Dr. Joachim Pfeiffer

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    • Dr. Joachim Pfeiffer

      Sehr geehrter Herr ******,

      vielen Dank für Ihre E-Mail vom 4. Oktober zur Zulässigkeit der Beschneidung von minderjährigen Jungen. Sie wenden sich strikt gegen die Absicht des Deutschen Bundestages, eine solche Beschneidung auf gesetzlicher Grundlage auch künftig zuzulassen.

      Kaum ein anderes Thema wird derzeit in der Öffentlichkeit so breit und so kontrovers diskutiert. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, mit dem wohl erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Strafgericht die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverletzung wertete. Es handelt sich zwar um die Entscheidung eines Einzelfalls, die keine Bindungswirkung für andere Gerichte hat. Dennoch hat das rechtskräftige Urteil die jüdische und muslimische Gemeinschaft in Deutschland tief verunsichert. Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen möchten und Ärzte, die die Beschneidungen vornehmen sollen, befürchten nun, dass sie sich damit strafbar machen könnten.

      Für das religiöse Selbstverständnis von Juden und Muslimen ist die Beschneidung von Jungen jedoch von grundlegender Bedeutung. Sie fühlen sich durch das Urteil ausgegrenzt und fürchten ganz generell um die soziale Akzeptanz ihres religiösen Lebens in Deutschland.

      Die Frage nach der Zulässigkeit der Beschneidung muss deshalb geklärt werden. Eine Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht, welche die Gerichte bundesweit binden würde, ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Es ist daher Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob die religiös motivierte Beschneidung von Jungen trotz verständlicher Einwände mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

      Der Deutsche Bundestag hat deshalb am 19. Juli 2012 in einem fraktionsübergreifenden Beschluss die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Pflege und Erziehung miteinander in Einklang bringt. Der Gesetzentwurf soll für alle Beteiligten Rechtssicherheit schaffen und sicherstellen, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich rechtlich zulässig ist. Der Textentwurf für einen neuen Paragrafen 1631d BGB liegt seit Anfang der Woche vor. Er soll in der kommenden Woche vom Bundeskabinett verabschiedet und danach in den Bundestag zur Beratung eingebracht werden.

      Diese Entscheidung haben wir uns nicht leicht gemacht. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stand und steht dabei stets das Wohl des Kindes. Dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Grundrechte der Eltern auf Kindeserziehung und Religionsausübungsfreiheit sind im Sinne des Kindeswohls angemessen auszugleichen.

      Schon das Landgericht Köln selbst hat in seiner Entscheidung betont, dass die Frage nach der Rechtswidrigkeit der Beschneidung von Jungen „nicht unvertretbar“ auch anders beantwortet werden kann, als das Gericht dies getan hat.

      In nahezu allen Ländern der Welt und insbesondere auch in unserem Kulturraum wird diese Frage anders beantwortet. Dort ist die Beschneidung minderjähriger Jungen erlaubt. Auch in Deutschland hat das Amtsgericht Köln als Vorinstanz und haben Zivil- und Verwaltungsgerichte anders geurteilt. So hat etwa das Oberverwaltungsgericht Lüneburg einen Anspruch muslimischer Eltern gegen den Sozialhilfeträger auf Übernahme der medizinischen Kosten der Beschneidung ihres Sohnes bejaht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 23.07.2002). Das OVG hat damit zugleich die Rechtmäßigkeit der Beschneidung bestätigt.

      Die Beschneidung von Jungen ist als Eingriff in die körperliche Integrität irreversibel und natürlich keine Bagatelle. Mit der Verstümmelung der Genitalien von Mädchen und Frauen, die zweifellos strafbar ist und mit strengen Sanktionen geahndet werden muss, ist die teilweise oder ganze Entfernung der Vorhaut bei Jungen aber nicht vergleichbar. Sicherlich ist Ihnen bekannt, dass die Weltgesundheitsorganisation den Eingriff bei Männern zumindest regional als eine medizinisch und hygienisch sinnvolle Vorsorgemaßnahme sogar empfiehlt, z.B. um die HIV-Infektionsrate zu senken. Schätzungen zufolge ist etwa ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung beschnitten. Die Beschneidung von Jungen gilt als der weltweit am häufigsten durchgeführte kinderchirurgische Eingriff; insbesondere in den USA wird er zur Förderung der Gesundheit häufig vorgenommen.

      Wir sind der Auffassung, dass Eltern all dies berücksichtigen dürfen, wenn sie entscheiden, ob eine Beschneidung dem Wohl ihres Sohnes dient. Denn es sind die Eltern, die – in den Grenzen unserer Rechtsordnung – den Inhalt des Kindeswohls festlegen. Sie dürfen sich bei Entscheidungen zur Gesundheit ihres Kindes auch von religiösen Motiven leiten lassen, solange die Behandlung bzw. der Eingriff nach allgemeinen Maßstäben medizinisch vertretbar ist. Das Recht von Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen, ist grundgesetzlich geschützt. Und die Beschneidung von Jungen ist, gerade auch mit Blick auf die Situation über Deutschland hinaus, medizinisch vertretbar, wenn sie fachgerecht und ohne unnötige Schmerzen für das Kind durchgeführt wird.

      Die Beschneidung von Jungen mit Einwilligung ihrer Eltern soll daher auch künftig zulässig sein, wenn gewährleistet ist, dass dabei alle modernen medizinischen Standards eingehalten werden. Jüdisches und muslimisches religiöses Leben muss weiterhin in Deutschland möglich sein. Jüdische und muslimische Eltern sollen nicht gezwungen sein, ihre Söhne bei unseren Nachbarn im europäischen Ausland oder in Hinterzimmern von Laien beschneiden zu lassen. Das wollen wir sicherstellen, indem wir die weltweit akzeptierte Beschneidung minderjähriger Jungen verfassungskonform regeln.

      Gerne höre ich dazu nochmals Ihre Meinung, sehr geehrter Herr ******. Damit Sie künftig regelmäßig über meine Arbeit unterrichtet sind, habe ich mir erlaubt, Sie in meinen E-Mail-Verteiler für gelegentliche Einladungen und die sog. Pfeiffer-Post aufzunehmen, die alle ein bis zwei Wochen die aktuellen politischen Geschehnisse auf zwei Seiten zusammenfasst. Sollten Sie den Newsletter nicht wünschen, genügt eine kurze Nachricht.

      Mit freundlichen Grüßen

      Dr. Joachim Pfeiffer MdB
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      Deutscher Bundestag
      Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion


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    • Gerhard schrieb:

      Das wollen wir sicherstellen, indem wir die weltweit akzeptierte Beschneidung minderjähriger Jungen verfassungskonform regeln.
      Ist der Lustig. Nicht die Beschneidung wird "verfassungskonform geregelt". Die Verfassung wird gerade beschneidungskonform gemacht, ja geradezu vergewaltigt.
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Vielleicht sollten wir ab sofort die Schreiben von männlichen Abgeordneten, die sich für den Regierungsentwurf aussprechen, fragen, ob sie beschnitten seien und wenn nein, ob sie es tun machen lassen würden. Falls nicht, warum nicht? 8| :?:
      Aufrichtig zu sein kann ich versprechen, unparteiisch zu sein aber nicht. (JWvG)
      Auch für die Religionsfreiheit gilt: "Freiheit ist immer nur die Freiheit des anders Denkenden." (R.Luxemburg)
    • R(h)einwein schrieb:

      und wenn nein, ob sie es tun machen lassen würden.
      und falls nicht, warum doch? Denn es ist ja so gut!
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
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      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • die neuste Textbausteinsammlung von Herrn Pfeiffer, inkl. Beschneidung ...
      "um die HIV-Infektionsrate zu senken"...
      "Jüdisches und muslimisches religiöses Leben muss weiterhin in Deutschland möglich sein"
      "im europäischen Ausland oder in Hinterzimmern von Laien"

      naja, da braucht er sich nicht zu beunruhigen. Das ist demnächst auch in D möglich...
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Immer wieder unglaublich

      ""Jüdische und muslimische Eltern sollen nicht gezwungen sein, ihre Söhne bei unseren Nachbarn im europäischen Ausland oder in Hinterzimmern von Laien beschneiden zu lassen.

      Deutlicher kann man es ja nicht schreiben. "GEZWUNGEN SEIN" ! WER zwingt diese Menschen, ihren Söhnen die Vorhaut zu amputieren? WER? Ein Buch? Eine Erscheinung? So etwas gilt in einem Rechtsstaat als ZWANG???
      Als akzeptierter ZWANG, bei einem Gesetz, das genitale Selbstbestimmung sicherstellt, seine Kinder Folter auszusetzen? Dafür hat Herr Pfeifer also geradezu Verständnis, weil die armen Eltern dann ja nicht anders könnten???
      Die ticken alle nicht mehr richtig.
      GEZWUNGEN werden hier nur die KINDER!!!

      Ein konstruierter, keiner nüchterner Betrachtung standhaltender Zusammenhang ZWINGT dann also Herrn Pfeifer zu einer Abschaffung von Grundrecht?
    • Von Evidentist

      Dazu ist einiges zu sagen. Aber zunächst sei vor allem darauf hingewiesen, dass die orthodox-religiöse jüdische Zeremonie schon jetzt zumeist nicht weit vom Hinterhof, nämlich zu Hause oder in der Synagoge stattfindet. Auch wenn es dort hygienischer zugeht als im skizzierten Szenario, eine dem Stand der medizinischen Versorgung angemessene Narkose ist dort tatsächlich nicht möglich, weil erstens der Mohel kein Anästhesist ist (und eventuell die Betäubung aus religiösen Gründen sogar ablehnt) und sie zweitens für Säuglinge außerhalb einer Klinik viel zu gefährlich wäre.
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)