Gesetzentwürfe zur Beschneidung - "Auch religiöse Gruppen müssen sich verfassungsrechtlichen Werten beugen" - Politik - sueddeutsche.de
Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, der für die Linke im Bundestag sitzt, hält das Papier der Regierung für verfassungswidrig und unterstützt deshalb den Alternativentwurf. "Ein Kind wird nach unserer Verfassung als Träger eigener Rechte begriffen", sagte Nešković Süddeutsche.de. "Die elterliche Sorge kann nicht so weit gehen, dass es bei einem einsichts- und einwilligungsunfähigen Kind ohne medizinische Gründe zu einem massiven, schmerzhaften Eingriff kommt, der weitgehende und irreversible Folgen hat."
Zum allgegenwärtigen Antisemitismusvorwurf sagt Nešković:"Wir haben nichts gegen die Beschneidung", betont der Jurist. "Aber über den Eingriff sollte nicht über den Kopf des Kindes hinweg entschieden werden." Deshalb schlägt der neue Entwurf vor, dass Eltern einwilligen können, wenn der Sohn "das 14. Lebensjahr vollendet hat, einsichts- und urteilsfähig ist, der Beschneidung zugestimmt hat und diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst" vorgenommen werden soll.
Für Wolfgang Nešković sind solche Unterstellungen "abwegig". Der Justiziar setzt sich in seinem Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße dafür ein, dass die jüdische Gemeinde die Cottbuser Schlosskirche erwerben kann, um sie als Synagoge zu nutzen. Doch bei der Beschneidung geht es für ihn um die Verfassung und die Rechte der Kinder. "Auch religiöse Gruppen müssen sich verfassungsrechtlichen Werten beugen", erklärt Nešković.
Für das Gesetz selbst sieht er langfristig durchaus Chancen, wieder gekippt zu werden:"Was die religiösen Schriften vorschreiben, wurde in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder anders ausgelegt", sagt er. "Bis ins zweite Jahrhundert nach Christus haben Juden von Konvertiten nicht verlangt, sich beschneiden zu lassen. Und in der jüdischen Gemeinde in Cottbus zum Beispiel, deren Mitglieder alle aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, gibt es unter den praktizierenden Juden ganz wenige, die beschnitten sind."
Nešković jedenfalls schließt nicht aus, dass es irgendwann vor dem Bundesverfassungsgericht landet. Und dass dort die Grundrechte des Kindes einerseits und der Eltern andererseits ähnlich gewichtet werden wie im Bundestag, ist nicht sicher.
Wenn aus Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! (Bertold Brecht)
Bräuche und Traditionen können den Menschen an jegliche Abscheulichkeiten gewöhnen (G.B. Shaw)
Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen - nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner)
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