In meinem Beitrag möchte ich versuchen, einmal das Problem von einer anderen Seite aus zu beleleuchten. Zuerst einmal möchte ich darlegen, dass ich mich klar für die genitale Unversehrtheit für Kinder, Babys und auch Erwachsene einsetze. Allerdings treffen hier zwei mächtige Bereiche zusammen, nämlich das Gesetz auf der einen Seite, und Religion auf der anderen Seite. Die meisten Leute erwarten sich Schutz durch das Gesetz, aber wenn viele Menschen einer anderen religiösen Ansicht sind, und deshalb trotzdem praktizieren, kann das Gesetz keinen ausreichenden Schutz bieten. Es wurde bereits im Urteil erwähnt, dass von Seiten der Religionsgemeinschaft mit einer Nicht-Aufnahme oder einem Ausschluss gedroht wurde. Auch wenn kein formeller Ausschluss im Islam vorgesehen ist, so erzeugen doch die Verwandten und andere Angehörige der Religionsgemeinschaft starken psychischen Druck auf die Eltern, der diese zum Handeln zwingt. Angenommen, die Eltern wären anfangs stark genug, und würden die von der Religionsgemeinschaft auferlegte Beschneidung bei ihrem Kind nicht durchführen lassen, so werden zuerst die nahen Angehörigen mit dem Finger auf die Eltern zeigen, sie ständig ermahnen und Druck erzeugen, und irgendwann zieht dies immer weitreichendere Kreise. Mir sind Fälle bekannt, in denen sich intakte Jugendliche eine Beschneidung wünschen, egal ob diese einer Religionsgemeinschaft angehören oder nicht. Dahinter steht der unausgesprochene psychische Wunsch, auch dazugehören zu wollen, gleich sein zu wollen, und sich nicht ausgeschlossen zu fühlen. Wenn es so weit geht, dass sich intakte Jugendliche in ihrer Gesellschaft schlecht fühlen, und Eltern diese Problematik bewusst ist, dann kann man ihnen keine bösen Absichten unterstellen. Man muss sich daher fragen, ob man durch Gesetz und Gericht eine Beschneidung wirklich verhindern kann, um die genitale Unversehrtheit erreichen zu können. Angenommen, das Urteil hätte dem Beschneider die erwähnte Strafe von 3000 Euro auferlegt, dann bin ich mir sicher, dass dadurch zukünftig keine einzige Beschneidung weniger stattfinden würde. Andere Eltern würden zukünftig in Kauf nehmen, dass die Beschneidung bei Problemen halt zusätzlich 3000 Euro Strafe kosten wird. Manche Eltern würden das Kind in einen Urlaub mitnehmen, und die Beschneidung ausser Landes durchführen lassen, um solchen Strafen zu entgehen. Ein strenges Gesetz oder Urteil kann sicher dazu beitragen, dass beschneidungswütige Ärzte im Krankenhaus sich etwas mehr zurück halten, damit diese nicht mehr voreilig oder aus Geldgründen eine behandlungsbedürftige Phimose diagnostizieren. Aber bei religiösen Beschneidungen sehe ich das Problem seitens der Mitglieder der Religionsgemeinschaft, die dieses Ritual übernehmen, praktizieren und nicht hinterfragen. Man müsste daher hier ansetzen, wenn man eine Veränderung herbeiführen will, und zeigen sich dann psychologische und vor allem soziologische Fragestellungen. Aber wie kann man denn ganze Religionsgemeinschaften von der Nicht-Notwendigkeit überzeugen?
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