Reflektionen über emotionale, psychische und seelische Aspekte traumatisch erlebter Beschneidungen

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    • Reflektionen über emotionale, psychische und seelische Aspekte traumatisch erlebter Beschneidungen

      Liebe Forumsmitglieder,

      diesen Thread öffne ich mit der Intention darüber zu reflektieren, was die Beschneidung mit einem Jungen oder Erwachsenen macht, jenseits des körperlichen Aspektes. Es ist eine Einladung nach innen zu blicken und die traumatisch erlebte Beschneidung in Beziehung zu dem zu bringen, was in einem an Emotionen lebendig ist, und die Verbindung zu eigenen Psyche und Seele zu betrachten.

      Dabei möchte die Beschneidung (auch) von anderen Blickwinkeln aus ansehen, als dies meiner persönlichen Beobachtung nach in diesem Forum vorherrscht. So ist hier der übereinstimmende Tenor, aus meiner Sicht, die Beschneidung mit Ausnahme sehr weniger Ausnahmefälle als Unrecht abzulehnen. Diese Haltung ist ganz und gar berechtigt und wird von mir geteilt.

      Gleichzeitig möchte ich einen anderen Schwerpunkt in diesem Thread. Für mich besteht da kein Widerspruch, es geht um ein "sowohl als auch", einen Versuch tiefer zu blicken.

      So sehr die Ablehnung der Beschneidung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene zur Prävention von weiterem Leid angemessen ist, und ich glaube es ist kein Zufall, dass in diesem Forum ein Großteil des Platzes dafür verwendet wird, so möchte ich hier, in diesem Thread, betrachten wie es individuell nach erlebtem Trauma aussieht.

      Ist es nicht möglich und vielleicht auch ganz gesund für einen selber, wenn man die eigene traumatisch erlebte Beschneidung annimmt, sie als Teil der prägenden Erfahrungen sogar wertschätzt, an Stelle davon diese abzulehnen und an erlebtem Unrecht festzuhalten?

      Der Psychologe Marshall Rosenberg (Begründer der "Gewaltfreien Kommunikation") hat mal gefragt, ob man Gerechtigkeit haben wolle, oder ob man sich daran orientieren wolle, wie man sich wohl fühlt. Beides zusammen sei nicht möglich.

      Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es ein schwerer Prozess ist, das Trauma als eigene Erfahrung wertzuschätzen und auch, dass dies nur möglich ist, wenn man sich die Beschneidung und was sie mit einem gemacht hat, genau ansieht, und bereit ist den damit verbundenen Schmerz, die Wut, die Trauer und bei mir auch die Hilflosigkeit und Verzweiflung auszuhalten. Für mich beinhaltet dies die Verantwortung, das Erlebte zu sich zu nehmen und nicht (mehr) mit dem Finger auf den Arzt, Mohel, die Eltern, oder wenn auch immer, zu zeigen und zu sagen, diese seien verantwortlich. Sonst bleibt man meiner Meinung nach das Opfer, das man ja auch war, verharrt in der Opferrolle und verschließt sich einer Entwicklung, einem Heilungsprozess aus der Position des Opfers heraus zu einem selbstbestimmteren Leben.

      Die Emotionen wie Wut und Trauer sind nirgendwo anders zu Hause, als bei einem selber, manifestieren sich in einer körperlichen Spannung und schränken die geistige Freiheit ein. Sie rauben Kraft und Potential und zwar genau bei demjenigen, der sie hat, die Trauer und die Wut. Sie schränken einen auch ein, wenn man sie abspaltet vom Mentalen, dann sogar unheilvoller im Unterbewußtsein, und brechen dann an falscher Adresse hervor und können viel zerstören.

      Wenn ich daran denke, wie ich früher auf Partnerinnen wütend geworden bin, oder traurig, wenn meine Narbe liebevoll berührt wurde, einfach weil dies das unbewußte Muster des Traumas in mir zum Schwingen gebracht hat. Nicht der Arzt meiner Beschneidung hat die Emotionen abbekommen, sondern meine Partnerin, und so stand es mir im Wege.

      Wie anders aber als durch Annehmen, Anerkennen, Verzeihen und Wertschätzen kann ich mich von Wut und Trauer lösen, ohne zu verdrängen?

      Meine Wertschätzung ist jetzt nicht so, dass ich mich leichten Herzens freue, beschnitten worden zu sein, ich sehe es eher als eine Herausforderung in meinem Leben, die ich annehme und eine Erfahrung die mich geprägt hat, mehr als mir früher bewusst war.

      Wie geht es Euch mit meinen Gedanken?
      Achtsamkeit ist ein aufmerksames Beobachten, ein Gewahrsein, das völlig
      frei von Motiven oder Wünschen ist, ein Beobachten ohne jegliche
      Interpretation oder Verzerrung. (J. Krishnamurti)
    • Da sprichst Du viel Wahres an, Traubenzucker.
      Ich habe in meinem Leben schon sehr viel Negatives erfahren müssen. Irgendwann habe ich verstanden, wie wichtig es ist, diese negativen Erfahrungen anzunehmen und daraus zu lernen. Und das Gute daran zu erkennen.
      Meine Beschneidung hat mir sehr, sehr viel genommen, dessen werde ich mir jeden Tag aufs Neue bewusst. Aber sie ist ein Teil von mir.
      Und, sie hat auch etwas Positives in meinem Leben bewirkt, neue positive Dinge entstehen lassen.

      Ich habe Menschen kennen gelernt, die ich ohne meine Beschneidung und vor allem ohne den Kampf gegen diese Barbarei nicht kennen gelernt hätte. Und zu einigen von ihnen besteht inzwischen eine tiefe Freundschaft.
      Meine Ehe hat sich durch die Auseinandersetzung mit dem, was mir angetan wurde verbessert, und: sie war noch nie so gut wie jetzt.
      All das sehe ich und ich sehe es gern.

      Aber ich kann sehr gut verstehen, wenn Betroffene es nicht schaffen, "einen Strich drunter" zu machen. Weil dieser Schlussstrich in den Augen mancher impliziert, das ertragene Unrecht als nicht so schlimm zu erachten und zu einzusehen, dass "in Wirklichkeit" doch eigentlich alles wunderbar ist.
      Diese Hürde zu meistern, ist das eigentliche Kunststück. Der Betroffene muss sich darüber klar werden, dass ein Annehmen und Akzeptieren nicht gleichbedeutend ist mit dem Geständnis, sich alles nur einzubilden, sondern dass er einen wichtigen Schritt hin zu seiner Genesung tut.

      Ich glaube, die Bereitschaft dazu würde wachsen, wenn allgemein mehr Empathie und Verständnis für unsere Lage vorhanden wäre. Aber in einer Atmosphäre, in der beschnittene Männer, deren Schmerzen und Einschränkungen gar nicht gesehen und akzeptiert werden, als Simulanten angesehen werden, fällt es ungleich schwerer, als betroffener Mann schon den nächsten Schritt zu tun, weiter zu denken und das Unrecht anzunehmen.

      Ein Dilemma!
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • werner schrieb:

      Traubenzucker schrieb:


      Wie geht es Euch mit meinen Gedanken?

      Bist Hellinger-Anhänger?

      Da stellt sich mir die Frage, wie Du zu dieser Frage kommst, da ich keinen Bezug zu meinem Post erkennen kann.
      Gleichzeitig würde ich gerne das Thema des Threads wahren und nicht Off-Topic werden.

      Hätte denn Hellinger Deiner Meinung nach was zum Thema beizutragen?
      Achtsamkeit ist ein aufmerksames Beobachten, ein Gewahrsein, das völlig
      frei von Motiven oder Wünschen ist, ein Beobachten ohne jegliche
      Interpretation oder Verzerrung. (J. Krishnamurti)
    • "Verzeihen" und "Wertschätzen" in Bezug auf Traumapatienten klingt (mir) schon sehr nach Hellinger. Aber Du hast recht: es soll daraus keine theoretische Diskussion werden.

      Mit Deinen Gedanken geht es mir einerseits gut und andererseits schlecht. Gut geht es mir, wenn Du erwähnst, dass es wünschenswert ist, der Realität des Erlebten ins Auge zu schauen, und wenn Du feststellst, dass es bis dahin ein langer und schmerzlicher Weg ist. Ich würde hinzufügen, dass die Begleitung durch eine einfühlsame Person auf diesem Weg sehr hilfreich sein kann.

      Schlecht geht es mir, wenn Du von "Verzeihen" und "Wertschätzung" sprichst. Dem Täter "verzeihen"? Das Trauma "wertschätzen"? Z.B. nach einer Vergewaltigung?

      Aber möglicherweise habe ich Dich nur falsch verstanden.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • So falsch hast Du mich gar nicht verstanden, glaube ich.
      Dem Täter "verzeihen"? Das Trauma "wertschätzen"? Z.B. nach einer Vergewaltigung?
      Meine eigene Beschneidung habe ich als Vergewaltigung erlebt und ist in etwa so ähnlich abgelaufen: Link (Vorsicht, der Anblick des Videos ist nicht einfach auszuhalten!)
      Bei mir waren die Eltern nicht dabei. Wie der kleine Junge in dem Film bin ich in Agonie gefallen und bei mir gab es auch keine Anästhesie.

      Und das ist jetzt was ich gemeint habe mit meinem Post: Ich habe die Wahl, die Verantwortung für dieses Trauma beim Arzt zu lassen und auf ihn wütend zu sein. Und ich hatte zwischendurch auch gewalttätige Vorstellungen von dem, was ich ihm gewünscht hätte, damit er ... so a la Auge um Auge und Zahn und um Zahn, phantasievolle Vorstellungen von Gewalt und Folter.

      Wohl gefühlt habe ich mich damit nicht.

      Oder meinen Eltern gegenüber? Sie hatten damals ja unterschrieben und zugestimmt und mich allein gelassen.

      Mir geht es besser, seitdem ich ihnen und auch dem Arzt meiner Beschneidung verziehen habe. Das war einiges an Arbeit und ich habe Hilfe von außen bekommen.

      Nun fühle ich mich freier, da das, was mir angetan wurde nicht mehr die Macht hat, meine Emotionen zu bestimmen. Ich bin weniger verbittert. Und das war ich sehr.

      Im gewissen Sinne habe ich mir selber verziehen, da ich mich zuvor selber belastet habe, mit rachesüchtigen Gedanken, Wut und Verbitterung. Ich habe festgestellt, dass es die gleiche Wirkung hat, den Eltern und dem Arzt zu verzeihen, wie wenn man sich selber verzeihen würde. Das ist für den Verstand nicht zu verstehen, aber die Wirkung ist so.

      Und seitdem geht es mir besser. Auch konnte ich so meine Eltern leichter damit konfrontieren, was meine Beschneidung so angerichtet hat. Gerade für meinen Vater ist es wichtig, keinen Vorurf zu hören, da sich bei ihm sonst die Ohren schließen und er nicht mehr wahrnehmen kann, was ich ihm zu sagen habe. Bei ihm ist es angekommen und er geht damit so um, dass er auf die Ärzte schimpft und meint, er habe es nicht wissen können. Diese Haltung kann ich bei ihm lassen, so ist er halt.
      Meine Mutter hat es gehört und wahrgenommen, ohne Vorwurf von mir, was die Beschneidung mit mir gemacht hat. Das war mir ein Bedürfnis. Sie hat es gut hören können und hat begriffen, was bei einer Beschneidung passiert. Leider macht sie sich jetzt selber Vorwürfe. Und sie hat sich entschuldigt, von selber.

      So in etwa habe ich es gemeint. Verzeihen heisst ja nicht Friede, Freude, Eierkuchen oder darauf zu verzichten, eigene Bedürfnisse zu erfüllen. Und ein Bedürfnis nach Anerkennung dessen, was ich erlebt habe war mein Eltern gegenüber da. Aber eben ohne wütend oder verbittert zu sein.

      Zur Wertschätzung gibt es noch zu schreiben, dass ich durch die Herausforderung mit dem Trauma umzugehen viel gelernt habe. Auch hat mich die Beschneidung sehr geprägt, eine Erfahrung die bei mir erst bewußt werden musste und der Prozess der Bewußtwerdung und die Erfahrung der Tiefe des Traumas haben mir gleichzeitig eine neue Tiefe im Leben geschenkt.

      Und fertig bin ich noch nicht damit. Aber Wut habe ich keine mehr, Vorwürfe nur in Ausnahmesituationen, und mit der Trauer habe ich dann doch noch zu kämpfen. Das liegt daran, dass es immer wieder neue Situationen gibt, wo es schmerzt, durch das was fehlt.
      Achtsamkeit ist ein aufmerksames Beobachten, ein Gewahrsein, das völlig
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    • Traubenzucker schrieb:

      Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es ein schwerer Prozess ist, das Trauma als eigene Erfahrung wertzuschätzen und auch, dass dies nur möglich ist, wenn man sich die Beschneidung und was sie mit einem gemacht hat, genau ansieht, und bereit ist den damit verbundenen Schmerz, die Wut, die Trauer und bei mir auch die Hilflosigkeit und Verzweiflung auszuhalten. Für mich beinhaltet dies die Verantwortung, das Erlebte zu sich zu nehmen und nicht (mehr) mit dem Finger auf den Arzt, Mohel, die Eltern, oder wenn auch immer, zu zeigen und zu sagen, diese seien verantwortlich.


      Das kommt mir so vor, wie der Satz „Was uns nicht umbringt macht uns nur härter“. Daher kann höchstens die Beschneidung von Mädchen was schlimmes sein… Männer müssen doch hart sein oder?

      Und wenn nicht die Verursacher verantwortlich sind, wer dann? Vielleicht das Opfer weil es nicht genug Mann war, das alles hinzunehmen.

      Vielleicht ist das der Grund warum Beschneidung der Männer kein Problem sein kann: Die wenigen Jammerer sind einfach nicht Manns genug es auszuhalten. Alle anderen haben ja schließlich kein Problem damit, sondern freuen sich dass ihnen beigebracht wird Schmerz, Unrecht etc. zu ertragen.
    • Oje, habe ich mich so unverständlich ausgedrückt?

      Von "was uns nicht umbringt, macht uns nur härter" halte ich gar nichts. Für mich ist das Aushalten im Sinne von Verdrängen. Mir geht es darum in mir als Opfer wieder mehr Licht und Liebe zu empfinden und glücklicher und freier zu werden. Mit "hart" sein, und "bloß nicht jammern" hat das nichts zu tun. Ich will ja gerade nicht verhärten.

      Als ich geschrieben habe, die Verantwortung zu mir zu nehmen, da habe ich von der Verantwortung für mein eigenes Leben geschrieben. Beim "Täter" bleibt doch trotzdem die Verantwortung für sein Leben und seine Taten.

      Der Punkt, den ich anscheinend nicht klar ausgedrückt habe, ist der, dass ich auch nichts davon halte verbittert zu bleiben und an der Schuld festzuhalten, an einer Haltung die dem Täter nie verzeihen kann. Ich halte nichts davon, weil es einem selber schadet, verbittert, blockiert. Mich hat meine Wut fast aufgefressen. Und auf diese Weise wollte ich nicht mehr weiter leben. Und eine Lösung habe ich nicht darin gefunden, das auszuhalten. Und auch nicht darin mich in Selbstmitleid zu ergeben, oder daran festzuhalten, was für ein Unrecht mir angetan wurde.

      Durchs Verzeihen geht es mir besser. Darauf kommt es an. Und das ist, was ich meine. Aber es war ein schmerzhafter Prozess dahin zu kommen.

      Lieber Manfred, kannst Du den Unterschied erkennen, zwischen "Hart und Aushalten" und "Verzeihen"?

      Und auch den Unterschied zwischen "Schuldzuweisung" und "Verzeihen"?

      Dann wird vielleicht klar, dass ich von einer dritten Möglichkeit schreibe, von der, die ich gewählt habe. Jeder hat eine eigene Wahlmöglichkeit und ich will hier im Forum meinen Weg teilen.
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    • @Manfred:
      Ich glaube, hier hast Du Traubenzucker falsch verstanden. Ihm geht es ja gerade nicht darum, mit der Vergebung auszudrücken "Passt schon, ist ja alles in Ordnung". Wenn dem so wäre, bräuchte man auch nicht zu vergeben.
      Dass ich meine Mutter umarmen konnte, lag nicht daran, dass das, was sie mit mir gemacht hat, nicht schlimm gewesen wäre, die negativen Folgen werden mich mein Leben lang begleiten. Aber die Wut und der Zorn hätten mich aufgefressen, wenn wir es nicht geschafft hätten, miteinander zu sprechen und sie ihren Fehler nicht eingesehen hätte. Darum habe ich das Gespräch mit ihr gesucht und es ist zum Glück gut verlaufen.
      Ich denke, was Traubenzucker anspricht, könnte noch weiter gehen. Ein Verzeihen, auch wenn von den Schuldigen kein Schuldeingeständnis vorliegt, wie z.B. vom Arzt.
      Der Schaden ist da, er ist groß und er ist nicht wieder zu reparieren. Aber er wirkt in mehrfacher Hinsicht, am Körper und in der Seele. Und ich habe festgestellt, dass dieses nagende Gefühl im Herzen besser wird, seitdem ich verziehen habe. Weguer hat das recht schön ausgedrückt.
      Nochmal: Es gehört zum Schlimmsten, was mir angetan wurde und dazu werde ich auch immer stehen. Aber der Schritt, zu sagen: "Ich verzeihe Dir" kann eine sehr, sehr große Hilfe für die eigene Seele sein. Es ist kein Geständnis, ein Schwächling zu sein, sondern eine große Leistung, zu der so manch "Starker" gar nicht in der Lage wäre.
    • Ich meine wir sind nicht zum Leiden geboren um alles auszuhalten was einem angetan wird. Selbstverständlich lebt trotzdem der am besten, der die Dinge so nimmt wie sie sind, also der Fatalist. Denn es bringt überhaupt nichts, sich jeden Tag über etwas zu ärgern, das man sowieso nicht mehr ändern kann. Aber trotzdem könnte ich nur dem verzeihen der seinen Fehler einsieht. Der Arzt bei dem man sich beschwert, der aber immer noch eine unerschöpfliche Geldquelle beim verstümmeln von kleinen Kindern sieht, ist für mich nicht entschuldbar. Genau so wenig wie die Mutter die mich hat beschneiden lassen und trotz meiner Beschwerden mit meinem kleinen Bruder das gleiche macht. Klar sollte man all jenen verzeihen, die wenigstens einsehen dass sie unrecht getan haben. Deswegen bin ich mit Gustav schon einer Meinung. Allerdings sehe ich keine Veranlassung Leuten zu verzeihen, die trotz aller Beschwerden nicht einsehen wollen, dass Beschneidung den Betroffenen lebenslang ein Problem sein kann. Gegen solche kann ich nur (ohne Hass!) kämpfen!
    • Die Verwendung des Ausdrucks "Verzeihen" hat in diesem Zusammenhang seine Tücken. Auf jeden Fall liegt es im Ermessen des Opfers, ob es dem Täter verzeiht oder nicht. Sollte es sich entscheiden, dem Täter NICHT zu verzeihen, muss das ohne Wenn und Aber respektiert werden. Zur Umkehrung der Täter-Opfer-Relation darf es nicht kommen, indem z.B. dem Opfer ein Vorwurf daraus gestrickt wird, dass es auf seiner Wut sitzen bleibt.

      Wie schwierig dieses Thema ist, sieht man (zum Beispiel) am Stichwort "Täter-Opfer-Ausgleich". Wobei ich dies hier weniger im juristischen als im psychologischen Sinne verstehe.

      de.wikipedia.org/wiki/Täter-Opfer-Ausgleich
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • werner schrieb:

      Zur Umkehrung der Täter-Opfer-Realation darf es nicht kommen, indem z.B. dem Opfer ein Vorwurf daraus gestrickt wird, dass es auf seiner Wut sitzen bleibt.
      Das ist ohne Zweifel richtig. Meiner Meinung nach kann ein "Verzeihen" ein gutes Mittel eines Betroffenen sein, das Erlebte ein Stück weit zu verarbeiten und nach vorn zu schauen. Aber so unterschiedlich die Menschen, die Betroffenen, die jeweiligen Situationen sind, so unterschiedlich sind auch die "Erfolgsaussichten". Wer verzeihen KANN, kann dadurch viel gewinnen. Aber ich hielte es für falsch und kontraproduktiv, sich selbst damit unter Druck zu setzen und zu sagen "Ich MUSS dieser Person verzeihen, so schlimm es auch für mich ist". Damit würde der Schaden für den betroffenen Mann nur größer und keinem wäre gedient.
      Es kann eine gute Möglichkeit sein, aber niemals darf diese Möglichkeit zum Allheilmittel umgemünzt werden oder gar, wie werner schon sagte, denjenigen Männern ein Vorwurf konstruiert werden, die diesen Schritt eben nicht gehen können.
      Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
      Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
      Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
      tredition.de/autoren/clemens-b…-schnitt-paperback-44889/
    • Es gibt in der Tat noch mehr Möglichkeiten als nur die Alternative zwischen Verzeihen und Wut. Wichtig kann auch die Frage sein, ob man mit seiner Wut kreativ umgehen kann, z.B. dadurch dass man sich für den Kampf gegen die Beschneidung engagiert. :thumbup:
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.
    • Meinen Eltern trage ich das nicht nach.
      Dem Chirurgen aber schon. Wie kann man so skrupellos sein, Jungen einen Teil ihres Genitals abzuschneiden - eines Teils, an dem man sich vielleicht am gleichen Abend noch wieder von seiner Frau befriedigen lässt?
      Es ist nichts anderes als ein Verbrechen, wie sich statistisch gesehen ja überwiegend intakte Ärzte oder oder Ärztinnen, die sich den Freuden an ihren unversehrten Genitalien hingeben konnten, uns mit regelrechtem planmäßigen Aussieben um das gleiche Recht brachten.
      Medizinischer Schmarrn hin oder her - einen Mediziner hätten die damals erreichten Quoten ja wohl stutzig machen müssen.

      Auf einem anderen Blatt steht MEIN Leben. Da geht es mir ähnlich wie Traubenzucker. Meine Verstümmelung und der damit jahrzehntelange Betrug an mir und meiner Sexualität ist ein Teil meines Lebens, den ich annehmen muss. Es IST passiert und ich MUSS damit leben.

      Ich gebe Weguer völlig Recht: die brutale Empathielosigkeit, das Achselzucken, die als multikulturelle Weitsicht verkaufte Ignoranz des Leidens von Jungen und Männern erschwert es sehr, sich seinem Innern zuzuwenden.
    • Interessanter Thread.

      Ja, es ist ein Teil meines Lebens, und käme heute eine gute Fee vorbei, die mir einen Wunsch erfüllen würde... Ich würde mir Wünschen das es keine Beschneidungen mehr gäbe, ein Ende damit wäre, die Erkenntnis sich durchsetzt, das männliche Präputium ist wichtig für das sexuelle Empfinden und kein unnützer Hautfetzen...

      Für mich ist es in Ordnung, es ist ein Teil meines Lebens. Wäre dieser Teil weg, wäre es dann noch mein Leben? Meine VA hat mir viel Leid eingebracht. Aber auch die Weichen für Gutes gestellt.
      Vorwärts leben wir-rückwärts verstehen wir.

      Und dennoch schmerzt es mich immer wieder. Wenn ich z.B. sowas lese (vor kurzem bei doch-noch), und sagen muss, so geht es mir auch
      Ich kann mich dem Bericht von Niel Juhl nur anschliessen. Seit meiner Beschneidung ist das berauschende sprudelnde Gefühl beim Sex und beim Onanieren unwiederbringlich abhanden gekommen. Kleine Berührungen an der Vorhaut waren vorher stimmulierend und Onanie gab mir die nötige Entspannung. Die Vorhaut war ein elementarer Bestandteil des Vorspiels umd beim Orgasmus durchzuckte es meinen ganzen Körper bis un die Zehenspitzen. Ich fühlte mich tiefenentspannt. Jetzt ohne Vorhaut fühlt es sichbeim Hin- und Herschieben der Schafthaut so an, als ob ich eine Socke über einen Besenstiel schiebe. Nur im Bereich der Narbe verspühre ich noch etwas Gefühl. Die Eichel ist nicht so empfindlich, wie der beschneidende Arzt mir versuchte einzureden. Seiner Meinung nach, ist nur die Eichel wirlich empfindlich. Er empfahl mir, die komplette Vorhaut aus ästhetischen Gründen zu entfernen, so dass die Narbe direkt in der Eichelfurche verborgen bleibt. Heute bin ich froh, dass ich darauf bestanden habe, zumindest etwas von der inneren Vorhaut stehen zu lassen. Das Onanieren ist zu einer Zwangshandlung verkommen, in der Hoffnung vielleicht doch noch einmal ein für immer verloren gegangenes Gefühl herauf zu beschwören.
      Kann ich das je abschalten, dieses Verlangen nach Befriedigung, dieses Verlangen nach der Befriedigung, die mir früher problemlos möglich war, selbstverständlich war, und nun unwiederbringlich verloren ist? Kann ein Psychologe einem Helfen damit klar zukommen? Oder kann er nur mit einem nur herausarbeiten, wo das Problem liegt? Das Problem lösen muss ich selber? Heilung durch Erkenntnis? Könnte man die Arbeit eines Psychologen in etwa so beschreiben, er hilft mir die Diskrepanz zwischen mir (Benutzeroberfläche?) und meinem innersten (Betriebssystem?) herauszuarbeiten, zu erkennen? Ist es diese diese Diskrepanz die einem zu schaffen macht? Und erst wenn man Benutzeroberfläche und Betriebssystem wieder in Einklang bringt, kann Heilung erfolgen, bzw. reicht schon die Erkenntnis?

      Kann ich auch mein Betriebssystem umschreiben, das immer noch nach etwas verlangt, aber ich weiß, das dies nie mehr erfüllt werden kann? Muss dieser Konflikt gelöst werden, oder kann ich auch damit leben, nur durch verzeihen? Aber kann nicht nur ich verzeihen, ich, meine Benutzeroberfläche, und nicht mein innerstes, mein Betriebssystem, meine Bedürfnisse, mein Verlangen nach Befriedigung?

      Das was dieser Mann bei doch-noch beschreibt, beschreibt auch meinen Zustand.

      Sexualität, in der Hoffnung vielleicht doch noch einmal ein für immer verloren gegangenes Gefühl herauf zu beschwören...

      Und immer wieder nur ein Gefühl der Leere, Frustration, Traurigkeit...
      Menschen wurden erschaffen, um geliebt zu werden. Dinge wurden erschaffen, um benutzt zu werden. Der Grund, warum sich die Welt im Chaos befindet ist, weil Dinge geliebt und Menschen benutzt werden. -Dalai Lama