Bundesbehörde für gesundheitliche Aufklärung desinformiert in Broschüren über die Phimose und Vorhautentwicklung.

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    • Bundesbehörde für gesundheitliche Aufklärung desinformiert in Broschüren über die Phimose und Vorhautentwicklung.

      Hallo

      Ich bin durch Zufall auf die folgenden Informationsbroschüren der „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)“ gestoßen -
      Über Sexualität reden... Zwischen Einschulung und Pubertät und „Über Sexualität reden... Zwischen Einschulung und Pubertät“.

      Diese Broschüren beschäftigen sich hauptsächlich mit Sexualaufklärung. Es gibt aber auch einen Abschnitt zum Thema Intimhygiene. Doch was dort vermittelt wird, ist schlicht Desinformation über die normale Entwicklung der Vorhaut und die „Phimose“. Die Autoren der Informationsbroschüren scheinen nicht zu wissen, dass es so etwas eine entwicklungsbedingte Vorhautverengung und -verklebung („physiologische Phimose“) gibt. Aber der Reihe nach:


      In der ersten Broschüre, die sich mit Kindern im Grundschulalter befasst, heißt es:

      Über Sexualität reden... Zwischen Einschulung und Pubertät schrieb:

      Für Mädchen wie Jungen ist es wichtig, mit ihren Eltern von klein auf die richtige Intimhygiene einzuüben. Für Jungen bedeutet das: Vorsichtig die Vorhaut zurückziehen und Eichel, Penis (Glied), Hoden, After (Po-Loch) und in der Afterspalte waschen. Warmes Wasser ist dafür ausreichend. Möglicherweise stellt Ihr Sohn dabei fest, dass sich die Vorhaut überhaupt nicht oder nur teilweise über die Eichel ziehen lässt. Dies kann daran liegen, dass Eichel und Vorhaut noch miteinander verklebt sind, die Öffnung der Vorhaut zu eng oder deren Befestigungsbändchen an der Unterseite (Frenulum) zu kurz geraten ist. In diesem Fall sollten Sie eine Fachärztin oder einen Facharzt (Urologin oder Urologe) konsultieren, um eine gesicherte Diagnose zu erhalten und gegebenenfalls eine Behandlung einleiten zu können.

      Und in der zweiten Broschüre, die sich an Eltern mit Kindern in der Pubertät richtet, heißt es dann:

      Infobroschüre: Über Sexualität reden... Die Zeit der Pubertät schrieb:

      Ein wichtiger Teil der gesundheitlichen Vorsorge ist zunächst
      die tägliche Intimpflege. Das bedeutet: Vorsichtig die Vorhaut zurückziehen und mit warmem Wasser Eichel, Schaft des Penis (Glieds), Hoden und After (Po-Loch) waschen. Bei Jungen lässt sich hier bereits feststellen, ob ihre Vorhaut vielleicht zu eng ist (die sogenannte Phimose) oder sich wegen eines zu kurzen Frenulums (Bändchen, mit dem die Vorhaut an der Unterseite der Eichel befestigt ist) nur teilweise oder gar nicht über die Eichel ziehen lässt. (...) Falls Ihr Sohn eine Phimose bei sich feststellt, sollte er sich aus hygienischen Gründen und angesichts der Gefahr eines möglichen Einreißens der
      Vorhaut beim Geschlechtsverkehr an eine Ärztin oder einen Arzt wenden.

      Das ist natürlich gefährlicher Unsinn. Natürlich ist nicht (vollständig) zurückziehbare Vorhaut aufgrund einer Verklebung von Eichel mit der Vorhaut und einer noch zu engen Vorhautöffnung allesamt normal und Teil der natürlichen körperlichen Entwicklung. Diese auch „physiologische Phimose“ bezeichnete Zustand ist bei Jungen im Vorschulalter sogar noch bei der großen Mehrheit der Jungen anzutreffen.

      Kleiner Kurzkurs zur Vorhautentwicklung: Bei der Geburt hat zunächst jeder Junge entwicklungsbedingt eine nicht-zurückziehbare Vorhaut: die Vorhaut ist verengt und mit der Eichel verklebt. Dieser Entwicklungszustand wird daher von manchen medizinischen Autoren auch als „physiologische“ (entwicklungsbedingte) Phimose bezeichnet. Zahlreiche Untersuchungen zur Entwicklung der Vorhaut haben zudem gezeigt, dass dieser Zustand sich mit zunehmender körperlichen Reifung in einem individuell unterschiedlichen Zeitrahmen vom Kleinkindalter bis zum Ende der Pubertät ganz von allein löst.(1-7) Diese physiologische Phimose also ist vollkommen normal, kommt bei jedem Junge eine Zeit seines Lebens vor, ist keine Krankheit und ist für sich allein auch nicht behandlungsbedürftig. Eine legitime Begründung für eine Behandlung besteht ganz grundsätzlich nur dann, wenn die Phimose mit krankhaften Beschwerden einhergeht, oder die Phimose nachträglich durch Vernarbung entstanden ist ("sekundäre Phimose") bedingt durch eine Hautkrankheit namens Lichen sclerosus oder gewaltsame Zurückziehversuche.


      Um einmal Klartext zu sprechen: Die Autoren der Broschüre empfehlen praktisch jeden normalen Jungen zu einem Facharzt für eine sichere Diagnose zu schicken, weil jeder Junge eine gewisse Zeit seines Lebens eine entwicklungsbedingt nicht-zurückziehbare Vorhaut hat!

      Ein zu kurzes Vorhautbändchen kann man bei Jungen mit noch (partiell) bestehender physiologischer Phimose nicht sicher diagnostizieren.

      Auch die geschürte Panik über hygienische Beeinträchtigungen ist unbegründet. Die physiologische Phimose beeinträchtigt die Hygiene nicht. Solange die physiologische Phimose noch besteht, genügt es den Penis von Außen wie ein Finger mit Wasser zu waschen. Wenn der Lösungsprozess bereits begonnen hat, und die Vorhaut bereits ein Stück weit zurückziehbar ist, sollte der Junge beim Duschen die Vorhaut, soweit dies möglich ist, zurückziehen und darunter mit klaren Wasser sanft abspülen.



      Anstatt Eltern darüber aufzuklären, dass eine Vorhautenge im Kindes- und Jugendalter ohne Beschwerden ein normaler Entwicklungszustand ist, der von alleine verschwindet, werden Eltern massiv unnötig verunsichert! Es wird ihnen der Eindruck vermittelt, die Vorhaut müsse praktisch standardmäßig von Geburt an zurückziehbar sein, und andernfalls würde ein Problem bestehen, das medizinischer Behandlung bedürfe. Die falsche Botschaft, die vermittelt wird, lautet: Vorhaut nicht-zurückziehbar = Abnormal =medizinisches Problem.




      Einzelnachweise:
      1. Øster J. Further fate of the foreskin: incidence of preputial adhesions, phimosis, and smegma among Danish Schoolboys. Arch Dis Child 1968;43:200-3.
      2. Kayaba H, Tamura H, Kitajima S, et al. Analysis of shape and retractability of the prepuce in 603 Japanese boys. J Urol 1996;156(5):1813-5.
      3. Ishikawa E, Kawakita M. [Preputial development in Japanese boys]. Hinyokika Kiyo 2004;50(5):305-8.
      4. Agawal A, Mohta A, Anand RK. Preputial retraction in children. J Indian Assoc Pediatr Surg 2005;10(2):89-91.
      5. Hsieh TF, Chang CH, Chang SS. Foreskin development before adolescence in 2149 schoolboys. Int J Urol. 2006 Jul;13(7):968-70.
      6. Ko MC, Lui CK, Lee WK, et al. Age-specific prevalence rates of phimosis and circumcision in Taiwanese boys. J Formos Med Assoc 2007;106(4):302–7.
      7. Yang C, Liu X, Wei GH.Foreskin development in 10 421 Chinese boys aged 0-18 years. World J Pediatr. 2009 Nov;5(4):312-5.

      Dieser Beitrag wurde bereits 14 mal editiert, zuletzt von Sokrates ()

    • Für Mädchen wie Jungen ist es wichtig, mit ihren Eltern von klein auf die richtige Intimhygiene einzuüben. Für Jungen bedeutet das: Vorsichtig die Vorhaut zurückziehen...
      In der Tat, das suggeriert, dass wenn die Vorhaut nicht zurückziehbar ist - dass dann etwas falsch ist. Was aber in Wirklichkeit in aller Regel natürlich ist.
      Und wenn die Eltern dann mit dem Sohn zum Urologen rennen und sie an den "richtigen" bzw falschen geraten - leicht verdientes Geld...
      Vorhaut hat Vorteile. Sonst gäbe es sie nicht.
    • Hallo zusammen, hallo Sokrates,
      wäre es möglich die obigen Ausführungen nicht nur hier im Forum, sondern auch offiziell per Brief od. E-Mai mit Bitte um Berichtigung (und ggf. um Stellungnahme) an die Bundeszentrale zu senden? Am besten auch die aktuelle Phimose als Anlage beifügen.
      Das erschiene mir wichtig. Vielleicht kann das ja auch intaktiv e.V. auf einem offiziellen Briefkopf machen.
      LG, Logo
    • Selbstbestimmung schrieb:

      In der Tat, das suggeriert, dass wenn die Vorhaut nicht zurückziehbar ist - dass dann etwas falsch ist. Was aber in Wirklichkeit in aller Regel natürlich ist.Und wenn die Eltern dann mit dem Sohn zum Urologen rennen und sie an den "richtigen" bzw falschen geraten - leicht verdientes Geld...

      Die Autoren dieser Broschüren ignorieren halt wirklich komplett, dass es eine entwicklungsbedingt nicht-zurückziehbare Vorhaut gibt. Daraus ergibt sich dann der falsche Rat.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Sokrates ()

    • Auf die wirkliche Gefahr bei der Intimhygiene nämlich Versuche, bei Jungen die Vorhaut vorzeitig mit Gewalt zurückzuziehen, wird auch nicht hingewiesen.

      Das ist nämlich vermutlich die größte Problem für Jungen bei der Intimhygiene und nicht der Umstand, dass ihre Vorhaut noch nicht komplett zurückziehbar ist.