,3). In Opposition zu P fordert der Deuteronomist als Vertreter der Ethik dagegen die Beschneidung der Herzen (Dt. 10,16; 30,6).

      David-Bund (erwähltes politisches Königtum). Ohne religiöse Bedeutung der Beschneidung. Stattdessen Abkunft, Berufung und prophetische Salbung. In den Texten findet man jedoch öfters eine Polemik gegen die „Unbeschnittenen“ (die indogermanischen Philister). David hält um die Hand von König Sauls Tochter Michal an und bringt ihm als Brautpreis die Vorhäute von 200 erschlagenen Philistern (1. Sam. 18,20-27).

      Die Beschneidung in ihrer zeitlichen Entwicklung:

      Die Teil-Beschneidung der Vorhaut ursprünglich wohl ein Stammeszeichen (Pubertäts-, Hochzeits-, Priesterritus) bei allen semitischen Völkern (Ägypten, Edom, Ammon, Moab). Möglicherweise gab es auch Unterschiede im Brauchtum zwischen den zehn Stämmen des israelitischen Nordreichs und den beiden Stämmen des Südreichs Juda und Benjamin. In dieser Zeit entstehen das jahwistische und elohistische Geschichtswerk, die keinen besonderen religiösen Wert der Beschneidung kennen.

      In den Jahren 597 und 587 v. Chr. nimmt Nebukadnezar die Stadt Jerusalem ein, zerstört den Tempel und führt die Oberschicht Judas in das babylonische Exil. Die Theologen Israels fragen, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte, und entwickeln zwei völlig konträre Antworten und Konzepte:

      1. Die Priester, die die Priesterschrift verfassen, sagen: Das Volk hat die kultischen Tempelgebote nicht ausreichend befolgt. Darum schickte Gott die Katastrophe. Die Priester entwickeln daher neue kultische Gesetze, mit denen sich die Israeliten selbst im Exil noch von den Babyloniern durch äußere Zeichen unterscheiden sollen: die Beschneidung (am 8. Tag und aller Proselyten), die rituellen Speisegesetze und die strenge Befolgung des Sabbats. Allein darin sehen sie eine Garantie für das Überleben des Volkes. In diesem Konzept ist einzig die Nation wichtig.

      2. Die deuteronomistische Schule und einzelne Propheten wie Jeremia sagen dagegen: Die Ursache für die Katastrophe lag in der mangelnden Ethik und Herzensfrömmigkeit. Sie entwickeln die Lehre von der „Beschneidung des Herzens“. Die äußerlichen Dinge geben keine Sicherheit. In diesem Konzept wird der einzelne Mensch wichtig und sein Freisein für Gott und seine Nächsten.

      Als Beispiel für die erste Sichtweise zitiere ich Genesis 17, 13-14:
      "Beschnitten soll werden alles Gesinde, was dir im Hause geboren oder was gekauft ist. Und so soll mein Bund an eurem Fleisch zu einem ewigen Bund werden. Wenn aber ein Männlicher nicht beschnitten wird an der Vorhaut, wird er ausgerottet werden aus seinem Volk, weil er meinen Bund gebrochen hat."

      Als Beispiel für die zweite Sichtweise zitiere ich Jeremia 9, 24-25:
      „Siehe es kommt die Zeit, dass ich heimsuchen werde alle, die an der Vorhaut beschnitten sind, nämlich Ägypten, Juda, Edom, die Ammoniter, Moab und alle, die das Haar rundherum abscheren, die in der Wüste wohnen. Denn alle Heiden sind nur an der Vorhaut unbeschnitten, aber ganz Israel hat ein unbeschnittenes Herz.“

      Diese beiden Rettungskonzepte (das kultische und das ethische) liegen über Jahrhunderte im Streit, auch in der Zeit des Zweiten Tempels. Unter hellenistischem Einfluss verzichten im 2. Jahrhundert v. Chr. immer mehr Juden gänzlich auf die Beschneidung. Der Hohepriester Jason errichtet im Jahr 175 v. Chr. ein Gymnasium direkt neben dem Tempel in Jerusalem. Bei öffentlichen Wettkämpfen treten jüdische Athleten nackt mit wieder hergestellten Vorhäuten auf (1. Makk. 1,15f). Babys werden erst gar nicht mehr beschnitten. Der griechische Herrscher Antiochus IV. Epiphanes verbietet die Beschneidung unter Androhung der Todesstrafe. Hiergegen erheben sich die Radikalreligiösen in den langen Makkabäer-Aufständen (165 - 63 v. Chr.):

      „Danach zogen Mattatias und seine Freunde im Lande Israel umher und beschnitten mit Gewalt die Kinder, die sie noch unbeschnitten fanden, und verfolgten die Partei der Abtrünnigen.“ (1. Makk. 2,45)


      Damit endet die Zeit des Alten Testaments

      Nachdem der römische Kaiser Hadrian (reg. 117-138 n.Chr.) die Beschneidung erneut verboten und der Aufstand des jüdischen Messias Bar Kochba im Jahr 135 gescheitert war, verschärften die Rabbinen die ursprüngliche Teil- zu einer Ganzbeschneidung der Vorhaut mit Mila und Peria.

      Wie steht das Neue Testament der Christen zu den alten Bundesschlüssen und zur Beschneidung?

      Einzig wegen der Frage der Beschneidung wurde zwischen 44 und 49 n. Chr. ein Apostelkonzil in Jerusalem einberufen (Apg. 15 und Gal. 2). Die Beschneidung wird aufgehoben. Der für die ganze Menschheit geschlossene Noah-Bund („Kein Blutvergießen“) wird anerkannt.

      Abraham wurde durch seinen Glauben, nicht durch seine Werke gerecht und ein "Vater des Glaubens". Gott kann dem Abraham auch aus Steinen Kinder erwecken. Das mosaische Gesetz, das kein Mensch je ganz halten kann, wurde durch Jesus erfüllt. Das messianische Reich des Königs David wurde durch seinen Abkömmling Jesus Christus wiederhergestellt. Das Reich Gottes ist durch den „Glauben, der in der Liebe tätig ist“ in den Herzen und mitten in dieser Welt wirksam. Wobei der Geist Gottes weht, wo er will, und beruft, wen er will.

      Zur Beschneidung gibt es in der frühchristlichen Überlieferung noch ein interessantes Jesus-Wort im apokryphen Thomas-Evangelium, entstanden m. E. ca. 90-100 n. Chr. (außerhalb des Neuen Testaments):

      Es sprachen zu ihm seine Jünger: „Ist die Beschneidung von Nutzen oder nicht?“ Er sprach zu ihnen: „Wenn sie von Nutzen wäre, würde sie ihr Vater beschnitten aus ihrer Mutter zeugen. Jedoch die wahre Beschneidung im Geist hat alles gewonnen.“
      (ThEv 53 in der Übersetzung von Elaine Pagels, Das Geheimnis des fünften Evangeliums)
    • Vielen Dank Benni für deine weitere Zusammenfassung.

      Ich halte die wissenschaftlich historische Betrachtung der Beschneidungstradition neben der wissenschaftlich medizinischen und der rechtlichen für ganz wesentlich.
      Art. 2 GG:
      (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Geschuldet der deutschen Vergangenheitsbewältigung gilt dieses Grundrecht ausdrücklich nicht, wenn die Person a) ein Kind und b) männlich ist, c) die Eltern entweder jüdischen oder muslimischen Glaubens sind und d) das kindliche Genital das Ziel der Versehrtheit ist.
    • Benni schrieb:

      @NoCut: Wahrscheinlich habe ich mich nicht ganz verständlich ausgedrückt. Darum versuche ich, meinen biblischen Befund noch einmal anders aufzuzäumen:
      @ Benni
      Auch von mir nochmals vielen Dank.

      Wenn ich es jetzt hoffentlich ganz richtig verstanden habe, erkannte man damals, dass die Religionsgemeinschaften vor Gott in Ungnade gefallen waren und die eine Gruppe wollte durch heidnisch anmutende Rituale Gott besänftigen und die andere versuchte es mit aufrechtem Glauben.

      Auf die heutige Sicht betrachtet, scheint die erste Gruppe sich durchgesetzt zu haben. In Bezug auf die anderen Religionen (Islam und Christentum) sehe bei großzügiger Betrachtung die gleiche Fehlentwicklung.

      Vielleicht wäre es eine Lösung, wenn man die Beschneidungen gegen der Verkauf von Ablassbriefen ersetzt?! Ich frage mich immer wieder, warum gerade im religiösen Bereich der schlichte Aberglaube derartige Blüten treiben kann.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)
    • Benni schrieb:

      Religions- und Kirchenfunktionäre haben den Beschneidungskritikern einen „erschreckenden religiösen Analphabetismus“ vorgeworfen. Die Schriftgelehrten zitierten immer und immer wieder eine Bibelstelle (Gen. 17,10-12a) und ließen dabei geschickt alle weiteren Zusammenhänge außen vor. In Wirklichkeit ist der biblische Befund jedoch recht komplex und durchaus widersprüchlich. Ich beschränke mich hier auf die Hebräische Bibel (AltesTestament). Im Neuen Testament ist die Vorhaut-Beschneidung für Christen ohnehin überwunden.

      Schon seit Jahrhunderten ist ernsthaften Bibellesern und –forschern aufgefallen, dass die Fünf Bücher Mose (Pentateuch, Tora) nicht aus einem Guß sind, sondern sehr unterschiedliche Traditionen enthalten. Man geht daher von mindestens vier Quellenschriften aus, die später zusammengefügt und redaktionell überarbeitet wurden.

      Stark verkürzt hier die wichtigsten Befunde zum Thema (wobei ich mich im Einzelnen irren kann). Mein bescheidener Beitrag zur biblisch-religiösen Alphabetisierung:

      Einzig die Priesterschrift (P) als die jüngste der Pentateuch-Quellen führt die Beschneidung in die allerälteste Zeit auf den Stammvater Abraham zurück. Der habe sich selbst mit 99 Jahren und seinen Sohn Ismael mit 13 Jahren an der Vorhaut beschnitten und dadurch einen Bund mit Gott geschlossen (Gen. 17). Einzig diese Priesterschrift ordnet eine Beschneidung der männlichen Nachkommen am 8. Tag an und erzählt von der Beschneidung Isaaks (Gen. 21,4). Daneben befiehlt P auch die Beschneidung aller Sklaven und Arbeitnehmer, was jedoch wohl nicht immer befolgt wurde und m. W. auch heute von niemandem befolgt wird. Nach Hes. 44,7f leisteten Unbeschnittene sogar im Tempel Dienst. P befiehlt, dass "alles Männliche" und "jedes Knäblein, wenn's acht Tage alt ist" beschnitten werden soll. (Doch selbst der frömmste Jude hält das nicht ein und beschneidet z. B. ein Frühgeborenes oder einen Bluter nicht.) In geradezu terroristischer Weise, ohne Wenn und Aber kündigt P die Ausrottung eines jeden Männlichen aus seinem Volk an, der nicht an seiner Vorhaut beschnitten wird (Gen. 17,14).

      Das ältere elohistische Geschichtswerk (E) legt den thematisch-ethischen Schwerpunkt nicht auf die Beschneidung, sondern auf die Geschichte von der letztlich nicht erfolgten Opferung Isaaks, die Gott im letzten Moment verhinderte und durch ein Tieropfer ersetzte (Gen. 22). Durch den Glaubensgehorsam Abrahams und Isaaks wird hier der Bund mit Gott begründet.

      Auch in dem älteren jahwistischen Geschichtswerk (J) schließt Gott mit Abraham einen Bund ohne Beschneidung (Gen. 15,18 ). Der Gesetzgeber Mose selbst war nicht beschnitten. In einer sehr archaischen, dunklen Erzählung beschneidet dessen midianitische Frau Zippora auf dem Weg nach Ägypten ihren schon älteren Sohn Gerschom, nicht aber ihren Ehemann Mose und nennt ihn in diesem Zusammenhang „Blutbräutigam“ (Ex. 4,24 f).

      Ein Vergleich der hebräisch-semitischen Wörter „Chatan“ (Bräutigam, frisch Beschnittener), „Choten“ (Schwiegervater, Beschneider) und „Chitan“ (Schnitt) legt nahe, dass es sich ursprünglich um einen Mannbarkeits- und Hochzeitsritus handelte, der also keine unmündigen Kinder betraf.

      In einer weiteren Variante führt das jahwistische Geschichtswerk (J 1) die Beschneidung auf Josua (den Nachfolger des Mose) zurück, der die Israeliten kurz vor der Eroberung des gelobten Landes beschnitt (Jos. 5,2ff). Inhaltlich ist dieser Bericht insofern fragwürdig, als er selbst von der postoperativen Kampfunfähigkeit des ganzen Volkes vor den unmittelbar bevorstehenden Kriegshandlungen weiß (Jos. 5,8 ). Von der Beschneidung der Gegner als Kriegslist erzählen E und J auch vorher schon bei der Brautwerbung eines fremden Prinzen für Dina und der dann folgenden hinterhältigen Ermordung aller frischbeschnittenen Einwohner Sichems durch die Israeliten (Gen. 34).

      Im Mose- oder Sinaibund stehen die 10 Gebote nach E und J in Exodus 20 eindeutig vor und über jedweder Vorhautbeschneidung. Mose empfing die Tafeln des Bundes als Unbeschnittener! (Das sollte man sich immer wieder vor Augen halten.)

      Im Deuteronomium als einer weiteren Quellenschrift der Tora wird einzig die ethisch-symbolisch zu verstehende Beschneidung der Herzen gefordert (Dt. 10,16; 30,6). Diese stellt den wahren Bund Gottes mit seinem Volk dar.

      Der Prophet Jeremia fordert ebenfalls die ethische Beschneidung der Herzen (Jer. 4,4) und sieht darin den erhofften neuen Bund (Jer. 31,31).

      Hallo Benni, hast Du diese Zusammenstellung selbst verfasst oder gibt es dazu auch noch weiterführende Literatur?
      Gruß
      Hickhack
    • Das Greuel der vollständigen Bloßlegung der GlanS ist eine Hemtückische Verschärfung der Prozedur, um Restorationsversuche unmöglich zu machen.
      Milah vs Periah
      Regelrechte "Zirkumzision" von Babys ist gerade erst mal 1870 Jahre alt.
      Vorher wurde nur das beim Baby FASSBARE (Acroposthion) BE-schnitten.
      Ich haue der Rabbinischen "P"riesterschaft deren "Jahrtausende alte Tradition" um die Roten Ohren.
      Die hier Aktiven Gelehrten Herren, darf ich bitten, in deren Original.-Ressourcen zu kramen, und rauszusuchen, nämlich die beste Übersetzung für das ursprünglichste Wort, auf Hebräisch, Griechisch, wie auch immer welches mit BE-Schneidung übersetzt wird.
      Da wird herauskommen: "Beim besten Willen ist es nicht als CIRCUM-cision als Rundherumschnippeln interpretierbar.
      Und das gehört den Herren von der Rabbinischen "P"riesterschaft ins Gesicht gesagt, vor allem Herrn Graumann ZDJ, und diesem Unsäglichen Herrn Ehrenberg mit seiner Unsäglichen "Geschenk"-Begrifflichkeit.
      Aber was rege ich mich auf: Se MÜSSEN das schon wissen. Da aber die Idee, das Konzept, die Zweck-Bestimmung von Genital-Reduktiv Chirurgie auf Lüge beruht (deren eigene Religion ist) deshalb TUN se so als wüssten se nicht.
      Die von Benni geschilderte Evolution des PentaTeuch/Torah/AltesTestament, als ein evolviertes Patchwork, nennt sich übrigens Dokumentarische Hypothese. Man findet praktisch nur auf ENGLISCH was dazu.
      Documentary Hypothesis ( "J""E""P""D")
      Ressource: Links zum Thema "Beschneidung"
      pastebin.com/KLQ6UBff
      Noch ne tolle Übersicht - auf Deutsch
      Zottelhexe