Vorstellung (ausführlich)

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    • Vorstellung (ausführlich)

      Hallo,

      ich habe ja schon eine Auflistung meiner Probleme infolge meiner Beschneidung gepostet. Das möchte ich euch nun etwas ausführlicher erzählen.

      Hier noch einmal die Zusammenfassung:

      - zahlreiche Beziehungsabbrüche, darunter eine Ehe mit Kind
      - Depressionen mit Selbstmordabsichten
      - erfolglose Therapieversuche bei ca. 10 Psychologen
      - Kontaktabbruch zu meinen Eltern und meiner gesamten Familie
      - Sexuelle Störungen
      - Schlafstörungen
      - Essstörungen
      - Suchtverhalten
      - Angstzustände
      - Konzentrationsschwäche

      Ich wurde kurz nach meiner Geburt beschnitten, da meine Mutter meinte, es sei besser für die Frauen. Dafür hat sie mich extra in einer Klinik zur Welt gebracht, wo dies möglich war. Mein unbeschnittener Vater wusste davon, dass sie es vor hatte, hat aber nichts dagegen unternommen, weil sie ja "gute Gründe" hatte. Daraufhin folgten jahrelange Diskussionen, sogar zwischen meinen Exfreundinnen und meiner Mutter, aber ihre Reaktion war bloß, dass sie doch froh sein sollen. Seit einigen Jahren habe ich deshalb keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern und da meine Mutter meine Familie gegen mich ausgespielt hat, auch zu meiner restlichen Familie nicht mehr. Meine Jugend war geprägt von Rückzug, Depression und exzessivem Internetkonsum, um aus der realen Welt zu flüchten. Es ist nicht ein Tag vergangen, an dem mich die Beschneidung nicht runter gezogen hat. Alles aber auch wirklich alles hat mich an meine Beschneidung erinnert. Als Jugendlicher habe ich mit Therapien angefangen, die ich wegen verständnislosem oder sogar provokantem Verhalten der Psychologen abbrechen musste. Beispielsweise hat ein Psychologe die Beschneidung als "kleine Verletzung" bezeichnet und dies nach meiner empörten Reaktion immer wieder wiederholt mit einem leichtem Grinsen im Gesicht, als wenn er mich damit aufziehen wollte. Etwas philosophisch ausgedrückt hat das alles dazu geführt, dass ich den Glauben an die Menschlichkeit auf dieser Welt verloren habe. Zusammen mit den körperlichen Folgeerscheinungen meiner Beschneidung, der sozialen Isolation und meinem völlig gestörten Sexualverhalten habe ich keinen Sinn mehr im Leben gesehen. Unzählige Tage habe ich kaum gegessen, und unzählige Nächte habe ich kaum geschlafen, weil diese negativen Gefühle und die abwärtsgerichtete Gedankenspirale Macht über mich ergriffen haben. Mein Körper fühlte sich so an, als wenn mir jemand Gift in die Venen gespritzt hätte, das sich langsam überall hin ausbreitet. Eine generelle Unsicherheit durchzieht noch heute alle Bereiche meines Lebens. Es fällt sehr mir schwer Vertrauen und Gefühle aufzubauen. Meine Beziehungen scheiterten meist, weil ich von meinen Partnerinnen mehr Verständnis und Mitgefühl erwartet hätte, als sie es gezeigt haben. Da würde mich mal interessieren, ob es euch auch so geht und wie ihr damit umgeht? In meinem Umfeld weiß kaum jemand von meiner Beschneidung und wenn ich jemandem davon erzählt habe und die Person nicht ausreichend Verständnis aufgebracht hat, habe ich auch da direkt den Kontakt abgebrochen. Es ist auch ein seltsames Gefühl, das alles hier zu veröffentlichen. Ich bin auch eigentlich kein Mensch der großen Worte und Aufsätze habe ich in der Schule immer gehasst.

      Falls ihr noch irgendetwas wissen möchtet oder Anmerkungen habt, könnt ihr es gerne hier im Thread posten oder mich privat anschreiben.

      Ich wünsche euch ein schönes Wochenende!

      Stranger :thumbup:
    • Vielen Dank für Deine offenen Worte!

      Stranger schrieb:

      Da würde mich mal interessieren, ob es euch auch so geht und wie ihr damit umgeht?
      Dies ist in der Tat eine wichtige Frage. Ich habe hierzu schon einmal eine ähnliche Diskussion angestoßen, vielleicht bringt sie Dich ein wenig weiter.
      Zu Deiner konkreten Frage:
      In meinem näheren Umfeld habe ich diese Probleme zum Glück nicht. Meine Familie und engeren Freunde wissen Bescheid und haben zum Glück auch Verständnis für mich, meine Empfindungen und Einstellung. Insofern bin ich ein einer recht komfortablen Situation. Allerdings überlege ich mir in der Tat sehr oft und sehr genau, wem ich davon erzählen kann und darf, da ich immer damit rechnen muss, dass diese Person, die ich vielleicht bis dahin noch als sympathisch und vernünftig eingeschätzt habe, vielleicht in diesem Punkt das genaue Gegenteil von meiner Meinung vertritt. Damit umzugehen würde mir sicher schwer fallen. Das bedeutet, dass ich einerseits gerne viel mehr Menschen davon erzählen würde, was mir passiert ist und wie ich empfinde, aus Angst davor, Menschen, die mir (noch) viel bedeuten, deshalb verlieren zu können, lasse ich das dann aber meist.


      Stranger schrieb:

      Es ist auch ein seltsames Gefühl, das alles hier zu veröffentlichen.
      Mir hat dieses Forum hier sehr geholfen und ich bin sehr stolz darauf, dass es eine Art Insel geworden und geblieben ist, auf der wir offen und ohne Angst vor Anfeindungen, Hohn, Spott und Aggression darüber sprechen können, wie sehr wir teilweise unter unserer "Beschneidung" leiden. Ich hoffe sehr für Dich, dass es Dir ebenso helfen kann, wie mir und vielen anderen hier.
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • Hi Stranger, auch von mir ein herzliche Willkommen.

      Obwohl unsere Geschichten unterschiedlich (ich ließ mich als junger Mann vor nun über 16 Jahren beschneiden weil mir gesagt wurde es gäbe keine andere Möglichkeit meine rel. Phimose loszuwerden) so sind die Probleme die ich seither habe den deinigen sehr ähnlich. Manche Probleme haben sich gebessert, aber seither ist noch kein Tag vergangen, an dem mich dieser Mist nicht auf irgendeine Weise runtergezogen oder belastet hat.

      Auch Therapieversuche bei absolut inkompetenten Psychologen wie du sie kennenlernen durftest hatte ich auch. Aber sowas

      Stranger schrieb:

      Beispielsweise hat ein Psychologe die Beschneidung als "kleine Verletzung" bezeichnet und dies nach meiner empörten Reaktion immer wieder wiederholt mit einem leichtem Grinsen im Gesicht, als wenn er mich damit aufziehen wollte
      hatte ich noch nicht. Ich predige meinen Kindern immer Gewaltfreiheit...aber in dem Fall wär ich glaub ausgetickt, hätte nicht einen Gedanken an Konsequenzen verschwendet...

      Stranger schrieb:

      In meinem Umfeld weiß kaum jemand von meiner Beschneidung
      Bei mir wissen auch nur meine Frau und meine Eltern bescheid

      Stranger schrieb:

      wenn ich jemandem davon erzählt habe und die Person nicht ausreichend Verständnis aufgebracht hat,
      erwarte da nicht zuviel. Es ist etwas nicht greifbares, und das macht vielen Menschen Angst. Erzähl von einer Krebserkrankung und du bekommst Mitgefühl...erzähl von Depression, psychischen Problemen und die Leute behandeln dich als ob du Aussatz hättest, wissen nicht wie sie reagieren, einen behandeln sollen, meiden einen...


      Stranger schrieb:

      Es ist auch ein seltsames Gefühl, das alles hier zu veröffentlichen
      War es für mich am Anfang auch. Aber hier hab ich gelernt darüber zu schreiben, denn ich konnte früher nicht darüber reden...es hat sofort zu gemacht, mir die Luft genommen, hab angefangen zu heulen. Inzwischen kann ich darüber reden ohne sofort losheulen zu müssen, kann meine Probleme anderen mitteilen, es hat sich emotional entkoppelt...

      Ich hab auch einen Psychotherapeuten gefunden der diese Bezeichnung auch verdient. Er hat über 30 Jahre Berufserfahrung...aber noch nie einen Mann wegen Probleme durch Beschneidung...aber er hat sich alles angehört und dann selber angefangen zu recherchieren. Er denkt nun so wie ich über Beschneidung. Erst kürzlich meinte er, dass es ihn wundre was Psychoanalytiker immer Neues rauskrame um zu untersuchen, exotische Studien zu erstellen...und da wären ein Drittel aller Männer beschnitten, aber psychische Folgen einer Beschneidung sei noch nie groß oder ernsthaft untersucht worden...
      Menschen wurden erschaffen, um geliebt zu werden. Dinge wurden erschaffen, um benutzt zu werden. Der Grund, warum sich die Welt im Chaos befindet ist, weil Dinge geliebt und Menschen benutzt werden. -Dalai Lama
    • Urolüge schrieb:

      aber psychische Folgen einer Beschneidung sei noch nie groß oder ernsthaft untersucht worden...

      Auch dazu gibt es Material. Ronald Goldman z.Bsp.
      • Die Vorhaut kann mit einer Rosenknospe verglichen werden. Wie eine Rosenknospe wird sie erst blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand öffnet eine Rosenknospe, um sie zum Blühen zu bringen (Dr. med. H. L. Tan).
      • Alle Wahrheit verläuft in drei Stadien: Im ersten wird sie verlacht. Im zweiten wird sie vehement bekämpft. Im dritten wird sie als selbstverständlich anerkannt (Arthur Schopenhauer).
      • Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt (Thomas Mann)
    • Stranger, ich möchte Dir sagen, dass ich Dich sehr gut verstehen kann. Ich war in einer sehr ähnlichen Situation mit meiner Mutter.
      Jahrelang hatte mich diese Sache extrem belastet und das Verhältnis zu meiner Mutter war deshalb immer belastet. Aber ein langes Gespräch mit ihr, das für uns beide sehr anstrengend war, hat unsere Beziehung letztendlich gerettet. Und dafür bin ich sehr dankbar.
      Ich hoffe und wünsche Dir von Herzen, dass Du es eines Tages auch schaffst, Frieden zu machen mit Dir, Deiner Beschneidung und Deinen Eltern.