Meine Beschneidung

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    • Meine Beschneidung

      Ich bin in den 70ern geboren, mein älterer Bruder war bereits wegen sogenannter Phimose beschnitten worden, und ich kann mich erinnern, daß es seit ich denken kann hieß, ich hätte ebenfalls eine Vorhautverengung und wenn ich zur Schule käme, müßte "das gemacht werden". Meine Eltern glaubten dies sicher wirklich im Bewußtsein, das beste für mich zu tun. Schließlich wurden damals schon im Untersuchungsheft für Kinder bei 2-Jährigen Phimosen diagnostiziert! In einem Alter also, wo dieser Zustand anatomisch völlig normal wäre. Ich habe die Untersuchungen an meiner Vorhaut als sehr unangenehm und schmerzhaft in Erinnerung, ich erinnere auch, mich bis zum Vorschulalter dagegen gewehrt zu haben. Dann hatte ich den Erklärungen meiner Eltern Glauben geschenkt, es wäre eben nötig und auch alles völlig problemlos. Ein mit meinen Eltern befreundeter Chirurg sollte die OP ausführen.Einmal, als ich ca. 4 Jahre alt wahr, kamen er und sein Frau zu uns zum Abendessen und nachher vorm Schlafengehen sollte "Onkel ... mich noch untersuchen": Ich weiß noch ganz genau, wie ich beim essen ganz hibbelich war, weil ich das nicht wollte. Nachher kamen alle, meine Eltern, "Onkel x" und sein Frau und mein Bruder, der von ihm ja schon beschnitten worden war in mein Kinderzimmer, ich lag schon im Bett und strampelte und wehrte mich, man hielt meine Beine fest, zog mir die Pyjamahose runter und ich schrie und erinnere mich genau an diesen Schmerz, wenn die enge Vorhaut mir Gewalt zurückgezogen wurde, bzw. das versucht wurde, denn man konnte nur eine winzige Öffnung sehen, mein Bruder lachte dabei und alle anderen Zuschauenden sagten, es sei doch nicht so schlimm und gleich vorbei. Und das Urteil wurde auch gleich verkündet: wenn ich zur Schule käme, würde "es gemacht".

      Auch bei der Vorschuluntersuchung und der Schuluntersuchung in der 1. Klasse erinnere ich mich noch genau, wie ich vor der Schulärztin stand, sie mir die Unterhose vorne herunterzog und sogleich versuchte, meine Vorhaut zurückzuziehen, was selbst im schlaffen Zustand unmöglich war und stark schmerzte. Dann sagte sie, daß müsse "schleunigst operiert werden". Obwohl meine Eltern offen über meine Phimose sprachen (auch gegenüber dritten, was mir immer sehr unangenehm war), klärten sie mich nie wirklich darüber auf, wie eine Vorhaut eigentlich funktionieren müßte, auch mein Vater, der zu dem Zeitpunkt noch unbeschnitten war, zeigte mir nie an seinem Penis seine Vorhaut und wie mein Glied nach einer Beschneidung aussehen würde. Ich erinnere mich nur, daß meine Mutter einmal sagte, man könne auch nur einen Einschnitt an der Vorhaut vornehmen, aber dann "hinge sie wie ein Lappen" und da sei ein Wegschneiden besser und das hätten auch viele andere Jungs. Eine Therapie mit Salbe wurde bei mir nie versucht, es wurde eher darüber gelächelt, daß manche Leute meinten, man könne mit Dehnen eine Phimose beheben. Auch der mit meinen Eltern befreundete Arzt, der die Operation dann tatsächlich vornahm, als ich sechs Jahre alt war und mich auch mehrfach "untersucht" hatte (d.h. er hatte versucht, mir die Vorhaut mit Gewalt zurückzuschieben) war nicht Manns genug, mir z.B. an seinem eigenen Penis zu demonstrieren, wie eine Vorhaut zurückzuschieben ist und vor allem, wie ich meinen Penis nach der Operation vorfinden würde. Also erinnere ich mich noch genau an den Moment, wo ich anschließend das erste Mal meinen Penis sah, zutiefst erschrocken über die blutrote nackte Eichel, der Arzt sagte aber gleich, alles sei bestens gelaufen und ich müsse mir keine Sorgen machen.

      In den Jahren danach habe ich unter meinem Beschnittensein eigentlich nicht gelitten, es gab tatsächlich einige Jungs in meiner Klasse, die ebenfalls beschnitten waren oder wurden. Auch in der Pubertät änderte sich daran nichts und ich erlebte durchaus schönen Sex mit Freundinnen.

      In den 20ern änderte sich dies. Immer mehr wurde mir mein Anderssein bewußt, ich fühlte mich meines kompletten Gliedes beraubt und der Erfahrung, wie es sich mit einer zurückschiebbaren Vorhaut anfühlte. Mich interessierte auch zunehmend, andere unbeschnittene Männer zu beobachten. Der Gedanke an einen unbeschnittenen Penis mit üppiger Vorhaut und besonders deren Bewegung begann mich stark sexuell zu erregen. Also das zu sehen und zu fühlen, was ich selbst nicht hatte. Obwohl ich ansonsten Sex mit Frauen sehr genießen konnte.

      Ich beneidete zunehmend unbeschnittene Männer um ihr ungetrübtes Verhältnis zu ihrem Penis, verbunden mit einem Sich-unterlegen-fühlen. Das hemmt mich auch zunehmend gegenüber Frauen, obwohl ich weiß, daß Frauen in der Regel nichts gegen beschnittene Penisse haben.

      Drei Entscheidungen haben mir außerordentlich geholfen:

      1. das Ausleben des durch die als Kind erlebte Fixierung der Erwachsenen auf meine enge Vorhaut ausgelösten Vorhaut-Fetischs. Ich habe es schließlich als eine Form von Bi-Sexualität akzeptiert und gelernt sie zu genießen - mich an dem, was ich selbst so sehr vermisse, bei anderen zu erfreuen. Ob die Faszination daran nachläßt, wenn ich in einigen Jahren hoffentlich wieder eine "neue" Vorhaut habe, wird sich zeigen.

      2. Der Beginn des Vorhaut-Restorings. Endlich spüre ich wieder, Herr über meinen Körper zu werden und aus dieser Passivität herauszutreten, dass da etwas mit mir geschehen ist. Die Folgen dieser Massnahme sind eine in dem Maße unerwartete und nicht für möglich gehaltene Resensibilisierung der Eichel und des Restes der inneren Vorhaut. Dies beweist mir nun auch in eigener Erfahrung, WIEVIEL die Vorhautamputation an sexueller Empfindsamkeit zerstört, z.T. für immer, z.T. aber auch tatsächlich zurückholbar.
      Niemand hat das Recht, so etwas zu tun.
      JEDER Betroffene ist BETROFFEN, unabhängig davon, ob er sich darüber im Klaren, glücklich oder unglücklich ist. Ich war mir selbst 25 Jahre lang dessen nicht bewusst und doch die gesamte Zeit in meinem sexuellen Erleben stark limitiert.
      Ich möchte jedem Mann Mut machen, sich auf die Suche dieser verlorenen Sensibilität zu machen. Sie gehört (zu) uns!

      3. Das Outing meiner Beschneidungserfahrung im Rahmen der Diskussion um die inzwischen erfolgte völlige Legalisierung der Zwangsbeschneidung aus jeglichem Grund. Die Befürworter haben mich mit ihren unfassbaren Äußerungen derart provoziert und verletzt, dass ich gar nicht anders konnte, als mich öffentlich zu äussern und mich zu engagieren.

      Abschließend möchte ich sagen, daß ich sehr froh bin, daß es heutzutage ja wohl einigermaßen Usus ist, Phimosen erstmal mit Salbentherapie zu behandeln, und somit den Jungs eine Beschneidung häufiger erspart bleibt. Mir wäre sie heute vielleicht auch erspart geblieben... jedenfalls zeigt mein Beispiel, daß man im Grundschulalter einfach zu jung ist, um Spätfolgen einen solchen irreversiblen Eingriffs zu verstehen und selbst bei im Prinzip verständnisvollen Begleitung meiner Eltern Gefühle von Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein bleiben.