Gerichtsentscheidungen im Falle weiblicher Beschneidung - Familiengericht Bonn

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    • Gerichtsentscheidungen im Falle weiblicher Beschneidung - Familiengericht Bonn

      Den Beschluss halte ich auch für Laien für sehr gut verständlich. Hier zeigt sich, welche Durchschlagskraft Behörden und Gerichte eigentlich besitzen - sofern sie sich der Problematik bewusst sind.

      Familiengerichtliche Maßnahme bei Kindeswohlgefährdung durch drohende Beschneidung eines Mädchens im Heimatland des Vaters

      AG Bonn, Beschluss vom 22.02.2008
      Az.: 47 F 86/08


      Orientierungssatz

      Droht einem Mädchen im Heimatland des Vaters (hier: Burkina Faso) eine Genitalverstümmelung durch Beschneidung, kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht zum Schutz des Kindes gemäß § 1666 BGB dahingehend eingeschränkt werden, dass es den Eltern untersagt wird, das Kind außerhalb die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und die Grenzen der Schengener Vertragsstaaten zu bringen oder bringen zu lassen.

      (..)

      Gründe


      Die Betroffene zu 1.) (S) ist aus der Ehe der Frau B B und des Herrn M B hervorgegangen. Diese Ehe ist durch Urteil des erkennenden Gerichts vom 4. Dezember 2003 – rechtskräftig vom selben Tage an – geschieden worden. Im damaligen Termin ist unter grundsätzlicher Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter S auf den Kindesvater übertragen worden.

      Die Betroffene zu 2.) (A) entstammt der zweiten Ehe des Kindesvaters mit Frau M B. Unter Bezugnahme auf ein gemeinsames Gespräch mit dem Kindesvater und Frau B B am 9.10.2007, einem Telefonat mit der Kindesmutter der Betroffenen zu 1.) und einem Schreiben von TaskForce für effektive Prävention von Genitalverstümmelung mit Datum vom 8.2.2008 hat das Jugendamt der Stadt Bonn mit Bericht vom 11.2.2008 u.a. folgendes ausgeführt:

      "Mit beiden Elternteilen fand am 9.10.2007 ein Gespräch statt, um eine verbindliche Umgangsvereinbarung für die Tochter S zu erarbeiten.

      Beide Elternteile erklärten sich weiterhin damit einig, die elterliche Sorge für die Tochter auch künftig gemeinsam auszuüben, die Tochter beim Vater lebt und regelmäßig Umgangskontakte mit der Mutter stattfinden. In dem Zusammenhang berichtete die Mutter, dass der Vater aus Burkina Faso stammt, der ethnischen Volksgruppe der Bissa angehört und sie die Sorge habe, dass der Kindesvater mit der Tochter in sein Heimatland fliege, um dort die Beschneidung an der Tochter vornehmen zu lassen.

      Im gemeinsamen Gespräch wurde dem Vater erklärt, dass weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland als schwere Körperverletzung angesehen wird und dass eine Beschneidung deshalb eine Kindeswohlgefährdung ist. Der Vater zeigte sich einsichtig und erklärte sich bereit, auch vor Gericht eine Erklärung diesbezüglich zu unterschreiben mit dem Inhalt, dass er keine Beschneidung der Genitalien an seiner Tochter durchführen lassen wird.

      Der Mutter wurde angeraten zum Schutz vor Genitalverstümmelung einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht zu stellen, da eine Erklärung im Jugendamt keinen richterlichen Beschluss ersetzt. Die Mutter teilte mit, dass sie sich mit ihrem Anwalt beraten werde und danach einen Antrag beim Familiengericht stellen werde. Dies ist seitens der Mutter nicht erfolgt.

      In einem Telefonat mit der Mutter am 11.2.2008 teilte die Mutter mit, dass sie sich aktuell gegen einen Antrag beim Familiengericht entschieden habe.

      Ein Schreiben von der Einrichtung Taskforce für effektive Prävention von Genitalverstümmelung gibt Hinweise darauf, dass zu Recht zu befürchten ist, dass Mädchen bei einem Aufenthalt in Burkina Faso Opfer von Genitalverstümmelung werden können, dass innerhalb der Volksgruppe der Bissa Genitalverstümmelungen weit verbreitet sind und durchgeführt werden. Bei Genitalverstümmelung handelt es sich um eine schwerwiegende Gefährdung des Kindeswohls.

      Genitalverstümmelung ist in allen Kulturen, die diese praktizieren, eine Sache der Frauen. Der Kindesvater kann nicht die ganze Zeit die Töchter beaufsichtigen, weil die Großeltern, Tanten und Cousinen die Kinder aufnehmen, und der Kindesvater sich bei den Männern aufzuhalten hat. Für die Männer ist dieses Thema vor Ort absolut tabu und sie werden nicht ein verbales Beschneidungsverbot gegenüber der Familie aussprechen.

      Da dies von hier aus nicht ausgeschlossen werden kann und der berechtigte Verdacht bestehen bleibt, ist eine Entscheidung des Familiengerichts dringend notwendig zum Schutz vor Ausreise in das Heimatland, um eine Genitalverstümmelung durchführen zu lassen.

      Da Herr B eine weitere Tochter, A, hat, gilt dies auch auf sie anzuwenden."

      Das Jugendamt beantragt daher,

      das Aufenthaltsbestimmungsrecht der beteiligten Elternteile zum Schutz vor der zu befürchtenden Genitalverstümmelung entsprechend einzuschränken.

      Das Jugendamt verweist auf einen Beschluss des Amtsgerichts Bremen, der in einem ähnlich gelagerten Fall die Ausreise der Kinder entsprechend einschränkt (61 F 2311/07 AG Bremen, Beschluss vom 28.8.2007).

      Weiterhin verweist das Jugendamt auf ein Grundsatzpapier der TaskForce für effektive Prävention von Genitalverstümmelungen vom 11.2.2008, dem ein Beschluss des BGH vom 15.12.2004 zugrunde liegt (XII ZB 166/03).

      Der angeführte Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 28.8.2007 lautete wie folgt:

      – siehe Anlage –.

      Das TaskForce-Papier vom 11.2.2008 hat folgenden Wortlaut:

      – siehe Anlage –.

      Auch nach Auffassung des mit dieser Sache befassten Gerichts stellt die Genitalverstümmelung (hier von Mädchen) eine der schwersten Verletzungen der Menschenwürde dar und ist eine der abscheulichsten Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen. Derartige Eingriffe und Verletzungen sind durch keine Religion, Sitte oder Brauchtum zu rechtfertigen. Nach den hier vorliegenden Informationen sind Kinder aus dem hier betroffenen Kultur- und Lebenskreis in hohem Maße in Gefahr, Opfer von Genitalverstümmelungen zu werden, wenn sie in Länder dieses Kulturkreises verbracht werden.

      Das Gericht ist daher der Auffassung, dass auch einschneidende Maßnahmen erforderlich sind und getroffen werden müssen, um diese drohende Gefahr zu verhindern. Hierbei haben mögliche Umgangsrechte von Verwandten und dergleichen in jedem Falle zurückzustehen.

      Insofern schließt sich das Gericht voll dem Antrag des Jugendamtes der Stadt B an und teilt uneingeschränkt die Auffassung des oben zitierten Bremer Gerichtes und die Sichtweise der Selbsthilfeorganisation. Die Ausreisebeschränkung gilt ab sofort.