Städtisches Klinikum Karlsruhe verbreitet Fehlinformation zur Phimose und veraltete Altersgrenzen „Spätestens bis zum Schuleintritt“

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    • Städtisches Klinikum Karlsruhe verbreitet Fehlinformation zur Phimose und veraltete Altersgrenzen „Spätestens bis zum Schuleintritt“

      Das habe ich heute durch Zufall entdeckt. Die Webseite der Urologischen Klinik des Städtischen Klinikums Kalrsruhe veröffentlicht einen kurzen Text zur Vorhautverengung, der veraltete Altersgrenzen zur Vorhautentwicklung verbreitet und im Gegensatz zu den Leitlinien zur Phimose unter anderem der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) steht.

      Städtisches Klinikum Karlsruhe (Urologische Klinik): schrieb:

      Phimose-Vorhautverengung
      Bei ca. 80 Prozent aller Neugeborenen kann die Vorhaut noch nicht hinter die Eichel gestreift werden. Im Laufe der Zeit kommt es zu einer Lösung der Vorhaut von der Eichel, so dass im Schulalter nur noch ca. 2 Prozent der Jungen eine Phimose haben.

      Eine Vorhautverengung kann Ursache für eine lokale Infektion sein. In seltenen Fällen kann die Phimose derart ausgeprägt sein, dass es beim Wasserlassen zu einer Ballonierung oder gar zu einem Harnverhalt kommen kann. Unter bestimmten Umständen kann eine Behandlung mit einer schwach kortisonhaltigen Salbe versucht werden. Hochgradige bzw. narbige Vorhautengen werden durch eine ambulant durchgeführte Operation korrigiert (Beschneidung). Als Komplikationen einer Phimose können Entzündungen (Balanitis) oder eine Paraphimose auftreten. Hierbei kann die Vorhaut nach Zurückziehen hinter die Eichel nicht mehr über die Eichel nach vorne geschoben werden. Beide Krankheitsbilder müssen notfallmäßig behandelt werden!
      Spätestens bis zum Schuleintritt sollte jedes Vorhautproblem gelöst sein!

      Die Darstellung der Vorhautentwicklung in diesem Text, die diese bereits im Schulalter für abgeschlossen erklärt, ist einfach komplett falsch und veraltet: Sie steht im völligen Gegensatz zu allen Primärstudien zur natürlichen Entwicklung der Vorhaut der letzten Jahre, denenzufolge die Auflösung der physiologischen Phimose und Entwicklung zur vollen Zurückziehbarkeit bis weit ins Pubertätsalter andauern kann (1-7), als auch im Gegensatz zu den Leitlinien.

      Erstens liegt schon der Anteil der Neugeborenen mit einer nicht-zurückziehbaren Vorhaut eher bei 100% als bei nur 80%. Darüber hinaus ist mit Beginn des Schulalters (also ab dem 6. Lebensjahr) nicht bloß bei 2 Prozent sondern bei der Mehrheit der Jungen die Vorhaut entwicklungsbedingt noch immer nicht voll zurückziehbar.

      Laut der unter anderem auch von der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) verantworteten Leitlinie zur Phimose bei Kindern und Jugendlichen können im Alter von 7 Jahren erst rund 50% der Jungendas Präputium wenigstens weitgehend zurückstreifen“.

      Mit der wahnwitzigen Behauptung „Spätestens bis zum Schuleintritt sollte jedes Vorhautproblem gelöst sein“ suggeriert der Text entgegen der Studienlage also, dass gesunde, beschwerdefreien Jungen mit einer entwicklungsbedingt nicht-zurückziehbaren Vorhaut („physiologische Phimose“) einer Behandlung unterzogen werden müssten – und das in einem Alter, in dem dieser Zustand noch bei der Mehrheit der Jungen besteht.

      Diese falsche „bis zum Schulalter“-Altersgrenze hat natürlich eine Hintergrund: Sie geht wie auch ähnliche Alteragrenzen auf eine mittlerweile über 70 Jahre alte Arbeit des britischen Kinderarztes Douglas Gairdner aus dem Jahr 1949 zurück.(8) Gairdner gab ab, dass 90% der 3-jährigen und etwa 95% der 5-jährigen Knaben eine voll zurückziehbare Vorhaut hätten. Gairdners Ergebnisse wurde allerdings von allen seit 1968 publizierten Studien zur Entwicklung der Vorhaut-Zurückziehbarkeit widerlegt.(1-7) Bei den von Gairdner untersuchten Jungen, war die Vorhaut teilweise schon gedehnt worden, was möglicherweise erklärt, warum es sich bei Gairdners Werten um einen Ausreißer handelt.


      Auch die erwähnte Ballonierung der Vorhaut beim Wasserlassen in Verbindung mit einer physiologischen Phimose wird in der internationalen Fachliteratur als harmlose, physiologisches Entwicklungsphänomen beschrieben.(9-15) Eine Studie aus England von Babu et al., die das Phänomen der Ballonierung ausführlich untersuchte, konnte keine damit einhergehende Beeinträchtigung der Blasenentleerung feststellen.(15)


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      Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, wie lange dieser Text schon online ist. Vielleicht steht er schon länger im Netz und wurde seitdem nicht mehr aktualisiert. Ich kann nur hoffen, dass er nicht die aktuelle Behandlungspraxis wiederspiegelt.Er ist jedenfalls nicht mehr mit den letzt-veröffentlichen medizinischen Leitlinien oder der internationalen Fachliteratur in Einklang zu bringen.


      Einzelnachweise und Quellen:
      1. Øster J. Further fate of the foreskin: incidence of preputial adhesions, phimosis, and smegma among Danish Schoolboys. Arch Dis Child 1968;43:200-3.
      2. Kayaba H, Tamura H, Kitajima S, et al. Analysis of shape and retractability of the prepuce in 603 Japanese boys. J Urol 1996;156(5):1813-5.
      3. Ishikawa E, Kawakita M. [Preputial development in Japanese boys]. Hinyokika Kiyo 2004;50(5):305-8.
      4. Agawal A, Mohta A, Anand RK. Preputial retraction in children. J Indian Assoc Pediatr Surg 2005;10(2):89-91.
      5. Hsieh TF, Chang CH, Chang SS. Foreskin development before adolescence in 2149 schoolboys. Int J Urol. 2006 Jul;13(7):968-70.
      6. Ko MC, Lui CK, Lee WK, et al. Age-specific prevalence rates of phimosis and circumcision in Taiwanese boys. J Formos Med Assoc 2007;106(4):302–7.
      7. Yang C, Liu X, Wei GH. Foreskin development in 10 421 Chinese boys aged 0-18 years. World J Pediatr. 2009 Nov;5(4):312-5.
      8. Gairdner D. The fate of the foreskin: a study of circumcision. Br Med J 1949;2:1433-7.
      9. McGregor TB, Pike JG, Leonard MP. Pathologic and physiologic phimosis. Approach to the phimotic foreskin Can Fam Physician 2007;53:445–448.
      10. Malone P, Steinbrecher H. Medical aspects of male circumcision. BMJ 2007;335(7631):1206–90.
      11. Metcalfe PD, Elyas R. Foreskin management: Survey of Canadian pediatric urologists. Can Fam Physician 2010 Aug;56(8):e290-5
      12. Shahid SK. Phimosis in children. ISRN Urol 2012:707329
      13. Drake T, Rustom J, Davies M. Phimosis in childhood. BMJ 2013;346:f367
      14. Abara EO. Prepuce health and childhood circumcision: Choices in Canada.Can Urol Assoc J 2016 Jan-Feb;11(1-2Suppl1):S55-S62
      15. Babu R, Harrison SK, Hutton KA. Ballooning of the foreskin and physiological phimosis: is there any objective evidence of obstructed voiding? BJU Int 2004;94(3):384-7.

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