Prof. Dr. Christian Fahl: Wird das Beschneidungsverbot kommen?

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    • Prof. Dr. Christian Fahl: Wird das Beschneidungsverbot kommen?

      Nach meiner Anfrage bei Dr. Fahl Anfang des Jahres bzgl. einer Veröffentlichungserlaubnis seines Beitrages "Wird das Beschneidungsverbot kommen? Zur "Sozialadäquanz" von Beschneidungen" habe ich jetzt vom Verlag die Genehmigung bekommen.

      Prof. Dr. Christian Fahl: Wird das Beschneidungsverbot kommen? Zur "Sozialadäquanz" von Beschneidungen; in: Fahl/Müller/Satzger/Swoboda (Hrsg.), Ein menschengerechtes Strafrecht als Lebensaufgabe, Festschrift für Werner Beulke, 2015, S. 81–94
      zwangsbeschneidung.de/fachbeitrag.html#fahl

    • unberührt. Wenn es sich also bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 27.10.2012 um straf-
      bares Unrecht handelte, dann hätten sich die behandelnden Ärzte grundsätzlich einer (ge-
      fährlichen) Körperverletzung schuldig gemacht und wären grundsätzlich zu bestrafen.
      Was für ein Gesetz? Der 1631d ist am 28.12.2012 in Kraft getreten.
      Vorhaut hat Vorteile. Sonst gäbe es sie nicht.
    • Je länger ich diesen Text lese, desto konfuser erscheint er mir.

      Da stecken ja ein paar echte Knaller drin, z.B.:


      ..dass sie die medizinisch indizierte Zirkumzision, die nie ernsthaft ein Problem darstellte...


      Ich hätte kein Problem damit, auch die Metzitzah B`peh als „sozialadäquat“ aus dem Tatbe-
      stand auszuscheiden, sehe mich an dieser Lösung aber aufgrund der gesetzlichen Regelung gehindert...

      Erstmal behauptet der Autor, die MGM sei in D nie strafbar gewesen, der §223 StGB hätte auch vor dem 28.12.12 gar nicht gegriffen.

      Er erklärt das am Beispiel einer Ohrfeige. Die könne eine erzieherische Massnahme sein (prügelt er auch seine beiden Söhne?) und sei dann weder "übel" noch "unangemessen".
      Also haben Kinder doch kein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, nur weil das spasseshalber im Gesetzbuch steht? Eine Ohrfeige ist keinesfalls eine Petitesse und kann eine dauerhafte Hörschädigung auf dem getroffenen Ohr zur Folge haben.
      Wenn ich einem Juraprofessor "eine runterhauen" würde, würde der mich sicher verklagen - wegen Körperverletzung. Wenn eine Ohrfeige unter Erwachsenen eine Körperverletzung ist, warum soll sie dann ausgerechnet gegenüber hoffnungslos unterlegenen, ausgelieferten Kindern keine sein?
      Warum wird dann eine Mutter wegen eines Schlages auf das Kindergesäss (weit weniger gefährlich als eine Ohrfeige) zu einer Haftstrafe verurteilt? Nicht in Utopia, in Deutschland!

      Dann argumentiert er mit einer angeblich "schweigenden Mehrheit" unter den Juristen, die das so sähen wie er. Das ist so ähnlich wie argumentieren mit ominösen "Dunkelziffern". Damit kann man alles oder nichts beweisen. Der wissenschaftliche Dienst und führende Kommentare sehen das anders.
      "Publish or perish!" Wer schweigt, hat nichts zu melden, evtl. mangels Argumenten.

      Da soll also die MGM nicht mehr über die "Einwilligung", sondern über die "Sozialadäquanz" "bzw" "sozialüblich" legitimiert werden. Weil das flexibler wäre, da könnte man auch gleich Metzitzah und "leichtere" Formen der FGM "Klitorisvorhautbeschneidung" mit legitimieren. Wow, das nenne ich Fortschritt!
      Der Autor nennt MGM korrekt "männliche Genitalverstümmelung", nur um dann zu erklären, dass diese Verstümmelung mit der Menschenwürde des Kindes und den sonstigen Grundrechten vereinbar wäre.


      Es ist ein Widerspruch in sich, ein nicht medizinisch indiziertes Verhalten anhand von
      medizinischen Standards zu überprüfen.

      Es geht nicht um irgendein Verhalten, z.B. in der Nase bohren - sondern um eine Operation.
      Wenn das so wäre, bräuchten auch bei allen Schönheitsoperationen die Regeln der ärztlichen Kunst nicht eingehalten zu werden.



      Wenn also lt. Autor das Saugen eines Erwachsenen am Penis eines Säuglings in Deutschland "sozialadäquat" bzw. "sozialüblich" ist, dann ist eigentlich alles, was eine kleine Minderheit irgendwo auf der Welt an Kindern praktiziert (da gibt es einiges, wo einem gruselt) "sozialadäquat", sofern ein paar Migranten diese Tradition nach Deutschland importieren. Denn offenbar zählt nicht mehr, was dem Sitten- Hygiene- und Rechtsverständnis der grossen Mehrheit entspricht, sondern erlaubt ist, was beliebig kleine Minderheiten praktizieren.
      Dann ist natürlich legitim, wenn fundamentalistische Christen bibelgetreu ihre Kinder züchtigen, oder fundamentalistische Muslime ihre Ehefrauen korangemäss züchtigen. Oder wenn "Zeugen" aus religiösen Gründen Kindern lebensrettende Bluttransfusionen verweigern. Wenn afrikanische Migrantinnen ihre Töchter "beschneiden" lassen. Weil das in ihrer kleinen Parallel-Welt "sozialadäquat" ist.

      Das ist ein Fass ohne Boden.

      Und dann noch diese erschreckende Schnuller-Relativierung von Metzitzah.

      Mindestens ebenso viele dürften sich dadurch
      infizieren, dass ihre Mütter den Sauger der Milchflasche ihrer Kinder oder deren Schnul-
      ler unsachgemäß in den Mund nehmen. "

      "Dürften" die das? Mindestens! Also wahrscheinlich noch viel mehr! Gibt es dafür den geringsten Beleg? Wo ist die Quelle? Oder ist das eine wilde Spekulation in einem Text der wissenschaftlichen Anspruch erhebt?

      Ein Fall einer gefährlichen Erkrankung auf 3600 Babys spielt keine Rolle?

      Wie kommt es, dass z.B. in NL oder DK die Inzidenz von neonataler Herpes um ca. den Faktor 10 geringer ist? Gibt es dort zehnmal weniger Schnuller? (Und die Fälle, die dort auftreten kommen fast immer von einer mit Genital-Herpes infizierten Mutter über den Geburtskanal, und nicht von falscher Schnuller-Handhabung)


      Während der Gesetzesentwurf der Bundesregierung stolz darauf ist, eine Bevorzugung
      aufgrund der Religion vermieden zu haben...
      Der §1631d enthält eine klare Bevorzugung von Religionsgemeinschaften - nur sie dürfen bestimmen, wer ohne Arzt zu sein Kinder verstümmeln darf. Das darf nicht z.B. der Heilpraktikerverband.

      Das Fazit, dieses Vertrösten auf die ferne Zukunft, "irgendwann wird schon alles gut" - das ist doch billig. Diesen Trick kann man Jahrtausende durchziehen. "Lasst uns doch in 50-100 Jahren noch mal darüber sprechen", und dann wieder...
      Wenn etwas in fünfzig oder hundert Jahren Kindern Schmerzen, Angst und einen Schaden zufügt, dann fügt es auch hier und jetzt Kindern Schmerzen, Angst und einen Schaden zu. Da muss man sich dann schon entscheiden - entweder ist alles unproblematisch, oder es ist Unrecht. Dann gilt das aber auch jetzt.
      Ich glaube daher nicht, dass man der jetzt
      heranwachsenden Generation und den zukünftigen noch lange wird vermitteln können,
      dass sie den Verlust von gesunden Körperteilen von Verfassungs wegen hinzunehmen
      haben, wenn nur ihre Eltern eingewilligt haben.
      70% Ablehnung in der Bevölkerung reicht noch nicht?
      Wieviel müssen's denn sein? 80%? 90%?
      Vorhaut hat Vorteile. Sonst gäbe es sie nicht.
    • Grundsätzlich zum Beitrag von Christian Fahl. Ich habe ihn erbeten und ins Netz gestellt, weil er ein (wesentlicher) Fachbeitrag zur Beschneidungsdiskussion ist. Würde ich ihm eine Überschrift geben sollen, könnte sie heißen: Ein Bewusstsein im Umbruch.

      In diesem Beitrag gibt es Richtiges und Falsches.

      Richtig: "Wenn schon nicht einmal mehr die Entfernung des – nach allem, was wir noch in der Schule gelernt haben – überflüssigen Appendix vorbehaltlos gutgeheißen wird, weil er möglicherweise doch eine Funktion haben könnte, um wieviel mehr Wert werden zukünftige Generationen auf den Erhalt der schützenden und mit Nervenenden ausgestatteten Vorhaut legen. Ich glaube daher nicht, dass man der jetzt heranwachsenden Generation und den zukünftigen noch lange wird vermitteln können, dass sie den Verlust von gesunden Körperteilen von Verfassungs wegen hinzunehmen haben, wenn nur ihre Eltern eingewilligt haben.97 Ein solches Verfassungsverständnis erscheint mir auf lange Sicht nicht mehr zeitgemäß. [...] ... aber dass das „Beschneidungsverbot“ kommen wird, erscheint mir sicher,100 nicht heute und nicht morgen und natürlich nicht verstanden als Verbot, sich selbst beschneiden zu lassen (auch das hat es in der langen Geschichte der Judenverfolgung gegeben101), sondern Kinder."

      Falsch: "Doch sollte Deutschland keinesfalls vorangehen. Es steht Deutschland gut zu Gesicht, sich weder der Türkei102 noch Israel103 gegenüber als „Besserwessi“ aufzuspielen,104 und ich weiß mich mit Beulke, von dem ich die Tradition der „Auschwitz-Seminare“105 übernommen habe, einig darin, dass wir alles unterlassen müssen, was jüdisches Leben hierzulande erschwert oder unmöglich macht.106"

      106 verweist auf Germann (s. Fn 87), S. 3: „So scheint mir folgender Satz evidient zu sein: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland darf nicht dazu verwendet werden, um jüdisches Leben in Deutschland unmöglich zu machen.“

      Zu beachten ist der Abschluss: "Als Vater zweier Söhne – wie Werner Beulke – der zur Vermeidung einer Phimose auf kinderärzliches Anraten selbst eine Zeitlang jeden Abend gecremt hat, hoffe ich mit diesen Überlegungen, wenn auch nicht seine ungeteilte Zustimmung, so doch seine Aufmerksamkeit erlangt zu haben."

      Beulke verteidigt die Beschneidung vollständig. Fahl erklärt die Beschneidungserlaubnis als nicht mehr zeitgemäßes Verfassungsverständnis, ist sich sicher, dass ein Verbot kommen wird, und hofft ausdrücklich mit diesem Widerspruch zu Beulke "doch seine Aufmerksamkeit erlangt zu haben."

      Und nun kann man sich ein paar schöne Stunden bereiten, indem man herausfindet was richtig oder falsch ist und warum. Nehmen wir Germann: "Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland darf nicht dazu verwendet werden, um jüdisches Leben in Deutschland unmöglich zu machen."

      Wir setzen zunächst, dass "jüdisches Leben" nicht die physische Existenz von Juden ist, sondern die jüdische Regel. Dann heißt der Satz: "Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland darf nicht dazu verwendet werden, um jüdische Regeln in Deutschland unmöglich zu machen."

      Die jüdische Regel wäre damit gegenüber dem Grundgesetz immun. Das Grundgesetz ist die Sicherstellung der Menschenwürde. Die jüdische Regel wäre damit gegenüber der grundgesetzlichen Sicherstellung der Menschenwürde immun. Innerhalb der jüdischen Religion hätte die Menschenwürde keine grundgesetzliche Absicherung. Das schließt Juden aus dem Grundgesetz aus.

      Juden aus der Absicherung der Menschenwürde auszuschließen ist was? Antisemitismus.

      Und jetzt verstehen wir auch warum Dr. Fahl die Beschneidungserlaubnis aus einem nicht zeitgemäßen Verfassungsverständnis heraus entstanden interpretiert. Warum er um die Aufmerksamkeit des Beschneidungsbefürworters Beulke wirbt.
    • Prof. Dr. Fahl schrieb:

      Die Zeit scheint noch nicht reif für ein Beschneidungsverbot, aber dass das „Beschneidungsverbot“ kommen wird, erscheint mir sicher...
      Was genau ist diese "Zeit", die noch nicht reif ist? Ist die Zeit nicht neutral und überdauert alles?

      Der Begriff "Zeit" erinnert mich hier an die "zerlaufenden Uhren" von Salvador Dalí, weil dieser Platzhalter alle Schuldigen, welche eine persönliche Verantwortung für diese Körperverletzungen an wehrlosen Kindern tragen, in "zerlaufender Unbestimmtheit" in Schutz nimmt. Ich hätte hier aber selbst den Begriff "Gesellschaft" nicht gelten lassen.

      Sein Exkurs in Richtung deutsche Vergangenheit endet in einer dunklen Sackgasse ohne neue Erkenntnisse. Damals war offenbar auch die "Zeit" nicht reif, um in Bezug auf Religion eine "Toleranz" zu leben. In Wahrheit haben sich zu wenige getraut das Unrecht offen anzusprechen und somit konnte die Mehrheit ihre Gräueltat ungehindert verüben.

      Und genau das gleich passiert gegenwärtig im Bereich der Zwangsbeschneidung. Jeder der schweigt, jeder der nicht versucht die Verhältnisse zu ändern, jeder der sich nicht für die wehrlosen Kinder stark macht, macht sich umgekehrt schuldig.

      Für Juristen wird Schuld nach Gesetzen bewertet, aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass es z.B. in der deutschen Vergangenheit Amtsrichter waren, welche gesetzeskonform ihre Mündel im Rahmen der Euthanasie ermorden ließen. Aus meiner Sicht verbietet die Ethik schon lange jede Form der Zwangsbeschneidung und Gesetze, welche unethisch sind, stellen daher lediglich dem Gesetzgeber ein mangelhaftes Zeugnis aus.
      Der Unterschied zwischen Dogmatikern und Aufklärern besteht bei der Beschneidungsdebatte darin, dass die einen kindliche Vorhäute und die anderen alte Zöpfe abschneiden wollen. (Quelle: NoCut)