Herzberg: die Strafbarkeit der medizinisch nicht indizierten Beschneidung muss jeder Jurist erkennen!

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    • Herzberg: die Strafbarkeit der medizinisch nicht indizierten Beschneidung muss jeder Jurist erkennen!

      „Fateh-Moghadam weist darauf hin, dass nach den Angaben der WHO weltweit ca. 33 % aller Männer über 15 Jahren beschnitten und dass es speziell in den Vereinigten Staaten sogar 75 % seien. (…) Wenn der Brauch doch so verbreitet ist, dann soll er es auch sein und die Eltern sollen ihn weiter üben dürfen. Aber so darf man nicht argumentieren und ganz gewiss nicht, wenn es um die blutige Verletzung, ja Verstümmelung von Menschen geht, die den Eingriff nicht selbst fordern, sondern ihn erleiden, weil sie sich gegen erwachsene Machthaber nicht wehren können. Das Argument, ein bestimmtes Tun sei seit Jahrhunderten üblich und immer toleriert worden, kann ethische und rechtliche Fragen nicht entscheiden. Sie verlangen immerfort neue Antworten, je nach dem Zeitgeist und dem Stand des moralischen Empfindens.

      Auch die Kastration von Knaben und Männern war einmal, im Morgen- wie im Abendland, üblich und ethisch unangefochten, ging es doch um hohe Werte, z.B. den Haremsschutz, und edle Ziele, z.B. die musikalische Verherrlichung Gottes durch schöne Kastratenstimmen (in der päpstlichen Kapelle sangen sie noch im 19. Jahrhundert).

      So töricht er wäre, ich habe wohl den Einwand zu fürchten, mein Vergleich setze gleich, nämlich die männliche Beschneidung mit der Kastration. Darum beeile ich mich, ein näherliegendes Beispiel zu bringen: Zu Erziehungszwecken sind vermutlich weit mehr als 33 % der jetzt lebenden Männer in ihrer Kindheit körperlich verletzt (misshandelt) worden, und auch in den meisten westlichen Demokratien gelten solche Verletzungen, wenn sie im Rahmen bleiben, noch als erlaubt. Muss sich nun unsere deutsche Gesetzgebung und unsere Gesetzesdeutung danach richten? Nein, es gibt auch im Zivilisatorischen und Sittlich-Rechtlichen Läuterung, Fortschritt und Vorreitertum. Das Recht des Schulmeisters, des Lehrherrn, ja selbst der Eltern (vgl. § 1631 Abs. 2 BGB) auf körperliche Züchtigung ist bei uns abgeschafft, obwohl es doch den Sinn hatte, dem erzieherischen Wohle des jungen Menschen zu dienen. Über dem Eingang eines denkmalgeschützten Gymnasiums las ich einmal den Spruch: Non scholae sed vitae discimus et castigamur. Damals fand niemand etwas dabei, die Verletzungen galten als präventiv-pädagogisch vorteilhaft. Ein Stadtpfarrer von Schrobenhausen hat noch in den siebziger Jahren in „seinem“ Kinderheim Kinder aus problematischen Elternhäusern mit Stock und Lederriemen schmerzhaft gezüchtigt, mit bestem Gewissen und wohl mit Billigung der meisten. Jetzt sehen es alle anders, und die alten Wohltaten kosten ihn sein Bischofsamt.

      Nichts gegen die Beschneidung! Nur verlangt das geltende Recht, dass man sie beim Kind auf die Fälle – wirklicher und nicht nur vorgeschützter – medizinischer Notwendigkeit beschränkt und sie im Übrigen der eigenverantwortlichen Entscheidung dessen überlässt, der sie erleiden würde. Diese Rechtslage und die Strafbarkeit der davon nicht gedeckten Zirkumzisionen muss jeder Jurist erkennen, der sich sein Urteil unvoreingenommen bildet und es keinem Interesse, auch keinem Streitvermeidungsinteresse, erlaubt, seine Erkenntnis zu leiten.“



      Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – zis-online.com
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      Religionsfreiheit und Kindeswohl
      Wann ist die Körperverletzung durch Zirkumzision gerechtfertigt?
      Von Prof. Dr. Rolf Dietrich Herzberg, Ruhr-Universität Bochum

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