Mein Vorschlag für das Unwort des Jahres 2012: Vulgärrationalismus

    • Mein Vorschlag für das Unwort des Jahres 2012: Vulgärrationalismus

      Meine Hoffnung, dass es wirklich als Unwort des Jahres gewählt wird, ist zwar sehr begrenzt, aber die Diskussion muss auf jeden Fall weitergehen.

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      Sehr geehrte Damen und Herren,

      mein Vorschlag für das Unwort des Jahres lautet : Vulgärrationalismus

      Vorkommen:
      Der Begriff wurde im Wesentlichen in der Debatte um die Beschneidungen
      von männlichen Kindern gebraucht, ausgelöst durch ein Urteil des Kölner
      Landgerichts.

      Bekannt wurde er durch einen Artikel von Navid Kermani "Triumph des
      Vulgärrationalismus" im Juni 2012

      Debatte über Beschneidungen - Triumph des Vulgärrationalismus - Kultur - Süddeutsche.de

      Zitat:
      "Der Vulgärrationalismus hingegen, der sich im Urteil des Kölner
      Landgerichts ausdrückt, setzt den eigenen, also heutigen Verstand absolut."

      In der Folgezeit wurde das Wort in dieser Debatte häufig aufgegriffen,
      an höchster Stelle von Bundespräsident Gauck (02.12.2012):

      Beschneidungsdebatte: Gauck rgt "Vulgrrationalismus" - SPIEGEL ONLINE

      Beschneidungsdebatte: Gauck warnt vor "Vulgärrationalismus"

      Zitat:
      "Da haben sich echte, aufgeklärte Sorge um Kindeswohl und körperliche
      Unversehrtheit bei einigen gelegentlich mit einem Vulgärrationalismus
      gemischt, in dem auch antisemitische und antimuslimische Einstellungen
      sichtbar wurden", betonte das Staatsoberhaupt. "Das ist schlimm."



      Begründung:
      Der Begriff "Vulgärrationalismus" diffamiert rationales Denken,
      insbesondere, wenn damit Gerichtsentscheidungen kritisiert werden.

      Gerichte sind zu rationalem Denken verpflichtet, sie sollen ihre
      Entscheidungen unabhängig von Machtverhältnissen und politischen
      Opportunitäten fällen. Anders ist ihnen der Schutz der Menschenwürde und
      der Grundrechte als Basis der Menschenwürde nicht möglich.

      Die Beschneidungsdebatte ist vermutlich die am heftigsten und
      emotionalsten geführte Debatte des Jahres 2012. Im Gegensatz zu den
      meisten anderen Debatten sind die Argumentationsweisen von Gegnern und
      Befürwortern sehr asymmetrisch. Deshalb geht es bei der Debatte nicht
      nur um Kindeswohl und Tradition, sondern auch um unterschiedliche
      Denkweisen.

      Die Gegner der frühkindlichen Beschneidung argumentieren wie das Kölner
      Landgericht selbst mit wenigen, aber kaum zu widerlegenden Argumenten,
      dass sie mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit unvereinbar
      ist. Diese Argumentationsweise ist rational zu nennen, das Denken geht
      von Tatsachen, Prinzipien und Werten aus, und kommt schlußfolgernd
      daraus zu einem Ergebnis, es ist also ein vorwärts gerichtetes Denken.

      Das Denken der Beschneidungsbefürworter dagegen geht vom gewünschten
      oder erzwungenen Ergebnis aus (Die Beschneidungen müssen erlaubt sein)
      und sucht nach Gedanken und rethorischen Mitteln, die zu diesem Ergebnis
      führen. Die Richtung ist also umgekehrt zum schlußfolgernden Denken, es
      ist ein rückwärts gerichtetes Denken.

      Es geht aus von einer Macht, die nur ein Ergebnis duldet. Im Falle der
      Beschneidungsdebatte von einer kollektiven Macht der Gewohnheit, einer
      Tradition. Die Befürworter sind entweder in diese Tradition eingebunden
      oder sie scheuen den Konflikt mit ihr, fürchten sich beispielsweise, als
      Antisemit in Verruf zu geraten. Wenn nun die Rationalität gegen die
      Macht spricht, bleibt ihnen nur das Rückwärtsdenken, ein ganzes Arsenal
      an rethorischen Tricks: Von Ablenkungen und Verdrehungen, über
      massenweise eingesetzte Scheinargumente bis hin zur Diffamierung dessen,
      worauf sich die Rationalität beruft.

      Das geht soweit, dass nicht nur Prinzipien und Werte wie die Körperliche
      Unversehrtheit angegriffen und diffamiert werden, sondern sogar die
      Prinzipien der Rationalität selbst.

      Die Verabschiedung des Beschneidungserlaubnisgesetzes mit großer
      Mehrheit im Bundestag zeigt, dass es keineswegs einen "Triumph des
      Vulgärrationalismus" gegeben hat, sondern einen Triumph des sicherlich
      nicht weniger vulgären Antirationalismus bzw der Macht der Gewohnheit.

      Das rationale Denken, das die Menschenwürde zu schützen hat, ist selbst
      schutzbedürftig geworden. Die Wahl von "Vulgärrationalismus" zum Unwort
      des Jahres 2012 wäre in kleiner Beitrag dazu.

      Erwachsen sein ist heilbar !
    • Vielen Dank!
      Mindestens genauso schlimm finde ich allerdings die Bezeichnung "Komikernation" von Angela Merkel.
      Meine Bundeskanzlerin meint, mich als "Komiker" beleidigen zu müssen, weil ich das grundgesetzlich garantierte Recht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit verteidige.