Theologiekurs: "Beschneidung, Taufe und mehr ..."

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    • Theologiekurs: "Beschneidung, Taufe und mehr ..."

      Eine kleine evangelische Kirche in Oberbayern:
      Sehr kleiner Kreis, 8 Teilnehmer, darunter 2 Männer, alle so mittleren Alters.

      Nach der Vorstellungsrunde lenkte Frau R., Religionslehrerin im Leitungsteam mit dem Pastor Herr Dr R., das Gespräch auf die "Beschneidungsdebatte" im letzten Jahr.
      Sie verlaß dafür einschlägige Ausschnitte von Verlautbarungen zunächst von Frau Knobloch und auch die Beiträge von Herrn Kramer und betonte auch die antisemitischen und antireligiösen Züge der "Debatte". Bemerkenswert bei ihrer Haltung war, dass Beschneidungen mit Gewalt in Verbindung zu bringen, offensichtlich kein Tabu für sie war, als sie die kritischen jüdischen Stimmen erwähnte. Außerdem ließ sie auch die Hinwendung zu Brit Shalom nicht aus.
      Ich konnte beitragen, dass die antisemitische Komponente doch eher der kleinere Teil war und anbieten, diese Debatte auch im Zusammenhang mit der in den letzten Jahrzehnten erfreulicherweise kontinuierlich gesunkenen Toleranzschwelle für sämtliche Zwangs- und Gewaltanwendungen gegenüber Kindern zu sehen. Und ergänzen, dass der allergrößte Teil der nach Deutschland eingewanderten Menschen jüdischen Glaubens gar nicht beschnitten ist.

      Das Gespräch in der Gruppe, die sich daraufhin entspann, war vielfältig. Der Informationsstand der Teilnehmer war sehr unterschiedlich, eine hatte sogar von der Diskussion rund um das Ritual gar nichts mitbekommen:

      "Bei Schmerz hört es bei mir auf!", "Das ist doch Zwang!", ein anderer brachte das Grundgesetz ein und erwähnte die historischen Motive der Gesetzgebung, noch jemand empörte sich darüber, dass schmerzvolle Eingriffe an jungen Tieren bei uns mehr diskutiert und eingeschränkt würde als bei Menschenkindern.
      Frau R. versuchte redlich, zu beschwichtigen, indem Sie z. B betonte (behauptete), dass die muslimische Beschneidung immer unter Vollnarkose durchgeführt werde und in einem Alter, in dem die Kinder dies auch wollten ("Da fallen einige unserer Bedenken doch schon einmal weg."). Hier konnte ich einbringen, wie die Realität "frei" entscheidender muslimischer Kinder in Wirklichkeit aussieht. Außerdem auch die realistische Schilderung einer Säuglingsbeschneidung, manche wussten tatsächlich nicht, wie so etwas abläuft und warum eine effektive Betäubung bei einem Neugeborenen so schwierig bzw durch einen Mohel unmöglich ist.

      Natürlich kamen auch die jeweiligen religiösen und traditionellen Hintergründe samt der entsprechenden Thoraquelle und der Hinweis auf die Hadithe nicht zu kurz. Hier konnte ich einiges zur Motivation im Islam und die historische Entwicklung von der Milah zur Periha mit radikaler Zirkumzision im Judentum ergänzen. Frau R. meinte dazu, dass nach ihren Informationen die Periha schon seit 150 Jahren kaum mehr praktiziert, sondern wieder nur das Vorderste Stück wie bei der Milah abgeschnitten würde, war sich aber nicht sicher.

      Frau R. und eine weitere Teilnehmerin vertraten den Standpunkt, dass das jede Familie für sich abwägen und entscheiden sollte ("Wir prägen unsere Kinder ja sowieso in ganz vielen Bereichen..."), und von außen hätten sie als Nichtjuden und Nichtmuslime dazu ersteinmal nichts zu sagen, sondern einfach zu respektieren. Auf meine Frage hin, wie Sie den Respekt vor diesem Ritual mit dem Respekt gegenüber einem konkreten Menschen, der mit seiner Beschneidung unglücklich ist, vereinbaren würden, kam keine schlüssige Antwort bzw. Frau R. meinte, das könne sie auch nicht lösen.

      Der Pastor wirkte ethischen Bedenken gegenüber vergleichsweise viel aufgeschlossener. Er leitete dann zur allgemeinen Betrachtung von der menschlichen (psychologischen ) Funktionen von Ritualen über mit "Taufe und mehr, die Beschneidung lassen wir jetzt einfach mal weg..." (super oder?). Seine Kollegin brachte zwar daraufhin das Beschneidungsritual noch einmal energisch ein (kleiner Dissenz...) aber dann war dieser Abend auch schon überstanden.

      Glücklicherweise hatte sich Herr Dr R. durchsetzten können, denn an unserem 2. und 3. Abend drehte sich alles um die anderen wichtigen Rituale und Feste im Juden- und Christentum.
      Die Beschneidung wurde von den Kursleitern nicht mehr aufgegriffen.
      Der Reigen: "Beschneidung, Taufe und mehr ..." funktioniert halt nicht wirklich...

      Bei der jüdischen Tradition wurde das Pessachfest hervorgehoben, für das Christentum Abendmahl und Taufe. Dabei wurde besonders die historische Entwicklung des Taufrituals, seine "heidnischen" Ursprünge und die aktuell in den verschiedenen Strömungen unterschiedlichen Varianten, was Zeitpunkt und die Ausgestaltung im Detail angeht, berücksichtigt. Die Teilnehmer waren sehr erstaunt, als ich erzählte, dass mein Mann, wie viele andere Kinder muslimischer Eltern in Damaskus auch, als Baby ebenfalls getauft worden ist. Die Taufe ist dort für viele Muslime ein Schutzritual.
      Am 3. Abend und letzten Teil dieses Theologiekurses standen unsere Rituale und Routinen im Alltag und deren mögliche religiöse Aufladung im Mittelpunkt, angereichert mit verschiedenen meditativen Übungen.

      In der Abschlussrunde nahmen außer mir nur 2 andere Teilnehmer und nur indirekt noch einmal auf das Beschneidungsritual Bezug.
      Ich erläuterte u.a., wie erfreulich es für mich war, dass der Kurs sich von der Reduktion von Islam und Judentum auf dieses Ritual gelöst hat, der Blick auch die Vielfalt der Traditionen dieser Glaubensgemeinschaften gerichtet wurde und mir damit die wenigen kritischen jüdischen und muslimischen Stimmen noch näher gebracht hat, die letztes Jahr auf eine mögliche grundrechtlich bedingte Veränderung/Verschiebung dieses Rituals mit großer Gelassenheit reagiert hatten.
      Auch auf die Haltung der offziellen EKD in der "Debatte" und meine Entscheidung, das nicht mitzutragen, bin ich noch eingegangen - für michwaren diese Abende auch ein guter Abschied von Angesicht zu Angesicht, nachdem ich schon eine Weile formell nicht mehr Mitglied bin.

      Die meisten oder wenigstens ein großer Teil der (sehr) religiösen Menschen fühlen offensichtlich intuitiv mit dem schwächsten Part, den Kindern, mit, stellen sein Erleben in den Mittelpunkt und sind nicht bereit, religiöse Motive fraglos hinzunehmen.
      Aber es war auch spürbar, dass ohne auch nur indirekte Betroffenheit (hierzulande erfreulicherweise im Gegensatz zu den USA die Regel) dieses Thema dennoch eher abstrakt bleiben kann.
      Und wer aus "Respekt" dem Islam und vor allem dem Judentum gegenüber bereit ist, die Zwangsbeschneidung von Jungen zu unterstützen, versucht gegenüber den möglichen Folgen und dem Ausmaß des Eingriffs (siehe Frau R.) möglichst fest die Augen zu verschließen.
      Beständige Aufklärungsarbeit kann da nicht schaden.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von susanna ()

    • Vielen Dank für Deine Teilnahme und den Bericht!

      susanna schrieb:

      Frau R. und eine weitere Teilnehmerin vertraten den Standpunkt, dass das jede Familie für sich abwägen und entscheiden sollte ("Wir prägen unsere Kinder ja sowieso in ganz vielen Bereichen..."), und von außen hätten sie als Nichtjuden und Nichtmuslime dazu ersteinmal nichts zu sagen, sondern einfach zu respektieren. Auf meine Frage hin, wie Sie den Respekt vor diesem Ritual mit dem Respekt gegenüber einem konkreten Menschen, der mit seiner Beschneidung unglücklich ist, vereinbaren würden, kam keine schlüssige Antwort bzw. Frau R. meinte, das könne sie auch nicht lösen.


      Es gibt in der Tat etliche ethische Fragen, die nicht eindeutig zu beantworten sind. Da sie jedoch aufgrund ihrer praktischen Auswirkungen nicht unbeantwortet bleiben können, muss eine Antwort gefunden werden. Die "Antwort", das nicht lösen zu können, ist dann keine Antwort.

      Nicht-Einmischung (in Erziehung, in Religion usw.) ist keine Option. Respekt und Toleranz haben Grenzen. Dies entspricht nicht nur der Lebenserfahrung, sondern auch der rechtsstaatlichen Theorie und Praxis und dient dem inneren Frieden.

      Wenn ein Kind in der Familie massiv vernachlässigt, missbraucht usw. wird, greift wie selbstverständlich das staatliche Wächteramt, ohne das gleich sämtliche Elternrechte und die Bedeutung familialer Erziehung grundsätzlich in Frage gestellt werden. In derselben Weise stellt Beschneidungskritik weder die Religionsfreiheit noch den Glauben, Religion habe eine positive Bedeutung, in Frage. Dazu gehört selbstverständlich auch der Respekt vor den zugehörigen Ritualen als solchen, aber nicht vor jeder Form, in der diese Rituale ausgeführt werden.

      Wenn, wie von Religionsvertretern so oft gefordert, Religionen ihre Bedeutung im "öffentlichen Raum" behalten wollen, müssen sie sich auch der öffentlichen Diskussion stellen. "Respekt" kann auch ein "Argument" sein, um die Diskussion zum Schweigen zu bringen.
      "Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!" K.M.